Respondenz-Kritik zu „MAGGIE’S PLAN“ (USA 2015) von Peter Scheinpflug

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

Žižek has left the building.

Slavoj Žižek dekonstruiert bekanntlich auf ebenso verständliche wie unterhaltsame Weise große Phantasmen, die unsere Kultur und damit auch unser Denken und Handeln bestimmen. Subjekt, Ethik, Sex, Liebe gehören zu seinen großen Themen und so ist es nur sinnig, dass er in einer Szene von MAGGIE’S PLAN als Ehrengast einer Anthropologie-Tagung angekündigt wird, auf der John Harding  (Ethan Hawke) wieder zu seiner Ex-Gattin Georgette Nørgaard (Julianne Moore) finden wird, wie es seine aktuelle Gattin (Greta Gerwig) geplant hat, um ihn loszuwerden und der elendigen Ehe der beiden ein ’sanftes‘ Ende zu setzen. Allein: Žižek wird nicht auftreten – nicht einmal für eine einzige Sekunde. Und dies ist bezeichnend für einen Film, der vielversprechend startet, großes erwarten lässt, aber dann nichts davon einzulösen vermag.

Der Film startet als eine sowohl skurrile als auch intelligente Screwball-Comedy, in der es vermeintlich um aktuelle Gesellschaftsprobleme geht und den dadurch begründeten Wunsch der Protagonistin, dank einer künstlichen Befruchtung ihr Glück als alleinerziehende Mutter zu suchen. Dabei weiß der Film über ca. die ersten 15 Minuten auch durchaus noch zu fesseln: Es geht um brisante Fragen zur künstlichen Befruchtung, zur Verabschiedung ihrer Stigmatisierung, zur Infragestellung von romantischen Idealen, zur Auswahl des richtigen Samenspenders oder auch zu dessen Verantwortung und Beteiligung bei der Kindererziehung. Immer wieder gibt es auch vortreffliche Seitenhiebe auf die Digitalkultur, wenn beispielsweise ebenso unaufhörlich wie unerhört das Smartphone in das Familienidyll einbricht und die Familienbande ausgerechnet beim gemeinsamen Familienessen aufsprengt, weil alle lieber ihr Smartphone ‚checken‘. Diese Kritik an unserer Medienkultur geht bis zur Panik der Protagonistin, die bereits mit der Spritze mit Spermien im warmen Wasser ihrer Badewanne sitzt, als die App abstürzt, die sie bei dieser Hausvariante der künstlichen Befruchtung anleiten sollte. Ganz zu schweigen vom Selfie des Samenspenders mit der Protagonistin, nachdem er ihr seinen Beitrag zu ihrem Glück übergeben hat.

Mit dem Auftreten von Ethan Hawke kommt dann jedoch alles anders und der Film kippt zunehmend in eine Ehe-Tragikomödie, die einfach nur ermüdend konventionell ist. Maggies Plan, ihren Ehemann seiner Ex zuzuspielen, da deren Egozentrik die seinige zähme, kann dann auch nichts mehr retten. Der Film wirkt zunehmend routiniert heruntergedreht und -gespielt. Dabei fällt er streckenweise schon ärgerlich konservativ und stereotyp aus. Beispielsweise rassistisch, wenn Spielhölle und Lusthotel unter bzw. über einem chinesischen Restaurant zu finden sind. Oder klischeehaft, wenn der von beiden Ehefrauen manipulierte Ehemann (Ethan Hawke) sich zur Bewältigung seiner Midlife-Crisis ausgerechnet ein phallisch konnotiertes Motorrad kauft.

Diejenigen im Publikum, die sich mit Universitätssystemen auskennen, mögen vielleicht dem ein oder anderen bissigen Kommentare auf das Schreiben als Geburtsszenario, über prekäre Anstellungsverhältnisse, über das Gebaren bei Tagungen und eben die Žižek-Euphorie einigen Spaß abgewinnen können. Aber auch hieraus entwickelt der Film weder Stimmung noch ein überzeugendes Milieubild. Alles wird von der biederen und vorhersehbaren Dreiecksgeschichte erstickt.

Dies ist umso bitterer, als der Film anfangs geradezu wie ein intellektuelles Bilderrätsel der aberwitzigen Details daherkommt: Ein Junge trägt einen Sticker mit dem Schriftzug „no fracking“, während dessen Vater mit der Protagonistin über künstliche Befruchtung spricht; Ethan Hawke, der Star aus Richard Linklaters in Paris spielender Erfolgsliebeskomödie BEFORE SUNSET (USA 2004), liest im Bett ausgerechnet das Literaturmagazin „Paris Review“. Aber entweder der Film verliert diese kleinen Bonbons für das aufmerksame Publikum in der zweiten Hälfte vollends aus dem Blick oder aber ich habe zu diesem Zeitpunkt einfach zu sehr das Interesse und Engagement verloren, da der Film so ätzend konventionell und seicht geworden ist.

Selbst am Ende wagt der Film nicht  das unkonventionellere, aber interessantere happy ending zu erzählen: Scheint es zunächst so, als habe die Protagonistin als alleinerziehende Mutter ihr Glück mit ihrer Tochter nach einer ebenso bitteren wie strapaziösen Ehe samt Trennungsintrige wiedergefunden, muss in der allerletzten Szene doch noch der verschrobene Samenspender und mutmaßlich ‚wahre‘ (biologische) Vater ihrer Tochter auftreten, um eine neue heterosexuelle Beziehung als ‚wahres‘ happy ending in Aussicht zu stellen. Während die Abwärtsspirale von Idiotie und Klischeehaftigkeit des Drehbuchs schier kein Ende zu finden scheinen, hat der Film damit wenigstens das seinige erreicht.

Schade um die großartigen Charaktermimen, die sich dafür hergegeben haben. Und daran sollte kein Zweifel bestehen. Die Schauspieler sind famos: Greta Gerwig spielt überzeugend verletzlich die sich selbstaufopfernde, naive Protagonistin. Ethan Hawke spielt mit Bravur seine Standardrolle als unentschlossener und unreifer Liebhaber, wie wir ihn vor allem aus seinen Filmen mit Richard Linklater kennen. Und Julianne Moore spielt mit sichtlicher Freude, wenn auch teils nervigem aufgesetztem Akzent die egozentrische, kalt- und hartherzige Erfolgsautorin, die ihren Kaffee am liebsten mit einem großen Klumpen Butter statt mit Zucker genießt. Alle Figuren sind irgendwie herzig, aber man leidet doch wenig mit ihnen mit, weil sie einfach so eindimensional und klischeehaft sind.

Noch schader, dass Žižek kein Cameo hatte. Er hätte aber wahrscheinlich auch gestört in MAGGIE’S PLAN, da er einfach zu intelligent, provokativ und vor allem unterhaltsam ist.

Peter Scheinpflug