The Artist is Present. Die Ausstellung von Marina Abramović in der Bundeskunsthalle Bonn

Neulich unterhielten sich zwei Männer in der Linie 9, als der eine anfing, von der Bundeskunsthalle in Bonn zu sprechen. Die Frau von Roman Abramowitsch hätte wohl dort eine Ausstellung, und der Eintritt sei nicht mal teuer. Ich brauchte ein bisschen, bis ich begriff, dass er die serbische Performancekünstlerin für die Ehefrau eines bekannten russischen Oligarchen hielt. Der Name Abramović hinterlässt anscheinend (in unterschiedlichen Schreibweisen) nicht nur bei Medienkulturwissenschaftler*innen einen bleibenden Eindruck. Auf die Ankündigung ihrer Ausstellung Marina Abramović – The Cleaner folgte ein bemerkenswertes mediales Echo. Die Ausstellung beinhalte nicht nur zahlreiche Re-Performances – die Künstlerin sei teilweise sogar persönlich dort anzutreffen.

Die ersten Assoziationen zu Marina Abramović von MeKuWi-Studierenden kommen nicht von ungefähr – die meisten erinnern sich mit gemischten Gefühlen daran zurück, wie sie irgendwann im ersten Semester die Performance Lips of Thomas gesichtet haben (für alle, die es nicht kennen: Die Künstlerin isst dort unter anderem einen Kilo Honig, trinkt einen Liter Wein, ritzt sich ein Pentagramm in den Bauch, geißelt sich selbst, singt und legt sich auf Eisblöcke –  das alles selbstverständlich nackt und solange, bis das besorgte Publikum eingreift und die Performance unterbricht). Den latent überforderten Erstis steht ein ganzes Arsenal an Fragen ins Gesicht geschrieben: Ist sie des Wahnsinns? Was will sie damit sagen? Ist das Kunst oder kann das weg?

Doch für einige blieb es nicht bei diesem ersten Eindruck. Die Irritation verwandelte sich immer mehr in Faszination darüber, was Abramović zu solchen Aktionen antreibt. Auf diese Frage und auf viele weitere gibt die Ausstellung in Bonn Antworten. In verschiedenen Etappen werden die Besucher*innen durch das Oeuvre der Abramović geleitet und können durch die filmischen Ausschnitte ihre Performances erleben. Wie bei Lips of Thomas testet die Künstlerin bei nicht wenigen ihre physischen Grenzen aus; sie tanzt solange, bis sie umfällt oder schreit, bis sie keine Stimme mehr hat. Die ohnehin schon angespannte, aufgeladene Atmosphäre in einigen Ausstellungsabschnitten wird durch die gut hörbaren Schreie der mitgefilmten Szenen nervenaufreibend. Einige ihrer Performances haben einen ultimativ existenzgefährdenden Charakter: Sie forderte Besucher*innen einst dazu auf, mit einer Auswahl an Gegenständen ihr genau das anzutun, was sie wollen. Die Fotos zeigen den Tisch mit den verschiedenen Objekten, darunter Messer und Schusswaffen. Zuschauer*innen wurden zu Akteuren.

Einen wichtigen Teil der Ausstellung bilden auch die Werke mit ihrem früheren Lebenspartner, dem Künstler Ulay. Ihre zu zweit performten Projekte handeln häufig von Verantwortung und Vertrauen, wobei ständig die Möglichkeit besteht, dass sie sich gegenseitig verletzen könnten. Die Ausstellung zeigt die Beziehung von Ulay und Abramović als eine intensive, nomadische Reise, die in einer medienwirksam inszenierten Trennung auf der Chinesischen Mauer (und in juristischen Streitereien um die Rechte an den Performances) endete.  Doch Abramović zeigt längst nicht immer schmerzvolle Grenzerfahrungen: Immer wieder thematisiert sie Sexualität oder inszeniert Nacktheit und Fruchtbarkeitsrituale. Eine wichtige Konstante ihres künstlerischen Schaffens ist zudem Präsenz – das Prinzip ihrer eigenen Anwesenheit, der Ausdauer und der bewussten Wahrnehmung von Zeit ist für viele Performances wie The Artist is Present essentiell.
Die Erfahrung der leiblichen Anwesenheit und Präsenz der Akteure wird darüber hinaus durch die vielen Re-Performances ermöglicht, von denen einige wöchentlich stattfinden. Außerdem können die Besucher*innen bei der sogenannten partizipativen Arbeit mitmachen – hinter dem Begriff verbirgt sich beispielsweise das Sortieren und Zählen von Reiskörnern unter der Bedingung, dass man vorher Uhren und Handys einschließt und geräuschsdämpfende Kopfhörer aufzieht.

Der Rundgang durch die Ausstellung von Marina Abramović ist in jeder Hinsicht herausfordernd und es ist egal, ob man mit dem Werk der Grenzgängerin vertraut ist oder nicht – die Eindrücke sind zu komplex und die Performances zu intensiv, als dass sich die Besuchenden der Überforderung entziehen könnten. Dabei liegt ihre Genialität nicht ausschließlich in der Waghalsigkeit ihrer Aktionen, sondern auch in ihrer Originalität. In einer Performance isst Marina Abramović eine ganze Zwiebel, weint und beschwert sich über ihr Leben – dass eine Ausnahmekünstlerin über die Größe ihrer Nase jammert, schockiert vielleicht am allermeisten.

 

Wer sich die Ausstellung nicht entgehen lassen möchte, muss schnell sein: Sie geht nur noch bis zum 12. August 2018!
Alle weiteren Infos zur Ausstellung sowie die Termine zu den Re-Performances hier

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