Jurassic World

VON KINDLICHER FANTASIE, FREIWILLIGER SELBSTKONTROLLE UND WARUM JURASSIC PARK EINE TRILOGIE IST

Ich kann mich noch genau daran erinnern, als Jurassic Park in die Kinos kam. Damals in den 90ern, als Online-Streaming, Internet und digitale Raubkopien noch nicht salonfähig waren. Es war der Sommer meines achten Lebensjahres und es gab nichts, was mich mehr faszinierte als Dinosaurier. Für einen Jungen in dem Alter eigentlich nicht ungewöhnlich, selbst heute nicht, aber ich war regelrecht vernarrt in diese prähistorischen Reptilien. Ich besaß Dino-Spielfiguren, hatte den Scout-Tornister mit Dinomotiv und kannte meine dutzenden archäologischen Fachbücher („Was ist Was“ und so) in- und auswendig. Nach dem ersten Trailer existierten quasi keine anderen Filme mehr.

Ein Film über einen Zoo mit Dinosauriern; der Hammer. Leider zeichnete er sich durch ein Prädikat aus, welches meine Eltern ziemlich ernst nahmen und ausgerechnet bei diesem untertänigst befolgten: FSK 12. Ich habe mich schon darauf eingestellt, ihn nicht im Kino sehen zu können, also hoffte ich darauf, ihn nach der VHS-Veröffentlichung zu sehen. Doch sorgten meine Erziehungsberechtigten dafür, dass ich den Film bis zu meinem 12 Lebensjahr auf keinen Fall sehen würde. Nachdem mein bester Freund ihnen erzählte, sein Vater habe die VHS und er hätte diese mit seinem Vater gesehen, baten sie sogar seine Eltern darum, die Kassette zu verstecken. Die einzige Möglichkeit den Film heimlich anzusehen war damit gestorben. In einem Dörfchen mit ein paar hundert Einwohnern sind gewisse Möglichkeiten halt in jeder Hinsicht beschränkt; kein Wunder, dass Kinder irgendwann anfangen ihre Eltern zu belügen.

Auf das rigoros vollzogene Filmverbot und die Argumentationsabneigung meiner Eltern reagierte ich mit der typischen Ruhe und Gelassenheit eines Achtjährigen, der selbst wenn er total lieb war nicht bekommt, was er will: ich regte mich auf und schimpfte wie ein Rohrspatz. Mein Schimpfwortrepertoire war zum Glück kaum vorhanden, weshalb ich mich eher auf Adjektive wie unfair oder gemein berief; im nachhinein vielleicht ganz gut. Um mich aber vom Frust darüber zu befreien tat ich etwas, was Achtjährige heutzutage eher nicht mehr machen. Während alle darüber sprachen, lauschte ich ihren Erzählungen und saugte alles auf, was ich irgendwo irgendwie aufschnappen konnte.  In den Neunzigern war nämlich noch etwas anderes weitgehend unbekannt: Der Spoiler. Als die Menschen noch nicht überall und jeder Zeit alles ansehen konnten, wonach ihnen war, wollten sie sogar wissen, was in der verpassten Folge ihrer Lieblingsserie passierte. Verdammt, wirklich jeder in meinem Freundeskreis hatte den Film irgendwann gesehen. Ich stellte mir vor, wie sich die Dinge darin wohl zugetragen haben und spielte den Film auf meinem lizensierten Brettspiel zum Film Dutzende Male nach, während ich einer recht umstrittenen Band lauschte: Rammstein. Schon seltsam, Musik über Sex und Gewalt durfte ich hören, aber einen Film mit Dinopuppen durfte ich nicht sehen. Ob ich wohl das Videospiel hätte spielen dürfen? Naja, In den vier Jahren der Folter des Wartens überlegte ich mir jedenfalls, warum mir der Film mit einer solchen Strenge verboten wurde. Meine Schlussfolgerung war, dass die Gewaltdarstellungen wesentlich härter sein müssen, als alles was ich zuvor gesehen hatte. Immerhin ließen mich meine Eltern mit sechs UNTEN AM FLUSS gucken – in schwarz-weiß, weil unser Videorecorder einen weg hatte. Wenn in einem FSK 6 Film schon gezeigt wird, wie harmlose Häschen sich blutrünstig die Kehlen aufbeißen, in riesigen Blutlachen verrecken und der Hauptcharakter letztendlich stirbt, wie brutal, blutig und ungeschönt musste dann erst ein Film mit prähistorischen Killerechsen sein? Und wie schrecklich mussten die Bilder erst sein, wenn ich sie mit denen aus den Nachrichten vergleiche?

