Kritik zu „PATERSON“ (US/F/D 2016)

Katharina Görgen und Peter Scheinpflug teilten sich für geraume Zeit ein gemeinsames Büro und lieben Filme über alles – nur nicht dieselben Filme. Dafür streiten sie sehr gerne. Und daher schreiben sie Kritiken zu denselben Filmen. Viel Spaß beim Lese

 

Katharina Görgen

Busfahrer gehören zu den Helden von Kindern in der Altersgruppe der 2 bis 6-Jährigen. Der große Jim Jarmusch versucht jetzt auch ältere Gruppen für das Berufsprofil zu begeistern, dem er mit der Figur Paterson einen ganzen Film widmet.

Paterson fährt durch Paterson, nachdem er morgens seine schöne Freundin wachgeküsst und sich ihre verrückten Träume angehört hat. Irgendwann macht er Mittagspause, fährt weiter Bus und versucht jeden Abend auf dem Nachhauseweg den Briefkasten zu richten. Nach einer kurzen sozialen Interaktion mit der von schwarz-weißen Mustern besessenen Lebensgefährtin lässt er sich von dem verhassten Hund um den Block ziehen, bevor er in seiner Kneipe auf einen Drink einkehrt. Verhaftet in seiner Routine, verbringt er auch Teile des Wochenendes an dem Ort, den er während der Woche zur Mittagspause nutzt. Ein wirklich schöner Ort mit Blick auf einen Wasserfall immerhin. Aber wer möchte das bitte sieben Tage die Woche?

Der Film ruckelt durch das Leben des Dreißigjährigen, der dann doch kein normaler Busfahrer ist, sondern sein Leben in Gedichten verarbeitet, die er in einem kleinen schwarzen Buch notiert und seiner Freundin vorenthält – dem Zuschauer leider nicht. Während Jim Jarmusch ihn auf dem Weg zur Arbeit durch markante Schatten schreiten lässt, erlaubt ein Voice-Over Einblicke in das kreative Schaffen, das vermutlich von klügeren Menschen als mir beurteilt werden sollte. Während Paterson sich Zeile um Zeile abringt, dekoriert seine Freundin jede freie Fläche des Hauses in schwarz-weiß, lernt Gitarre und erfindet neue – wenig wohlschmeckende – Gerichte. Dabei legt sie einen Enthusiasmus an den Tag, von dem der gute Paterson nur träumen kann. Man kann Adam Driver nicht wirklich vorwerfen, dass auch er an der Aufgabe scheitert, das Nachdenken visuell interessant zu gestalten. Ich möchte niemandem stundenlang beim Sinnieren zuschauen, was literarisch ambitionierte Busfahrer in Paterson einschließt.

Die teilweise charmanten Nebenfiguren, über die Paterson in seinem Alltag zwangsläufig stolpert, bleiben Teil der Kleinstadtkulisse, die Dialoge und Interaktionen wirken gestellt und theatralisch. Sie alle eint der Wunsch nach etwas Großem, das passiert, das kollektive Sehnen aus der Kleinstadtroutine hinaus: Jeder einzelne von ihnen imaginiert einen Feuerball als mögliche Option in die denkbar unspektakuläre Geschichte eines technischen Kurzschlusses im Bus. Das verrät viel über den Einfluss amerikanischer Actionfilme und über das Freizeitangebot der Stadt. Denn Jim Jarmuschs Film ist mitnichten eine Ode an die Kleinstadt oder den berühmten „kleinen Mann“, dafür sind die Dialoge zu künstlich, das Pärchen zu „arty“.

Ist es also ein Film über den amerikanischen Traum? Wird Paterson ein großer Chronist seiner Zeit und das Gedicht über die Streichholzschachtel auf dem Küchentresen irgendwann eine Ikone einer verlorenen Generation? Die sieben Tage, die wir mit dem netten Paterson verbringen, deuten nicht in diese Richtung. Wer sich also freuen möchte, dass er nicht in Paterson, sondern einer Stadt mit mehr kulturellem Angebot gelandet ist, dem sei der Film dringend empfohlen, alle anderen erleben wohl in zwei Stunden Busfahrt mehr, worüber es sich lohnt ein Gedicht zu schreiben.

Peter Scheinpflug

Noch ’n Gedicht

Der Film hätte durchaus einiges zu bieten: Durch den Protagonisten und das Sujet des Films  – wie Katharina Görgen eingehend darlegt – werden immer wieder kulturelle Vorstellungen zum Künstlertum und zur Kunstproduktion aufgerufen. So erleben wir beispielsweise, wie der Protagonist tagtäglich die Gespräche der Passagiere miterlebt und so sein poetisches Material aus dem ‚Leben‘ der Menschen schöpfen kann. Die Gedichte, die Paterson verfasst, sind jedoch überdeutlich als persönliche Äußerungen seines ‚Seelenlebens‘ markiert. Der Film scheint hier keine durchdachte Poetologie zu entfalten und wirkt in seiner Inhomogenität leider wenig herausfordernd oder anregend, sondern eher inkonsequent.

