Kritik zu „JASON BOURNE“ (USA/UK/CH 2016) von Peter Scheinpflug

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

Jason Bourne erinnert sich an alles. Wir auch. Mit Wehmut.

Wir erinnern uns: 2002 bewies Matt Damon in THE BOURNE IDENTITY erstmals, dass er nicht nur Charaktermime ist, sondern auch als tougher Actionstar taugt. Jason Bourne, der CIA-Attentäter mit Gedächtnisverlust, war eine überaus fesselnde, weil geheimnisvolle und gepeinigte Figur. Die Action war realistisch und rau. Bei der Fortsetzung übernahm dann Paul Greengrass die Regie von Doug Liman und gestaltete Bourne noch realistischer mit verwackelter Handkamera, noch härter mit ebenso schnellen wie nah am Körper ausgeführten Kämpfen und noch intelligenter mit einer eingehenden Psychologisierung der Figur und Anleihen bei der Film-Noir-Ästhetik. Der dritte Teil setzte dann ästhetisch, dramaturgisch, aber auch psychologisch noch einmal einiges drauf und Jason Bournes Geschichte schien vorerst ihr Ende gefunden zu haben, da er das Programm, das ihn zum gewissenlosen Mörder programmiert hatte, ergründet und publik gemacht hatte.

Hier schließt der neue Film mit Matt Damon als Jason Bourne an, zeigt ganz kurz die wichtigsten Momente dieser Figuren-Genese und blendet dabei THE BOURNE LEGACY (2012) mit Jeremy Renner als Möchtegern-Bourne Aaron Cross einfach aus: Jason Bourne muss aus der Versenkung auftauchen, als seine ehemalige Kollegin und Verbündete (Julia Stiles) neues Wissen über das Attentat auf seinen Vater entdeckt. Der Verlust hatte den Protagonisten damals dazu motiviert, sich freiwillig für  das CIA-Attentäter-Programm zu melden. Da Daten heute schwerer als die totale Erinnerung wiegen, will Bourne die Wahreit ergründen. Gejagt wird er vom neuen CIA-Chef (Tommy Lee Jones), der befürchtet, dass Bourne als Whistleblower sein neues Projekt gefährden könnte. Da Bourne besser den Abzug einer Pistole als die Tasten einer Rechenmaschine bedienen kann, ist er auf die Hilfe einer Cyberexpertin der CIA angewiesen, bei der nie so ganz klar wird, ob sie Bourne hilft als Überzeugungstäterin oder doch nur als gnadenlose Karrieristin.

Zunächst scheinen Paul Greengrass und sein Star zu liefern, was man von ihnen seit ihren Kooperationen bei den Bourne-Filmen und bei THE GREEN ZONE (2010)  erwarten kann: wackelige Handkamera-Aufnahmen, die ganz nah dran sind an der Action und den Figuren. Das war vor rund 10 Jahren bei THE BOURNE SUPREMACY (2004) und THE BOURNE ULTIMATUM (2007) überaus erfrischend und sicherte den Filmen einen Platz unter den Klassikern des Actionfilms. 2016 wirkt diese Ästhetik jedoch allzu vertraut. (Und dabei messe ich den Film noch nicht einmal an asiatischen Actionfilmen wie SPL: SHA PO LANG (2005) oder THE RAID 2: BERANDAL (2014), die nicht nur durch ihre virtuosere Ästhetik, ihre härteren und atemberaubenderen Kämpfe, sondern auch durch eine feinere und ergreifendere Figurenzeichnung JASON BOURNE spielend alt aussehen lassen.) Bezeichnenderweise bricht sich der Realismusanspruch in JASON BOURNE ausgerechnet in den spektakulären Verfolgungsjagden in Athen und vor allem in Las Vegas, die dann doch eher ‚klassisch‘ in Szene gesetzt sind, da die Massenverschrottung von Autos weite Kamera-Perspektiven verlangt. Gerade diese beiden Sequenzen muten zudem nicht nur überbordend, sondern eher überzogen an. Sie dauern zu lange, der Spannungsbogen wird deutlich überstrapaziert und es drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, dass zugunsten der Überbietungslogik des Spektakels alle andere Logik über Bord geworfen wurde.

Um dem Bourne-Franchise dennoch etwas neues abzugewinnen und es an heutige Fragestellungen anzupassen, geht es nun nicht nur um Politik und Ethik, sondern vor allem um Medienethik. Der Film zeichnet ein beängstigendes Bild des Datenmissbrauchs. Die CIA verfügt bei ihrer Menschenjagd nach Bourne über Zugriff auf alles: fremde Smartphones, Laptops, Satelliten, Datenbanken von Airlines, Stromnetze, Überwachungskameras und alle anderen Knotenpunkte des digitalen Netzwerkes. Leider findet aber auch Paul Greengrass keine ansprechende Ästhetik, um das Wetttippen auf den Bildschirmen interessant und spannend zu gestalten. Ja, die Visualisierung des ‚Cyberspace‘ in Filmen der 90er Jahre wie HACKERS (1995), DER RASENMÄHERMANN (1992) oder ENTHÜLLUNG (1994) mag aus heutiger Sicht arg naiv und fantastisch anmuten, aber die visuellen Metaphern waren tausendmal intelligenter und unterhaltsamer als Ladebalken und Programmcode.