Die Jahre vergingen und mein zwölfter Geburtstag rückte näher. Ein paar Monate vorher kam Vergessene Welt in die Kinos. Das trieb die Vorfreude natürlich nochmal weiter in die Höhe. Zeitgleich wurde die Free-TV-Premiere von Jurassic Park angekündigt. Ganz blockbustermäßig an einem Sonntag und ganz TV-FSK 12-mäßig um 20:15 Uhr, eine Zeit in der die Familie eigentlich immer gemeinsam fernsah. Ich unternahm noch einen letzten Versuch an die Vernunft meiner Eltern zu appellieren und mir dieses Meisterwerk endlich zu offenbaren; doch vergeblich. Argumentationsversuche währten sie wie schon vier Jahre zuvor mit den altbewährten Argumenten „Weil wir es gesagt haben“ und „Der Film ist erst ab zwölf“ ab. Verfluchte Konservative, denen fällt einfach nie etwas Neues ein. Sie versprachen zumindest ihn mir aufzunehmen, damit ich ihn sobald ich dann endlich reif genug war auch schnellstmöglich sehen konnte. Leider waren ihre eigenen TV-Optionen für den Abend wegen der Aufnahme sehr begrenzt, sprich entweder Jurassic Park gucken oder Glotze aus; dabei nur bloß den Receiver anlassen. Letzteres war für sie lediglich eine hypothetische Option. Während sie also im Wohnzimmer saßen und genossen, worauf ich schon ein Drittel meines Lebens gewartet habe, verbrachte ich die Zeit unüblicher Weise mit meiner Schwester im Kinderzimmer. Sie schlossen sogar die Tür, damit auch bloß nichts zu hören war. Als ich ihn dann einen Tag nach meinem Geburtstag endlich sehen durfte – ich musste so lange warten, weil die ganze Verwandtschaft an den Geburtstagen zu Besuch war – riss die Inszenierung mich trotz meines Vorwissens total mit. Das einzig Enttäuschende war das wenige Blut; nicht mal Gedärme waren zu sehen. Selbst in den Büchern, die ich mit sechs bekommen habe, waren erschreckendere Bilder und selbst In einem Land vor Unserer Zeit war gruseliger. Wieso haben sie ihn mir so lange vorenthalten? Ich durfte doch schon seit langem weitaus Brutaleres sehen. Als ich darüber sinnierend am nächsten Tag nach Hause kam, sah meine Schwester merkwürdigerweise gerade das Ende von Jurassic Park an. Vier verdammte Jahre ließen sie mich warten und jetzt lassen sie mein vierzehn Monate jüngeres Geschwisterkind etwas sehen, was mir eine gefühlte Ewigkeit vorenthalten wurde; der Höhepunkt der Lächerlichkeit war erreicht. Da meine Eltern offensichtlich unfähig waren, eine gerechte und widerspruchsfreie Erziehung auf Basis einer selbstständigen Reflexion zu vollziehen, übernahm ich fortan freiwillig selbst die Kontrolle darüber, welche Filme ich sehen darf; ich war mir nicht mal sicher, ob sie jemals über die Bedeutung des Wortes „Selbstkontrolle“ nachgedacht haben. Ein paar Wochen später sah ich mir mit meinem  besten Freund darum erst einmal Con Air an; sein Vater besaß auch diesen Film, nur wurde dieser aus irgendeinem Grund nicht versteckt. Bis heute habe ich jedoch keinen Film gesehen, der annähernd so blutig und gewaltästhetisierend war, wie der Jurassic Park, der damals auf meinem Spielbrett statt fand. Die Vorstellungen, die ich als Achtjähriger hatte wären durch jede FSK-Prüfung gefallen… ob meine Eltern sich das so gedacht haben? Jedenfalls begingen sie ihren Holzweg in Gänze und jagten mich vorweg, wie eine aufgescheuchte Gämse.

