Respondenz-Kritik zu „THE LEGEND OF TARZAN“ (USA/UK/CDN 2016) von Peter Scheinpflug

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

 Der Zeichentrick-Sexfilm TARZOON – SCHANDE DES DSCHUNGELS (B/F 1975) war weniger peinlich als das!

Ich gestehe: Ich bin ein großer Fan der Tarzan-Filmserie der 30er und 40er Jahre mit Johnny Weissmuller. Darunter finden sich großartige Abenteuerfilme wie TARZANS RACHE (1936), der nicht nur ein ergreifendes Plädoyer gegen Imperialismus ist, sondern dabei auch für die 30er Jahre erstaunlich zeigefreudige Erotik- und Gewaltszenen beinhaltet, oder TARZANS ABENTEUER IN NEW YORK (1942), in dem die vermeintliche Rationalität und Luxuriösität der Moderne geradezu slapstickhaft verulkt werden, oder auch TARZAN UND DIE NAZIS (1943), in dem wir lernen, warum die indigene Bevölkerung dankbar ist, wenn der weiße Herr/scher des Dschungels, also ihrer Heimat, sie vor den imperialistischen Nationalsozialisten rettet. Ein Highlight des Films ist eine für die Nazis täuschend echte Nachahmung von Hitler durch Cheeta, Tarzans Schimpansen-Sidekick. Schaut man die Teile der Filmserie in chronologischer Folge, kommt man nicht umhin, zu bemerken, dass Cheeta immer mehr Screentime bekommt. Dies liegt daran, dass der Schimpanse für allerlei anarchisches Chaos sorgt. Aber es liegt auch daran, dass Tarzan zwar ein fulminanter Held für serielle Abenteuer ist, sich das Potenzial für die Figurenentwicklung aber doch recht schnell erschöpfen kann. Nach etlichen Neuverfilmungen, in denen die Figur verkörpert wurde unter anderem von sexy Lexy (Lex Barker, für alle jüngeren Generationen), Christopher Lambert und Caspar van Dien – und ich will mit dieser Reihe wirklich nichts implizieren – gibt es nun also eine neue Schande des Dschungels:

Alexander Skarsgård, der einigen als sexy Vampir aus TRUE BLOOD (2008-2014) oder als sexy Vergewaltiger  aus dem Remake von STRAW DOGS (2011) bekannt sein kann, glänzt auch in THE LEGEND OF TARZAN wieder vor allem als erotisch in Szene gesetzter Schönling, oder vielmehr glänzt sein durchtrainierter Körper. Denn Alexander Skaargårds Schauspielkunst ist so subtil und nuanciert, dass schon eine einzige ganz kleine Geste große Gefühle bedeutet. Hier eine kleine Kostprobe:

Wut = Faust ballen

Nachdenklichkeit = Kopf neigen

Trauer = Kopf neigen + zweimal blinzeln, aber ganz langsam

Seit der Stummfilmzeit gilt die Großaufnahme als die wirkmächtigste Kamera-Einstellung, da sie das Publikum stark affiziert. Dafür muss freilich ein Hauch einer Gefühlsregung im Gesicht der Schauspieler/innen zu erkennen sein. Eine Andeutung von Emotionalität genügt schon, da sie durch Musik und Bildkomposition ausgemalt werden kann. Der Regisseur von THE LEGEND OF TARZAN hätte gut daran getan, auf Großaufnahmen mit Alexander Skarsgård ganz zu verzichten. Man fragt sich unweigerlich, warum bei einem Blockbuster, bei dem so viel Budget und Rechenleistung in großartig animierte, lebensecht wirkende Tiere und Actionszenen investiert wurde, niemand auf die Idee kam, auch die Mimik des Hauptdarstellers digital zu überarbeiten.

Leider fehlt Cheeta in THE LEGEND OF TARZAN – und Samuel L. Jackson als menschlichen Ersatz zu sehen, da er dieselbe Funktion als comic relief und Sidekick erfüllt, wäre gemein und rassistisch. THE LEGEND OF TARZAN schlägt ernstere Töne an: Wenn berichtet wird, dass die Kolonialisierung des Kongos durch die Hoffnung auf Bodenschätze motiviert worden wäre, aber deren Erschließung den belgischen Regenten mehr Geld und Zeit gekostet hätte als erwartet, kann man sich an populäre Positionen zur Kritik am Afghanistan- und Irakkrieg erinnert fühlen. Von Anfang an lässt der Film keinen Zweifel daran, dass die Verquickungen von Wirtschaft und Politik als Gaunerstück verstanden werden muss. Auch die Religion kommt nicht gut weg: Sie wird als trügerisches Machtinstrument vorgeführt, wenn der Rosenkranz nur vermeintlich einen friedliebenden Christen markiert, in Warhheit aber als Leine und Strick dient.

