Kritik zu „CAPTAIN FANTASTIC“ (USA 2016) von Katharina Görgen

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

Was ist das Beste für unsere Kinder?

Captain Fantastic meint die Antwort zu kennen und zieht seine Kinder auf einem Waldstück fernab aller nicht gewollten Einflüsse groß, Homeschooling inklusive. Dass das Konzept „Zurück zur Natur“ nicht ganz so idyllisch verläuft, wie es heutige Hipster im Schrebergarten mit gekühltem In-Getränk in der Hand gerne imaginieren, zeigt die erste Szene des Films. Das Wild, das wir bei seinem Lauf durch den malerischen Wald beobachten, wird der Familie als Nahrungsquelle dienen und ist gleichzeitig Teil des Rituals, das den ältesten Sohn zum Mann machen soll. Das für den Städter dann doch eher ungewöhnliche Bild des rohen Fleisches essenden Jungens leitet zur zweiten Frage des Filmes über: Was dürfen wir unseren Kindern zumuten? Captain Fantastic fordert seinen Nachwuchs nicht nur intellektuell mit linken, kapitalismuskritischen Positionen, sondern auch körperlich. Auf Waldläufen und bei Scheingefechten lernen sie „zu überleben“, oder vielmehr zu Überleben in der Welt, die ihr Vater für sie ausgesucht hat. Obwohl vor allem die Töchter mit ihren roten Haaren aussehen wie Waldelfen, wenn sie sich in selbstproduzierten Kleidern durch den Wald bewegen, schleichen sich bald Zweifel an der „gelebte Natur“-Utopie ein. Stärkt es einen Jugendlichen wirklich, wenn er lernt, dass ihn im Ernstfall niemand rettet? Und ist absolute Ehrlichkeit das Maß aller Dinge oder im Umgang mit Kindern grausam? Der Rest der Welt – inklusive der eigenen Verwandtschaft – hat diese Fragen für sich ganz klar beantwortet und sieht in Captain Fantastic einen linken Spinner, der seinen Kindern die Zukunft versaut. Als Vater und Nachwuchs ihre comfort zone verlassen müssen, um die Mutter zu beerdigen, die sich fernab in einem Anfall von Depression das Leben genommen hat, prallen daher zwei Welten aufeinander. Während die Familie Fantastic als Mikrosystem durchaus stabil scheint, zeigt der Umgang mit anderen Menschen erste Schwächen des Erziehungskonzepts. So geht nach einem Kuss der gerade durch das erlegte Wild zum Mann gewordenen Sohn vor der sichtlich amüsierten Blondine auf die Knie, um um ihre Hand anzuhalten. Zahlt hier ein Sohn für die Sünden des Vaters? Und haben die Söhne der Schwägerin, deren Leben sich hauptsächlich und sehr stereotyp um den Konsum technischer Medien zu drehen scheint, wirklich ein „schöneres“ Leben? Es ist durchaus erfrischend von den im Wald erzogenen Kindern zu hören, das Anwesen der Großeltern sei ein „unethical use of space“. Und auch als bei einem der ersten Ausflüge der Truppe im Supermarkt sanft „my heart will go on“ im Hintergrund düdelt, in einem Versuch Emotionalität und Waren zu verbinden sympathisiert man kurz mit Captain Fantastic, der seine Kinder dazu auffordert die gewünschten Lebensmittel zu stehlen. Doch auch der sympathische Clanführer ist weit davon entfernt fehlerfrei zu sein. Seine Reaktion auf den Wunsch des ältesten Sohnes, auf die Universität zu gehen legt seine Ängste oder vielleicht auch seine Engstirnigkeit offen. Der freie Wille, von ihm gepredigt an Lagerfeuern im Wald, hat hier vermeintlich die gleichen systeminhärenten Grenzen wie in den meisten anderen Ideologien. Erst als eine seiner Töchter sich schwer verletzte, zweifelt er an sich und der Vision, die ihn und seine Frau angetrieben hat Seine Kinder hingegen zweifeln nicht. Konditionierung oder freie Wille? Wer kann das schon sagen. Captain Fantastic jedenfalls zeigt sich kompromissbereit und bleibt gleichzeitig seiner Linie treu, wenn er den davon ziehenden Sohn dazu auffordert auch die Frauen zärtlich und respektvoll zu lieben, die er nicht liebt. Damit bemüht er sich wenigstens um die Umsetzung einer besseren Welt, was mehr ist, als man derzeit von seinen langweiligen Kollegen aus der Superheldenriege sagen kann.

Katharina Görgen