Kritik zu „ARRIVAL“ (US 2016)

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

Katharina Görgen

Arrival, oder: Wie die Geisteswissenschaften die Welt retten (Achtung: Spoiler)

Langsam fährt die Kamera über eine Wand, bevor sie das Fenster findet und damit den spektakulären Blick auf das Gewässer frei gibt, das so friedlich vor Louises Haus liegt. Doch die Frage, ob es mehr Naturschauspiel oder Sehnsuchtsort ist, verliert bald an Bedeutung, da die Menschheit sich nach der Landung von 12 unbekannten Flugobjekten fragen muss, ob unsere Erde überhaupt in dieser Form bestehen bleiben wird. Zumal niemand ihre Herkunft erklären kann, die Flugobjekte entziehen sich dem Stolz der Menschheit, der Wissenschaft.

Natürlich will auch der Amerikanische Staat wissen, worauf es sich vorzubereiten gilt und hat daher ein Team bestehend aus jeder Menge Militär und sehr wenigen Wissenschaftler/innen zusammengestellt. Für die Mission „Informationsbeschaffung“, für die auch die Sprachwissenschaftlerin Louise rekrutiert wird, sind folgende Erkenntnisgewinne zentral: Was wollen Sie? Und woher kommen Sie?

In dieser spannenden Ausgangskonfiguration versucht Louise, der mit Ian noch ein ‚richtiger‘ Wissenschaftler zur Seite gestellt wird und die schnell noch gegen alles Vorstellbare geimpft wurde, mit den Haptapoden mittels Sprache zu kommunizieren.

Dass Kommunikation nicht nur unsere einzige Option, sondern auch unsere stärkste Waffe ist, könnte – in Zeiten von Hasspredigten und Internettrollen, die immer nur einseitig kommunizieren – eine schöne Botschaft sein. Auch dass wir nicht davon ausgehen können, alles und jeden sofort verstehen zu können, sondern uns Sprache und Denkmuster erst aneignen müssen, was Zeit, Talent und Arbeit erfordert – all das wären großartige Themen gewesen. Doch Louise gewinnt die wichtigsten Erkenntnisse mitnichten über das Entziffern der faszinierenden Kreissprache der Besucher, sondern über das Schaffen einer Verbindung, die sie in deren Universum eintauchen lässt. Diese Verbindung entsteht vor allem über Berührung, was so ziemlich das Gegenteil von wissenschaftlicher Erkenntnis im klassischen Sinne ist. Damit macht es Louise zu einer Auserwählten, losgekoppelt von ihren Fertigkeiten und ihrem Fachgebiet. Das entbehrt nicht einer gewissen Konsequenz, da die Kulturwissenschaftlerin in mir große Bedenken bei der Gleichsetzung von Sprache und Wissen hat. Auch wenn es mich freut, in einer Filmkritik mal Ernst Cassirers Idee der Sprache als „Prägung zum Sein“ anführen zu können, so bedeutet ein durch Sprache geprägtes Weltverständnis eben auch nur ein von Sprache geprägtes Weltverständnis. Nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Warum aber die Tatsache, dass ich zirkuläre denke, auch die Gesetze der Zeit, die für uns alle bislang nur in eine Richtung läuft, aufheben soll, bleibt unerklärt. Ebenso wie die tatsächliche Entschlüsselung der Sprache der nebulösen Besucher. Relativ unvermittelt spricht Louises Tablet heptapodisch und kann Worte identifizieren, die nicht Teil des gemeinsamen täglichen Spracheerwerbs waren. Wie das? Die Wunder der Wissenschaft eben….

Und an genau dieser Stelle zerfällt die schöne Idee dieses Science-Fiction-Films, der sich einreiht mit vielen anderen Filmen, bei denen man zwar hoffen könnte, dass sie so klug konzipiert und geschrieben sind, dass man sie nicht verstanden hat, man aber eigentlich schon weiß, dass dem leider nicht so ist.

Es geht hier weniger um Spracherwerb und die Macht der Geisteswissenschaften als um Louises intuitiven Zugang zu den grauen Riesen.

