Kritik zu „Right Now, Wrong Then“ (ROK 2015)

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

Katherina Görgen

Wann klappt es zwischen einem Mann und einer Frau? Wann wird aus einer Zufallsbegegnung ein Moment, der das Leben verändert und wann nicht? Vor allem die letzte Frage beantwortet der Film „Right Now, Wrong Then“ in langsamer Ausführlichkeit, indem er uns gleich zweimal zeigt, wie ein Tag mit den gleichen Voraussetzungen schiefgehen kann.

Die unsympathische Hauptfigur des Films ist ein Regisseur, der einen Tag zu früh zu einer Filmvorführung angereist ist. Es gilt 24 Stunden tot zu schlagen, und was bietet sich da mehr an, als in einem extrem schlecht besuchten Tempel die einzige Frau anzumachen, die alleine unterwegs ist. In Version 1 dieser Geschichte des Scheiterns ist der Tempel bereits eine Flucht vor der „zu hübschen Assistentin“, womit eigentlich auch schon alles über die Charakterstärke unseres Regisseurs gesagt wäre. Die junge Yoon Hee-jeong lässt sich aber von der Hybris des Künstlers doch genug beeindrucken, um einen Kaffee mit ihm zu trinken, der dann Anlass ist sich gegenseitig zu versichern, wie sensibel man doch wirkt. Wer hier schon so unangenehm berührt ist, dass er in der zweiten Version auf eine nettere Begegnung zwischen dem Ex-Model und dem großen Kreativen mit Kommunikationsproblem hofft, der wird bitter enttäuscht. In der zweiten Version des Tages versucht sich der Meister der Bilder als manipulatives Dreckschwein, indem er erst Einsamkeit in die Malversuche seiner Zufallsbekanntschaft hineinliest, um sich dann als verheirateter Seelentröster anzubieten.  Ich wünschte wirklich, ich könnte mit Sicherheit sagen, dass diese Masche niemals und unter keinen Umständen mit Erfolg belohnt wird, aber der Film sieht das anders. Nicht nur die alkoholtrunkenen Liebesschwüre werden vergeben, die durchaus vernünftig wirkende junge Dame schleppt den Schwerenöter auch noch mit zu ihren einzigen Freundinnen, damit er sie auch da so richtig blamiert (wobei die Freundinnen in dem unbestrittenen Höhepunkt der ersten Version den Regisseur gekonnt und sehr höflich auflaufen lassen). Die ewig langen Einstellungen steigern das Fremdschämen, da sie jede Form von Ablenkung von dem sich entfaltenden Elend verhindern. Das ist inhaltlich sicher konsequent, visuell aber wenig abwechslungsreich.

In welcher dieser beiden verstörenden Versionen irgendetwas richtig – „right now“ – sein soll, blieb mir verschlossen.

Peter Scheinpflug

Eine Ode an alltägliche Peinlichkeiten

Geschildert wird ein Tag im Leben eines Arthouse-Regisseurs, der für die Vorführung seines Filmes samt Gespräch im Rahmen eines Filmfestivals nach Suwon gekommen ist. Da er jedoch einen Tag zu früh angereist ist, vertreibt er sich die Zeit mit einer jungen Malerin. Diese kommt schrecklich naiv, devot und, ja, dümmlich daher. Er ist hingegen ein furchtbar arroganter, selbstverliebter und unsensibler Typ. Er wird mit jeder Minute des Films und mit jedem Schluck Alkohol, der reichlich im Film getrunken wird, immer unerträglicher, nämlich immer peinlicher, so dass man jedes Mal, wenn er den Mund öffnet, befürchten muss, sich zutiefst fremdschämen zu müssen. Er ist einfach ein ‚Arsch‘ wie aus dem wahren Leben gegriffen, ein ‚Arsch‘, wie jeder von uns einen kennt. Das ganze kann aber auch herrlich unterhaltsam sein, da beide Hauptfiguren sehr unbeholfen wirken und sich daraus eine wunderbare Situationskomik entwickelt. Es hilft freilich, wenn man mit Peinlichkeiten und moralischer Entgrenzung im Suff vertraut ist, um dem Film etwas Lebensnahes und Vergnügliches abzugewinnen.