Auf die Fortsetzung musste ich danach zum Glück nicht so lange warten. Meine Eltern schenkten mir die VHS einige Wochen später zu Weihnachten; wohl als eine Art Wiedergutmachung für ihre integritätslose und völlig überzogene Verbotsaktion. Der zweite Teil schaffte etwas, das kein anderer Film jemals – und schon gar nicht nach der Jahrtausendwende – wieder geschafft hat. Er fesselte mich genau so sehr wie sein Vorgänger; wenn nicht sogar ein kleines bisschen mehr, weil die Echsen noch „echter“ wirkten. Erst der dritte Teil war es, den ich im Kino sehen konnte. Pünktlich zum grottigsten und langweiligsten Teil der Serie. Meine Erwartungshaltung gegenüber Jurassic World hielt sich daher auch in Grenzen, die selbst für Kurzsichtige weiträumig zu überblicken waren. Insbesondere nachdem ich im Trailer von abgerichteten Velicoraptoren und einem genmodifizierten Überrexmutanten erfuhr. In Sachen Jurassic Park bin ich vielleicht ein klein wenig vorbelastet, wollte aber nicht allzu voreingenommen in Jurassic World gehen. Im Grunde habe ich mich also auf das gefreut, was mich damals am meisten reizte und mit Sicherheit nicht enttäuscht würde: gut animierte Urzeitechsen, die dem Mainstreamideal – um nicht zu sagen dem eher mythischen statt wissenschaftlichen Klischeebildern – entsprechen; nur diesmal in 3D.

Bekommen habe ich eine Wiedergutmachung für die Geldverschwendung namens Jurassic Park III. Sie sei Steven Spielberg hiermit vergeben und vergessen. Gelegentlich hatte ich sogar das Gefühl, dass Jurassic World seinen „Vorgänger“ auf die Schippe nimmt – mehr Zähne und coolere Dinosaurier um die Zuschauerzahlen zu steigern… aber wie gesagt: vergessen. Jurassic World entführte mich in die Vergangenheit, zog mich zurück in die eigene Kindheit. Den Namen des jüngsten Hauptdarstellers habe ich entweder vergessen, oder gar nicht erst wahrgenommen. Spätestens als er den Park durch das riesige Tor befuhr, fühlte ich mich wie 12 und der dinophile Junge hieß fortan nur noch Timi; übrigens nicht die einzige Figur, die sehr stark an die aus Jurassic Park erinnert. Neben vertraut wirkenden Charakteren erinnern gut gewählte Allusionen regelmäßig an die beiden Vorgänger. Kameraeinstellungen, Requisiten, Drehorte, sogar ganze Szenen scheinbar direkt aus dem ersten Teil tauchen immer wieder auf; Eastereggs en masse für Fans der Serie. Handlung, Figuren, Musik, Witze, Dialoge, der ganze Film strahlt das aus, was Jurassic Park damals für mich so besonders machte. Jurassic World macht nichts Revolutionäres, nicht wirklich Neues oder Unerwartetes, aber diesen Anspruch erhebt der Film auch nicht. Er will kurzweilige Unterhaltung bieten, die Phantasien eines Kindes auf die Leinwand bringen und daran erinnern, wie alles angefangen hat. Genau das wird abgeliefert. Obwohl mir die Dressur der Raptoren und der Überhybrid Rex nach wie vor etwas abgedroschen scheinen, schließt die Story perfekt an Vergessene Welt an. Denn woher sollte man wissen, was seit dem Zwischenfall vor der Eröffnung des Jurassic Park auf der Isla Sorna abgespielt hat?! Es ist schließlich ein Film und solange es in der erzählten Welt Sinn macht ist die Realität Nebensache. Eben die vergaß ich in den zwei Stunden Laufzeit vollkommen; leider waren die schon nach zehn Minuten vorbei. Wer tiefgreifende Dialoge oder gewitzte Wendungen sucht wird natürlich enttäuscht sein. Wer hingegen eine kurzweilige Abendunterhaltung im Blockbuster-Stil mit Spannung, Witz, gut gewählten Stereotypen und ein bisschen Lovestory sucht, ist in der Jurassic World genau richtig. Für Fans der Reihe und jeden kleinen Jungen, der auf Dinos steht, ist es auf jeden Fall ein Must-see. Abschließend kann ich nur festhalten, dass Jurassic World 18 Jahre nach Vergessene Welt ein perfekter Abschluss der Jurassic Park Trilogie ist.

 

P.S. Sollte sich dies nicht durchsetzen und dennoch ein vierter Teil produziert werden, hier noch ein paar Kennzeichen einer guten Jurassic Park Folge. Der Film muss mindestens zwei Stunden Laufzeit haben, Raptoren, Leuchtfackeln und einen T-Rex, der am Ende überlebt. Keinen Spinosaurus, der sieht nämlich aus wie halb Krokodil, halb T-Rex und halb Dimetrodon. Außerdem sollten die Figuren irgendwie an die aus den Vorgängern erinnern. Vor allem aber darf der Titel nur einen Hinweis auf seinen ersten Teil geben und unter keinen Umständen eine Ziffer beinhalten.