Ihre wertfreie Beziehung zu den Außeririschen, die an Meereswesen und Elefanten gleichzeitig denken lassen, scheint ohnehin die eigentliche Geschichte des Filmes zu sein, was die unnötige und hochgradig unglaubwürdige Liebesgeschichte mit dem Wissenschaftler an ihrer Seite umso unnötiger macht. Dass der Mann, der hauptsächlich nach ihrem Befinden gefragt hat, vor dem ersten Date die Kinderfrage ins Spiel bringt, ist vielleicht der einzige wirkliche Gruselmoment des Films. Daran kann auch ein zirkulär aufgebautes Weltmodell nichts ändern.

Peter Scheinpflug

Punkt. Punkt. Komma. Strich. Fertig ist das Mondgesicht.

Obwohl sich das Feuilleton mit Lob für ARRIVAL überschlägt, war ich skeptisch. Ich konnte einfach François Truffaut nicht vergessen. Im Finale von Steven Spielbergs EINE UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART (US 1977) versucht die Menschheit, durch Töne und Lichtsignale mit Aliens zu kommunizieren, bevor das Militär aus Ignoranz und Angst einen überstürzten Angriff unternimmt. Geleitet wird diese humanistische Aktion von einem Wissenschaftler, den niemand geringer als François Truffaut spielt – einer der wichtigsten Vertreter der politique des auteurs und der Nouvelle Vague. Alles, was ich von ARRIVAL gehört hatte, klang sehr danach, als hätte man einfach Steven Spielbergs Schlusssequenz zu einem abendfüllenden Film entfaltet: Im Gegensatz zu gängigen Science-Fiction-Action-Blockbustern wie INDEPENDENCE DAY: WIEDERKEHR (US 2016) kommt ARRIVAL nämlich als bedächtiges Kammerspiel daher, das vor allem dadurch beeindruckt, dass es die erste Kontaktaufnahme mit Aliens ‚realistisch‘ durchspielen will. Daher ist die Hauptfigur auch kein Draufgänger, sondern eine Linguistin, die bereits Englisch, Persisch, Sanskrit und Mandarin beherrscht und nun auch noch die Sprache der Aliens erlernen soll.

Und damit sind wir beim zentralen Thema von ARRIVAL: Sprache prägt unser Denken und Weltbild, unsere Psyche und Gesellschaftsstruktur, unser Selbstbild und Fremdbild. Indem Menschen und Aliens mühsam die Sprache des jeweils anderen lernen, lernen sie nicht nur einander zu verstehen, sondern auch anders zu denken und die Welt anders wahrzunehmen. Leider kann hier nicht mehr zur Struktur des Films gesagt werden, um nicht die Schlusspointe zu verraten, die allerdings arg forciert als Offenbarung in Szene gesetzt wird, obgleich es sich um kaum mehr als einen sehr konventionellen dramaturgischen Kniff handelt, dessen Logik letztlich nicht ganz aufgeht und der zudem mit einem arg bedenklichen impliziten Fatalismus einhergeht. Nur so viel noch: Der Film begeistert außerdem durch eine unzuverlässige Erzählinstanz und das versierte Spiel mit unseren durch Konventionen geschulten Erwartungen, einprägsame Bildkompositionen und eine famose Amy Adams.

Getrübt wird der Gesamteindruck dieses ebenso unaufgeregt erzählten wie durchdachten Science-Fiction-Films jedoch durch das arg prätentiöse Arthouse-Cinema-Gehabe des Films. Wenigstens ist das Publikum vorgewarnt, wenn der Film bereits bei der allerersten Szene mit einer langsamen Aufblende, einer noch langsameren Kamerafahrt, Streichern, ‚natürlich‘ anmutender Lichtsetzung, viel Unschärfe im Bild und einem philosophierenden Voice-Over-Kommentar dem Publikum entgegenbrüllt, dass er ein Kunstfilm sein will. Und auch die intelligenten Ausführungen später über Sprache, Kultur und Identität kommen leider arg lehrstückhaft forciert daher.