Nach der letzten peinlichen Entgleisung des Protagonisten am nächsten Morgen startet der Film von vorne und erzählt eine alternative Version desselben Tages, die sich vor allem dadurch unterscheidet, dass die Malerin dieses Mal intelligenter, eigenständiger und ehrlicher in Szene gesetzt wird. Der Tag verläuft daher grundlegend anders, obwohl dieselben Stationen wie im ersten Teil durchlaufen werden. Obgleich diese Dramaturgie wenig originell ist, da wir sie in verschiedenen Varianten wie etwa …UND TÄGLICH GRÜßT DAS MURMELTIER (USA 1993), SLIDING DOORS (US/UK 1998) oder auch MELINDA AND MELINDA (USA 2004) kennen, nutzt Regisseur Sang-soo Hong wie bereits in seinen früheren Filmen das iterative Moment für ein herrlich süffisantes Spiel mit den Figuren, mit den Konventionen des filmischen Erzählens und vor allem mit unserem Rezeptionsprozess. So können wir das Verhalten und die Aussagen des Protagonisten im zweiten Teil noch leichter durchschauen dank des Wissens, das wir aus dem ersten Teil haben – und das obwohl der Film im zweiten Teil auf das Voice-Over der Hauptfigur verzichtet. So wird nicht nur fulminant vorgeführt, dass auch ein Voice-Over, das vermeintlich die Innerlichkeit einer Figur offenbart und uns diese näherbringt, als unzuverlässige Erzählinstanz fungieren kann. Darüber hinaus hält uns Regisseur Sang-soo Hong auch auf wunderbare Weise vor, wie wir die gleiche Situation mit unterschiedlichem Vorwissen grundsätzlich anders bewerten. Insofern hat der Film eine geradezu aufklärerische Funktion.

Langeweile muss jedoch niemand aufgrund der iterativen Struktur des Films befürchten, denn die Peinlichkeit der Hauptfigur wird im zweiten Teil sogar noch weiter gesteigert. Einige Szenen des ersten Teils werden im zweiten Teil so überspitzt variiert, dass der zweite Teil teilweise geradezu als Parodie des ersten Teils rezipiert werden kann. Mehr wird hier nicht verraten – denn es sind alles bitterböse Pointen –, aber so viel sei angedeutet: Dabei werden nicht nur ‚Subtexte‘ des ersten Teils ausbuchstabiert – etwa, dass das lächerliche Gespräch im Café über Sensibilität ein drum-herum-Reden war – und der Machismus des Protagonisten zur Kenntlichkeit entstellt, sondern die Figuren werden auch noch etwas lebensnaher gezeichnet, wodurch das Fremdschämen noch etwas arger wird, es sich aber auch zur Sympathie für eine Hauptfigur wandeln kann, die offenbar einfach keine Peinlichkeit auslassen kann.

Dass die Künstlerin allerdings auch im zweiten Teil den ganzen Tag mit dem Regisseur verbringt, obwohl sie ihn früh als ‚Drecksack‘ identifiziert hat, scheint eher der Dramaturgie, denn der Logik geschuldet zu sein.

Freilich, die Ästhetik ist ebenso avanciert wie strapazierend: Jede Szene besteht aus nur einer einzigen Einstellung. Schnitte gibt es nur zwischen den Szenen. Wer deshalb jedoch denkt, dass der Film als abgefilmtes Theater oder als statisches Kammerspiel daherkäme, hat weit gefehlt. Die Bildkompositionen sind ebenso erlesen wie gezielt eingesetzt. Man muss jedoch sehr genau hinsehen, wenn beispielsweise in der Szene im Atelier die Kamera im ersten Teil des Films so zoomt, dass die Künstlerin und der Regisseur beide im Bild sind, während die Kamera im zweiten Teil in derselben Szene näher als zuvor heran zoomt und zunächst nur die Künstlerin bei der Begutachtung ihrs Werkes zeigt. In vielen solchen kleinen Details unterscheiden sich Kameraführung und Bildkompositionen in den beiden Teilen deutlich und zeichnen ein anderes Bild von den Figuren.

Allein die schnellen Zooms, mit denen Großaufnahmen berwerkstelligt werden, können aufgrund der Unkonventionalität des Zooms irritierend in diesem ansonsten überaus ‚realistisch‘ aussehenden Film wirken. Zudem können sie die Aufmerksamkeit auf die Kamera lenken und dadurch das Publikum aus der fiktionalen ‚Welt‘ katapultieren. Man kann diese Momente jedoch auch als Sollbruchstellen verstehen, die das Publikum zur Distanz und vor allem zur Kritik an seinem Antihelden anregen können.

Für alle, die mit Peinlichkeiten bei zufälligen Begegnungen und/oder unter Alkoholeinfluss vertraut sind, handelt es sich um einen überaus charmanten und unterhaltsamen Film. Obwohl Regisseur Sang-soo Hong mit seinen ersten beiden Spielfilmen, THE DAY A PIG FELL INTO THE WELL (ROK 1996) und THE POWER OF KANGWON PROVINCE (ROK 1998), zwei wichtige Klassiker der jüngeren südkoreanischen Filmgeschichte geschaffen hat, werden ihn in Deutschland wohl leider nur wenige Cineasten oder Hardcore-Fans von Arte kennen, da der deutsch-französische Kultursender seinen Film HAHAHA (ROK 2010) ausgestrahlt hat. Man kann Sang-soo Hong nur wünschen, dass er mit RIGHT NOW, WRONG THEN, der für seine Verhältnisse relativ zugänglich ausfällt, endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die er fraglos verdient.