Vor allem durch Samuel L. Jacksons Figur des anfangs arroganten, aber ehrlichen und später lernwilligen Afro-Amerikaners kommt so manche interessante Inszenierung zustande: Wenn etwa der weiße Tarzan und die schwarzen Afrikaner sich elegant durch den Urwald schwingen, der Afro-Amerikaner hingegen keuchend hinterher stolpert, dann kann kein Zweifel daran bestehen, dass nurture fraglos wichtiger als nature ist. Darüber hinaus wird die Ausbeutung Afrikas mit der amerikanischen Geschichte, vor allem mit den Massakern an den Native Americans in Bezug gesetzt. Überhaupt drängt sich einem der Schluss auf, dass die Geschichte der Befreiung der Schwarzen von ihren weißen Herren ganz am Puls eines seit geraumer Zeit zutiefst zerrissenen Amerikas liegen will.

Der Film knallt dem Publikum seine Politik und Farbdramaturgie allerdings allzu bombastisch ins Gesicht: Dass der böse Oberkapitalist für eine weiße Herrschaft stehen soll, ist kaum zu übersehen. Sein von der Sonne verbranntes Gesicht ziert ein weißer Vollbart, auch ansonsten ist er ganz in Weiß gekleidet – inklusive weißer Weste und weißer Handschuhe – und kommt in einem Boot, das ganz in weiß gestrichen ist und bei dem nicht nur die Matrosen, sondern sogar noch die Ruder ganz in Weiß gehalten sind. Umso bitterer muss es aufstoßen, dass es letztlich eigentlich doch wieder nur um das Leid eines weißen Helden geht, der am Ende den Kongo quasi im Alleingang rettet. Warum eigentlich? Unmittelbar danach ist eine beachtliche Armee der geeinten Stämme zu sehen, die den ganzen Höhenkamm schmückt und fraglos sich selbst hätte befreien können. Mehr als Jubeln über ihre Rettung dürfen die Afrikaner aber in THE LEGEND OF TARZAN nicht. Ach doch! Eins dürfen sie noch: Jubeln, wenn als happy ending das weiße Baby von Tarzan und Jane geboren wird.

Alle interessanten Ansätze des Films ersticken in einer ebenso kitschigen wie konservativen Bildpolitik. Das gilt auch für Jane, die anfangs als entschlossene und schlagfertige Frau auftritt, die sich von keinem Mann, auch nicht ihrem Ehremann etwas sagen lässt. Freilich muss sie dann aber doch als damsel in distress von ihrem Mann gerettet werden. Gerade in den Szenen mit Jane hofft man, dass der Film vielleicht doch ironisch verstanden werden will: Wenn nach ihrer Entführung beispielsweise der Fiesling und erbarmungslose Karrierist, gespielt von einem sichtlich unterforderten Christoph Waltz, lakonisch das standardisierte Narrativ eines jeden ‚klassischen‘ Tarzanabenteuers erklärt: „Er ist Tarzan. Sie sind Jane. Er wird sie holen.“ Vor allem aber hofft man, dass der Film mit einem Augenzwinkern gesehen werden will, wenn Jane desnachts im gemeinsamen Heim Tarzans Tierrufe vernimmt und verträumt zu sich selbst haucht „Ein Balzruf. Sei still klopfend Herz“. Aber weit gefehlt: Wenn sich ein zarter Schmetterling auf einen Choleriker wie Klaus Kinski setzt, dann ist das ein ebenso starkes wie bewegendes Bild.  Wenn sich ein blauer Falter auf die Schulter der angeketteten Jane niederlässt, um ihre Schönheit, Friedfertigkeit und Naturverbundenheit anzuzeigen, dann ist das einfach nur Kitsch. In seinen besten und schönsten Szenen wirkt der Film wie ein zu lang geratener Werbeclip für Afrika-Reisen samt monumentaler Landschaft, am Lagerfeuer tanzenden Ureinwohnern und den tiefen Augen eines Baby-Elefanten.

Freilich, es ist ‚nur‘ ein Sommerblockbuster mit bombastischer Action, exotischem Setting, massenweise ansehnlichen halbnackten Männern und einer überaus konventionellen Story. Aber es ist nun einmal Tarzan, der eine lange und kontroverse literatur-, kultur- und filmgeschichtliche Tradition hat. Und dass THE LEGEND OF TARZAN letztlich so konservativ und dümmlich ausfällt, ist dafür einfach zu ärgerlich. Insofern ist die Besetzung des Tarzan mit Alexander Skarsgård vielleicht doch ein genialer Clou, denn wer so hohl drein schaut und so überzogen als Übermensch in Szene gesetzt wird, der kann vom Publikum hoffentlich nicht als begehrenswertes Ideal ernst genommen werden. Hoffentlich.

Peter Scheinpflug