[N]Oh Alien! Über das Verschwinden des Extra-terrestrischen aus meiner digitalen Kommunikation

Ich habe eine Freundin, die vermittelt etwa 42% der Sinngehalte ihrer Botschaften über Emojis. Während ich noch im Zeitalter der Emoticons stecken geblieben bin – ja, ich male sie mit Nase – verziert sie ihre Nachrichten mit bunten Figuren in allen Formen und Farben. Das weiß ich, weil ich ihr oft über die Schulter schaue beim Schreiben. Doch in unsere private Chat-Kommunikation hat die vollentfaltete Lust der animierten Bildschriftzeichen erst vor einigen Tagen Einzug gefunden, als ich stolz mein neues Smartphone (Smartphone_03) in Betrieb nahm. Bis dahin hatte auf meinem Bildschirm die schwarz-weiße Einöde emotionsreduzierter Emoticons geherrscht, durchbrochen von vereinzelten Standard-Emojis. Der Smiley mit dem Schweiß am Auge. Der Affe mit den Händen. Die Aubergine. Das Kamel. Was einem so kommt. Und eben – der Alien. Der Alien mit dem Trauerflor.

Ein kurzer Rückblick. Eines der ersten Videos, das ich  im Modem-verkabelten-





(Pause zur Simulation der damaligen Übertragungsgeschwindigkeit von Videos)





-Internet gesehen habe, war ein Ein-Minüter von Victor Navone, bei der ein singender Alien zum Schluss (Achtung, Spoiler!) von einer Discokugel zerquetscht wird und dabei einen performativen Widerspruch zum Refrain von Gloria Gaynor liefert. (I will survive – Alien Song) Das Video war der Hit. Nur falls das im Nachhinein nicht mehr verständlich ist.

Mit einer ähnlichen Brutalität schlug das Leben aus der anderen Galaxie in der Ära Smartphone_02 in das kommunikative Leben mit meiner emojionalen Freundin ein.

Es fing an mit kleinen Störungen im Sinn unserer Kommunikationsakte. Immer wieder trudelten bei mir Botschaften ein, die sie zu meinem großen Unverständnis mit schwarzen Vierecken verzierte, aus denen heraus mich ein Außerdirdischer anstarrte. Er tat dies ohne Mund und mit dieser schräg gelegten Augenform, die in der klassischen westlichen Ikonographie der Physiognomie eindeutig unerfreut, irgendwie bedrohlich wirkt. Da mir eine prägende Sozialisierung mit Science-Fiction-Literatur oder -Film abgeht, assoziierte ich das Gesicht zunächst mit der Fratze eines Totenschädels. Doch auch als ich irgendwann im Stande war, E.T. aus der Vanitas-Symbolik herauszulesen, beruhigte das mein Gemüt nicht…

Wie wir (auch) von Ferdinand de Saussure wissen (http://www.kwi-nrw.de/home/5desaussure.html), ergibt sich die Bedeutung eines Zeichens durch Differenzbeziehungen zu den es umgebenden Zeichen. So weit, so gut. In der Literaturwissenschaft aufgepasst – und zack, als Strategie umgesetzt: so ging also auch ich auf die Suche nach den ihn umgebenden Zeichen, um mir die Bedeutung des Außerirdischen näher zu bringen. Leider waren die Ko- und Kontexte, in denen er auftauchte so unterschiedlich, ich will beinahe sagen: beliebig, dass ich an der semiotischen, hermeneutischen, … (ich hätte sie alle genommen, ob Gadamer oder Assmann) Herleitung schlicht scheiterte. Ich verstand ihn nicht und sie immer weniger.

Dabei war es eigentlich ganz einfach. Ich war an der Asymmetrie der Betriebssysteme gescheitert, die seit der Einführung von iOS 8.3 die Bilderzeichenwelt des allseits beliebten Chatdienstes bestimmte. Überall da, wo mein Smartphone einen Emoji nicht kannte, warf es mir einen Alien aus. Das ist inter-media-code-translational eigentlich ganz gewitzt: Das fremde (engl. „alien“) Zeichen wird zum Alien, der das universe-ll Unbekannte verkörpert. Der Trauerflor markiert die kapitalistische Sorge um die Widerständigkeit der Konsumentin, die sich des sukzessiven Sterbens ihres Apparatus noch zu entziehen können glaubt.

Wenn ich heute auf die glänzende Oberfläche meines neuen (naja, okay, gebrauchten) Smartphones der Ära_03 schaue, vermisse ich den Alien beinahe ein bisschen. Das Fremde ist aus meinem Gerät ausgezogen, die symbolisierte Unsicherheit jeder Kommunikation ist durch die scheinbare All(zu)verständlichkeit des Visuellen übertüncht worden. Und wenn mir der Alien heute noch begegnet, dann nur noch schleichend, mit erhobenem Finger, in seiner kulturkritischen Deklination: -ation.