Dokumentation oder Kunst? Fotografien im Spannungsfeld zwischen Kunst und Beobachtung

Der Junge auf dem Foto schaut direkt in die Kamera. Er scheint zu wissen, dass er fotografiert wird – aber noch nicht so richtig, was er davon halten soll. Gabriele und Helmut Nothhelfers „Junge auf dem Straßenfest“ ist das Aushängeschild der neuen Sonderausstellung im Museum Ludwig. „Doing the Document – Fotografien von Diane Arbus bis Piet Zwart“ ist das Ergebnis einer Schenkung der Familie Bartenbach und kann noch bis zum 06. Januar 2019 in dem Kölner Museum für Pop Art, Gegenwartskunst und vielem mehr gesehen werden.

Die gezeigten Exponate entstanden innerhalb einer langen Zeitspanne, die sich vom frühen 20. Jahrhundert bis heute erstreckt, und entstammen sowohl deutschen als auch amerikanischen Kontexten. Der Begriff der Dokumentarfotografie wird durch die Vielfalt der ausgestellten Werke neu durchleuchtet und verhandelt. Ein roter Faden der Ausstellung sind die Leitfragen, die sich vor allem darauf konzentrieren, inwiefern Dokumentarizität und Kunst vereinbar sind. Wo lässt sich eine Grenze ziehen zwischen einem dokumentarischen Zeugnis und einem künstlerischen Werk? Was genau ist der Anspruch dieser Art von Fotografie, und mit welchen Mitteln kann dieser erreicht werden?

Diese Fragen scheinen von jedem Foto anders beantwortet zu werden. Häufig sind es Menschen, die bewusst porträtiert oder in scheinbar unbeobachteten Momenten von der Kamera eingefangen werden. Eine explizite Inszenierung zeigt sich beispielsweise in den Bildern von Diane Arbus, die vor allem Personen am Rande der Gesellschaft in Szene setzt, darunter Travestiekünstler oder Prostituierte. Während Arbus in ihren Fotos das Besondere, Extravagante sucht, bilden andere Fotos die vermeintliche Normalität ab und spielen mit dem Moment der Beiläufigkeit – plötzlich werden die alltäglichsten Anblicke wie die „Subway Passengers“ von Walker Evans zum interessantesten Motiv. Doch so manches Foto in der Ausstellung, was auf den ersten Blick als absolut authentisches und unbearbeitetes Zeitzeugnis anmutet, entpuppt sich auf den zweiten Blick als nicht gänzlich ungestellt: Plötzlich scheinen Gegenstände merkwürdig arrangiert oder Menschenmengen künstlich angeordnet. Und fallen die Schatten der Bäume wirklich so symmetrisch? In „Doing the Document“ werden Nähe und Distanz hinterfragt und diskutiert – oft mit uneindeutigem Ergebnis.

Nicht immer stehen Menschen im Vordergrund der Ausstellung: Bei Candida Höfers jüngeren Werken sind es Innenräume der unterschiedlichsten Art, alle dadurch vereint, dass sich keine einzige Person in ihnen befindet. Während bei den Porträts oft der Eindruck evoziert wird, dass beim Fotografieren die Stopptaste der Zeit gedrückt wird, strahlen Höfers Innenräume so etwas wie Unveränderlichkeit und Konstanz aus. Andere Fotograf*innen dokumentierten statt Menschen Pflanzen, mal aus nächster Nähe und mal bewusst das Symmetrische in der Natürlichkeit suchend. Ein Herzstück der Ausstellung ist außerdem die Trinkhallen-Reihe von Tata Ronkholz, fotografiert vor allem im Rheinland und im Ruhrgebiet, welche nahezu allen Gästen ein Schmunzeln entlockt.

Es sind vor allem solche Fotografien, die die Besucher*innen zum Staunen und Diskutieren bringen, sind doch alle schon zigmal an den kleinen Büdchen vorbeigeschlendert, ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Doing the Document“ ist ernst, amüsant, detailreich und verblüffend – vor allem ist die Ausstellung aber für alle Personen zugänglich, ganz egal ob Fotoprofi- oder laie, ob Kunststudierende oder -muffel. Die Dokumentarfotografie schafft es, Kunst und unsere Wahrnehmung der Realität auf grandiose Weise zu vereinen und festzuhalten. Auch wenn der „Junge auf dem Straßenfest“ sich dessen wohl noch immer nicht sicher ist.

Weitere Infos zur Sonderausstellung „Doing the Document“ sowie Öffnungszeiten und Eintrittspreise gibt es auf der Homepage des Museum Ludwig.

Kleiner Tipp: Studierende der Kunst(geschichte) kommen gratis rein! Andere Studierende bekommen eine Ermäßigung. Am 1. Donnerstag im Monat können Kölner mit Personalausweis ebenfalls gratis in die Sammlung und zahlen für die Sonderausstellungen einen reduzierten Preis.

Termine für Führungen durch die Ausstellung