Respondenz-Kritik zu „JASON BOURNE“ (USA/UK/CH 2016) von Katharina Görgen

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lesen!

 Ü40-Action
oder:
von Männern, die in Spiegel schauen

Eigentlich müsste man es unterstützen, wenn im Zeitalter des Jugend- und Schönheitswahns eine Action-Figur nach 10 Jahren noch einmal da weitermachen kann, wo sie einst das System besiegte. Auch wenn Männer in Hollywood ein wenig mehr altern dürfen als Frauen, so ist Matt Damon doch bereits seit geraumer Zeit in seinen besten Jahren. Seine Figur Jason Bourne ist anders als der Schauspieler nicht wirklich gut gealtert. Weder lässt sich das private Schicksal des zum Killer ausgebildeten und danach von Schuldgefühlen Getriebenen auf die komplexen Machtstrukturen des digitalen Zeitalters übertragen noch kann die ‚Genesis vor der Genesis‘ wirklich fesseln. Wenn Jason Bourne zwischendurch dennoch tiefgründig in den Spiegel starrt, dann ist das eine Pose, die wir von anderen Geplagten nur allzu gut kennen – und von Frauen, die mit ihrem Aussehen hadern, weil Frauen ja kaum andere Probleme haben. Bei Jason Bourne sind es selbstverständlich die wahren Probleme, die ihn umtreiben, ebenso wie wahre Männer nicht anders können, als sich ihrer Verantwortung zu stellen. Was oder wem gegenüber genau diese Verantwortung existiert, bleibt bis zum Schluss unklar.

Ist Bourne wirklich moralisch dazu verpflichtet den eigenen Vater zu rächen, der indirekt dafür verantwortlich ist, dass sein Leben fremdbestimmt war? Oder geht es um Gerechtigkeit? Darum, dass ein Staat gewisse Grenzen nicht übertreten sollte? Dass es in der Rahmenhandlung um ein neues Spähprogramm geht, das auf Daten aus dem Social-Media-Bereich zurückgreift, ist mutig angesichts einer Hauptfigur, die den Kampf Mann gegen Mann schätzt und nicht in der Lage ist, die ihm zugespielten Daten alleine zu entschlüsseln. Das ist auch einer der Gründe, warum die beiden großen Gegenspieler/innen – der Empathie nur aus dem Wörterbuch kennende Killer und die junge Karrieristin hinter dem Bildschirm – nicht als Teil einer Bedrohung für Bourne wahrgenommen werden können. Vielmehr scheinen alle Figuren ganz unterschiedliche Gründe dafür zu haben, den Überläufer unter Kontrolle bringen zu wollen. Was sie eint, ist allein die Tatsache, dass sie Bourne nicht das Wasser reichen können, was mehr als erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass er seit Jahren im Untergrund lebt. Auch wenn er sich mit Boxkämpfen fit und – Achtung Küchenpsychologie – die Vergangenheit in Schach hält, liefert der Film keine Begründung dafür, warum ein Mittvierziger, der nicht mehr im aktiven Dienst ist, von niemandem aus der nächsten (oder übernächsten) Generation besiegt werden kann. Die eindeutig zu langen Verfolgungsjagden geben einem viel Zeit darüber nachzudenken, warum eigentlich gerade wer wen verfolgt, und die Antwort ist fast nie befriedigend. Vincent Cassel als besessener Gegenspieler bekommt ebenfalls Gelegenheit tiefgründig in den Spiegel zu schauen und dabei die Striemen auf seinem Rücken zu zeigen. Zwei harte Jungs also, die hier gegeneinander antreten. Letztendlich hat der finale Kampf zwischen den beiden mit der Handlung um die CIA und den Datenschutz nichts mehr zu tun. Hier treffen einfach nur zwei vom Krieg Gezeichnete aufeinander, die sich in guter alter Manier bis zum bitteren Ende bekriegen. Mit den bloßen Fäusten und diversen Utensilien, die in der Gegend rumliegen. Das ist gute alte Action von sehr guten alten Männern (und ja ich meine Männer – Frauen spielen auch 2016 in den körperlichen Auseinandersetzungen keine Rolle), die einen Großteil des Publikums erleichtert aufatmen lassen dürfte: Auch Ü40 haben wir es immer noch drauf, Jungs. Der Figur Jason Bourne hätte man zugetraut besser zu altern und ein Mann zu werden, der mehr ist als seine Vergangenheit – die er schon einmal besiegt hat – und vor allem mehr als eine weitere Hollywoodfigur, für die letzten Endes nichts im Leben mehr zählt als das Erbe ihres Vaters.

Katharina Görgen