Viel ärgerlicher als der Exzess an ausgestellte Abkehr von der Hollywood-Blockbuster-Norm ist aber, dass der Film teilweise erschreckend konservativ ausfällt. Besonders deutlich wird dies bei seiner Gender-Politik: Wieder ist es die Frau, die vor allem durch ihre Mutterrolle ergründet wird, die als das Andere der patriarchalischen Ordnung den Aliens näher steht und vor allem durch ihre Sinnlichkeit und Emotionalität glänzt. Den finalen ‚Durchstoß‘ beim Entschlüsseln der letzten Botschaft der Aliens leistet dann aber der Mann, der in die Materie mit Mathematik und Logik ‚eindringt‘. Auch bei nationalen Stereotypen sieht es wenig besser aus: Wieder einmal sind es die Amerikaner, die ebenso besonnen wie mutig die Welt vor der Selbstzerstörung retten, während gesichts- und damit identitätslose Russen und Chinesen sie als erste in Brand setzen wollen.

Diese Kritik gilt aber auch für das Genre-Repertoire des Films: Ein Blick darauf, dass auch in H. G. Wells wegweisendem KRIEG DER WELTEN (1898) die Außerirdischen bereits wie Kraken mit Tentakeln beschrieben wurden, offenbart, dass der Film – positiv gesehen – überaus traditionsbewusst ist und dem Publikum viele Anknüpfungspunkte bietet mit diversen Anspielungen und Zitaten – beispielsweise gemahnen die Raumschiffe der Aliens an den Monolithen in Stanley Kubricks stilbildendem 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM (UK/US 1968). Allerdings kann man diesen Befund auch negativ wenden: Der Film tritt zwar an, intelligent vieles anders zu machen als ach so viele andere Science-Fiction-Filme, dabei fährt er aber letztlich größtenteils doch nur alt/bekannt/e Genre-Versatzstücke auf. Auch, dass die Stimmen der Aliens wie Delphine und Wale unter Wasser klingen, kennen wir nämlich aus den Annalen des Science-Fiction-Films. Und ich bleibe dabei: Eigentlich denkt der Film nur die Schlusssequenz von Steven Spielbergs EINE UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART zu ihrem logischen Ende.

Zugleich ist der Film jedoch in seiner Grundstruktur und seinem überzogen kitschigen happy ending (zugegeben: wenigstens mit Verfallsdatum) furchtbar vorhersehbar. Dies kulminiert darin, dass die Protagonistin zwar erst am Ende des Films den Vater ihrer Tochter klar erkennen kann, ich es jedoch schon aufgrund altbewährter Hollywood-Konventionen seit dem ersten Treffen der beiden als Gewissheit vorausgesehen habe. Vielleicht soll das aber auch der Clou des Films sein: Indem er zugleich Altbekanntes re-inszeniert und vorhersehbar ist, fallen in der Rezeption tatsächlich Vergangenheit und Zukunft in eins.

Wenn am überkandidelt gefühlsdusseligen Ende von ARRIVAL trotz des überaus konventionellen Spannungsaufbaus mit intellektuellem Anspruch die Emotionen zur universalen und zeitlosen Sprache erklärt werden, die alles eint, hat dies einen solch ungeheuren Innovationscharakter, dass ich nachträglich wirklich wünschte, die Zukunft gekannt zu haben, als ich mich an der Kinokasse mit Katharina Görgen für einen Film entscheiden musste.

Obgleich es sich bei ARRIVAL zwar nicht um einen schlechten, aber eben um einen mit Blick auf seine Konventionalität und verschenkten Potenziale enttäuschenden Film handelt, ist er aufgrund seiner Grundaussage in Zeiten eines allseits erstarkenden Rechtspopulismus und um sich greifender Ängste aufgrund der so genannten Flüchtlings-‚Krise‘ ein gerade wegen seiner Konventionalität und dadurch ermöglichten Zugänglichkeit für ein breites Publikum überaus wichtiger Film.