JASON BOURNE widmet sich stattdessen lieber diversen politischen und ethischen Fragen zum schwierigen Abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit und wirft einige gute Fragen auf. Etwa: Was kostet Freiheit und wer finanziert eigentlich die Social-Media-Plattformen? Damit wir auch alle wissen, dass es hier um aktuelle Themen geht, heißt der Cyberaktivist wenig subtil nicht Julian Assange, sondern Christian Assalt – im Film wie ‚assault‘ (Anschlag) ausgesprochen. Auch das Schädigungspotenzial der Daten, die der CIA entwendet wurden, sei laut einem Dialog von CIA-Experten „worse than Snowden“.

Man muss dem Film zugutehalten, dass auch Gegenstimmen vereinzelt vorgetragen werden. Allerdings werden diese Positionen stets von unsympathischen Figuren, vor allem vom zynischen und intriganten Patriarchen der CIA, gespielt von Tommy Lee Jones, vorgebracht und sind dadurch eher negativ konnotiert. Daneben verkörpert auch Bournes Gegenspieler, gegeben von Vincent Cassel, diese Kritik an der Transparenz, da ihm die Folter deutlich in den Leib eingeschrieben ist, die er erleiden musste, nachdem seine Tarnung aufgrund der Veröffentlichung geheimer Daten aufgeflogen war. Es fällt jedoch sehr schwer, Mitleid mit dem gefolterten Attentäter zu haben, da er ebenso gefühllos wie erbarmungslos alle, auch Kollegen und Zivilisten, ermordet. Der Film lässt so keinen Zweifel daran, mit welcher Position in der Debatte das Publikum sympathisieren sollte.

Es ist gut, dass ein Film, der vorrangig ein überwältigender Action-Blockbuster sein will, sich mit aktuellen Fragen beschäftigt. Allerdings werden diese bestenfalls aufgeworfen, ihre Komplexität aber wird kaum näher erhellt und es werden auch keine Fluchtlinien als Auswege oder als Widerstand in Aussicht gestellt. Ähnlich verhält es sich mit der Denkfigur, dass fingierte Terroranschläge die Bevölkerung manipulieren, etwa zu überzeugten Patrioten machen können. Dieser Gedanke ist zwar für die öffentliche Debatte nach wie vor brisant, aber er wurde in Filmen seit 9/11 so oft und so verkürzt verwendet, dass ich ihn in Hollywoodfilmen eigentlich nur noch mit einem Augenzwinkern wie beispielsweise in GHOSTBUSTERS (2016) ertrage. Die politische Kritik, die JASON BOURNE üben will, bleibt insgesamt einfach zu diffus und leider auch irrelevant für das Actionfeuerwerk.

Die Jason-Bourne-Filme waren immer auch politisch, aber im Vordergrund stand dabei stets die Figur Jason Bourne und ihre Psychologisierung. Gerade diese gerät nun im neuen Bourne-Filme ob der Politik- und Medienkritik zu sehr aus dem Blick. Wie in den letzten James-Bond-Filmen wird vor eine bereits erzählte Genesis einfach eine weitere vorgängige Genesis gesetzt. Das kann interessant und unterhaltsam sein, wenn es neue Perspektiven auf das Bisherige erlaubt. Im Fall von Jason Bourne wirkt der Vaterkomplex der Figur und die immer wiederkehrenden Trauma-Flashbacks jedoch allzu klischeehaft. Damit fällt der Film zu weit hinter die Komplexität der Figur zurück, wie wir sie bisher kannten. Dass der Film dann auch noch seine geringfügigen Spuren von Psychologisierung, etwa dass Jason Bourne in illegalen Straßenkämpfen freiwillig Schläge als Selbstbestrafung einsteckt, dem Publikum als großartige Erkenntnis verkauft, deren explizite Verbalisierung in der Figurenrede den Scheideweg in der Handlung ebenso wie in der Figurenentwicklung markieren soll, macht die Ideenarmut des Films noch ärgerlicher.

Um der Figur dennoch eine weitere Wendung abzugewinnen, muss sich Jason Bourne anhören, dass der Verlust seines Vaters nur ein Alibi für seine Meldung für das Attentäter-Programm gewesen sei, da er vom ‚Wesen‘ her schon immer Jason Bourne gewesen sei. Diese Kritik an gängigen Rationalisierungs- und Legitimierungsstrategien von (Anti-)Helden ist uns jedoch nicht nur von ‚Intelligenzbestien‘ wie RAMBO III (1988) und RAMBO (2008), sondern sogar aus Parodien wie HOT SHOTS PART DEUX (1993) allzu gut bekannt, um damit der Figur Jason Bourne eine überraschende Facette abzugewinnen.

Am Ende wird Jason Bourne den Vorwurf übrigens performativ bestätigen, da er seinen Rachefeldzug unerbittlich zu Ende führt und das Katz-und-Maus-Spiel mit der CIA freiwillig als vorgeblichen Akt des Widerstandes und der Autonomie fortsetzt. Hoffen wir, dass dies die Schlusspointe der Dekonstruktion des Antihelden sein sollte und nicht der Auftakt zu einer neuen Bourne-Serie, denn offenbar haben Greengrass und Damon ihr Pulver vor rund 10 Jahren restlos verschossen. Ihnen ist zwar ein überdurchschnittlicher Action-Blockbuster mit großartigen Darstellern, bombiger Action und ordentlich politischer Kritik gelungen, aber nur der viertbeste Jason-Bourne-Film.

Peter Scheinpflug