Ganz ähnlich verhält es sich bei dem nostalgischen Stadt- und Gemeinschaftsbild, das der Film entwirft: Gezeichnet wird eine ehemalige Industrie-Stadt, deren Ruhm wie ihre Bausubstanz längst verkommen ist. Um den Stolz und den Gemeinsinn der Bevölkerung aufrecht zu erhalten, werden große Persönlichkeiten zelebriert, die in der Stadt geboren worden sind oder dort tätig waren. Von deren Bekanntheit und Wert zehrt das vor Nostalgie triefende Narrativ, über das sich die Gemeinschaft definiert. Ergänzt wird diese Diagnose durch diverse Dialoge vor allem im Bus, durch die beispielsweise männliche Macht- und Machophantasien der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Aber auch daraus ergibt sich kein stimmiges Gesellschafts- oder auch nur ein Milieubild. Dies äußert sich auch deutlich in der Lyrik des Protagonisten, die wenig als Ausdruck oder gar Aufschrei eines Milieus taugt, das allerlei Anlass für Aufschrei und Protest hätte. Bestenfalls lässt sich der Film als bitteres Dokument der überaus fragilen Selbststilisierung durch überkommene Idealvorstellungen deuten, die jeder Realitätsprüfung zum Trotz bewahrt werden. Besonders deutlich wird dieses Motiv darin, dass der Protagonist die Künstlerambitionen seiner Freundin eher skeptisch zu betrachten scheint, während er selbst das seine in sich verschließt – und von der Kritik abschirmt, indem er die Gedichte jeder Leserschaft vorenthält und von seiner Freundin für sein Schaffen und sein Genie gelobt wird, obwohl sie keine Gedichte zu lesen bekommt. Da der Film zugleich die laienhafte künstlerische Produktion als Überlebensstrategie in dieser Tristesse zu zelebrieren scheint, kommt diese Kritik allerdings merkwürdig zahnlos und eben inkonsequent daher.

Der Film ist in vielerlei Hinsicht geradezu strapazierend unstimmig, ohne dass sich ein größeres Reflexionspotenzial erkennen ließe, das daraus resultierte. So stehen beispielsweise die Erzählhaltung des miterlebten Alltags des Protagonisten, der sich aufgrund der Routinen überaus unaufgeregt und, ja, eintönig gestaltet, im Spannungsverhältnis mit dem klischeehaft überzeichneten Bild einerseits seiner Freundin, die sich mit ungeheurer Naivität als Künstlerin aufspielt, und andererseits des Hundes der Freundin, der zum Widersacher des Protagonisten um deren Liebe anthropomorphisiert wird. Der Film befährt hier arg ausgetretene Pfade, die sich wenig in den Rest des Filmes fügen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem ebenso melodramatisch wie theatralisch ausfallenden Episoden zum Beziehungswirrwarr zweier Nebenfiguren, die allabendlich in einer Bar wie eine Daily-Soap ablaufen. Der Film kommt in diesen Episoden eher wie ein leichtfüßiges, überaus ironisches Spiel mit populären Figuren und Genre-Konventionen daher. Hier schimmert der auteur Jim Jarmusch auf, dessen ebenso locker-leichtes wie versiertes Spiel mit Genrekonventionen man aus Filmen wie Dead Man, Ghost Dog oder Only Lovers Left Alive kennt. Allein, dieses Mal wirkt dies ebenso wie die unsäglich vorhersehbare, weil so unglaublich konventionell herbeigeführte Klimax des Films, die hier nicht verraten werden soll, eher störend und irritierend, da es eingebettet ist in die überaus prätentiöse Schilderung der alltäglichen Tristesse des Protagonisten.

Früh im Film zeigt eine Detailaufnahme ein Bild des Protagonisten in militärischer Ehrenuniform mit einer beachtlichen Zahl an Auszeichnungen. Eine spätere Szene, in der Paterson mit überraschender Befähigung einen Mann in einem Sekundenbruchteil entwaffnet, lässt erahnen, dass Paterson auch mehr sein könnte. Leider gilt dies auch für den Film selbst, der sicherlich mehr hätte sein können. Wenn es jedoch Jim Jarmuschs Absicht gewesen sein sollte, uns als Publikum eben diese alltägliche Tristesse spüren zu lassen, die von dem verzweifelten Sehnen nach mehr und dem ungenutzten Potenzial für mehr bestimmt ist, dann hatte er mit seinem Film vollen Erfolg.