Kritik zu „HIGH-RISE“ (UK/B 2015) von Katharina Görgen

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilen sich seit geraumer Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

Der Sci-Fi Roman „High Rise“ von James Graham Ballard, in der die Probleme einer Gesellschaft in ein Hochhaus mit all seiner Symbolik versetzt werden, galt lange als unverfilmbar. Dass Ben Wheatley sich an den Stoff gewagt hat, kann man unter Innovation und Mut verbuchen, oder den Film als Beweis dafür sehen, dass der Stoff eben doch unverfilmbar ist.

Dabei ist unverfilmbar natürlich der falsche Begriff, schließlich hat es Wheatley geschafft, 2 Stunden Film mit wunderschönen Hauptdarstellern und unnötiger Brutalität zu erzeugen, der irgendwo zwischen Sci-Fi und Retro schwankt. Dies liegt unter anderem daran, dass das Hochhaus als solches – steht es nicht in Dubai und ist das teuerste der Welt – schon lange kein Symbol der Zukunft mehr ist. Das Wohnexperiment des nach oben verlagerten Wohnraums für alle ist gescheitert und es ist daher aus heutiger Sicht absolut unverständlich, warum der Arzt Dr. Laing (gespielt von Tom Hiddelston) sich für eine Wohnung in diesem kalten Betonklotz entscheidet. Nach diesem bereits nicht nachvollziehbaren Einstieg geht es mehr oder weniger unbegründet weiter. Wenig origineller Weise wohnen die kinderlosen Reichen oben, die alleinerziehenden Hippen in der Mitte und ganz unten das Volk, kinderreich und zu kulturlos, um die Vision des Gebäudes zu verstehen. Fairer Weise soll nicht unerwähnt bleiben, dass Wheatley davon absieht, einzelne soziale Schichten als sympathischer als die anderen darzustellen; alle sind hier gleich gestört, gescheitert, befremdlich. Seine Sozialstudie beschränkt sich auf Details wie Trash guckt Trash und die Elite trägt bevorzugt helle Farben, was an Banalität kaum zu übertreffen ist. Unsympathisch sind sie alle und zudem im Kollektiv nur eine Handlung davon entfernt, die von der Zivilisation antrainierten Werte hinter sich zu lassen. Dementsprechend wird gevögelt, gemordet und im Dreck gewühlt. Manchmal in dieser Reihenfolge, manchmal in einer anderen. Zwischen all dem steht die Figur Laings, die in der ersten Hälfte häufig und ausgiebig duscht, was vermutlich weniger über seine Figur aussagt, als über das Vertrauen, dass der Regisseur in seinen Stoff hatte. Der nackte Hiddleston, so hoffte man vermutlich, würde zumindest einen Großteil der Zuschauer vom wackeligen Rest ablenken.
Laing selbst versucht zwischendurch dem sich entfaltenden Chaos Einhalt zu gebieten, indem er seine Wohnung umgestaltet. Das dafür ausgewählte Babyblau steht ihm ausgezeichnet, was zu diesem Zeitpunkt auch schon egal ist. Denn obwohl die Kamera sich kunstvoll um die Heimverschönerungsmaßnahmen dreht, was vermutlich einen Sog vermitteln sollte, habe ich schon längst das Interesse verloren. Eine Hauptfigur, der in ihren wildesten Träumen nichts Besseres einfällt, als mit Stewardessen über den Flur zu tanzen, ist gleichermaßen traurig wie langweilig. Wenn sie dann auch noch in einem Hochhaus lebt, dessen Verfall von der ersten Minute an erzählt wird, ohne dass für die bürgerkriegsähnlichen Zustände eine bessere Erklärung gegeben wird als ein Stromausfall, dann reicht definitiv auch der viel gehypte Tom Hilddleston nicht – duschend oder nicht –, um Interesse aufkommen zu lassen.
In einem Squashspiel mit dem genialen Schöpfer der hässlichen Hochhausgruppe fragt dieser Laing: „How long have you been stuck?“ Er bezieht sich auf Laings Eingeschlossensein in einem spiegelreichen Lift, der seine Dienste kurzfristig und bedeutungsschwer verweigerte. Laing kann mit gutem Gewissen „not too long“ antworten. Ich hingegen müsste wahrheitsgemäß sagen: zwei sich ziehende Stunden.

Katharina Görgen