Mechanical Me. Vom Paradox sozialer Individualität

„Das Verlangen nach intensiver Individualität und Beachtung verschmilzt mit dem entgegengesetzten Extrem von Sicherheit durch Uniformität.“

… schreibt Marshall McLuhan 1953 in „Die mechanische Braut“. Kritisiert wird hier die von ihm beobachtete vorherrschende Präsentation von Frauen als begehrenswerte und dabei völlig einheitliche Objekte, die allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer einheitlich als erotisch angesehene Spezies zum Ausdruck einer gesellschaftlich zugewiesenen Macht vereinnahmt werden müssen.

Sogar gänzlich abgesehen von der umfassenden Anschlussfähigkeit dieser Aussage hinsichtlich jeglicher Gender-Diskussion fällt die anachronistische Relevanz des scheinbaren Paradoxes in unseren derzeitigen sozialen Feldern ins Auge. Klappe ich nun mein – nicht vorhandenes, da digitales – Notizheft zu und wende mich dem zu, was ich als Belohnung, als zerstreuenden Einschub anzusehen gelernt habe, sehe ich mich konfrontiert mit einer ganzen Welt an Paradoxen McLuhan’scher Art: Bilder von „Individuen“ zeigen ihre „Individualität“ vor allem dadurch, dass die Ausdrücke ihrer „Persönlichkeit“ so gefällig und homogen erscheinen wie es sonst nur das Frittierfett beim All-You-Can-Eat-Buffet schafft.
Sonnenuntergang reiht sich an #bookstagram, Katzenpfote an #inspirationalquote. Der kanonisierte Katalog des Persönlichkeitsausdrucks schafft ein In-Dividuum, ein einziges Nicht-Teilbares, dem wir uns zugehörig zeigen, weil die konsequente Individualität nicht unseren Drang nach Anerkennung befriedigen kann. Alles soll HIER, JETZT, ICH geschehen und von anderen nicht nur akzeptiert, sondern bitteschön auch allgemein für gut befunden werden. Doch unsere Sehnsucht nach der Wattebauschwelt endet nicht in dem, was wir Sozial nennen, es hat sich bereits über Jahrzehnte, Jahrhunderte hinweg in uns so eingefressen, dass ein völliger Verzicht auf diese Art von Kommunikation nicht den gewünschten Ausweg liefert. Auch abseits von der direkten Interaktion digitaler Konfigurationen muss unser Leben universell akzeptabel erscheinen, wenn nicht gar massenhafte ekstatische Ausbrüche des Jubels hervorrufen. Hier heißt der Maßstab dann doch tatsächlich besagte  „intensive Individualität“, die nur durch die Suche nach „Sicherheit durch Uniformität“ erlangt werden kann. „Be Yourself!“ Aber bitte nur so yourself, wie alle anderen auch one self sind.

Ist das dieser von Flusser angegriffene Mangel an Techno-Imagination? Das „kollektive Augenschließen, diese stumme Verschwörung mit dem Apparat gegen die Zukunft“, wegen der einst die Maschinen die Macht über die Menschen übernehmen werden, wenn nicht bereits haben? Flusser schreibt immerhin Ende der ´70er Jahre, nicht auszudenken, was uns seitdem alles entgangen sein könnte. Womöglich sind die universell akzeptierten, medial aufbereiteten Ausdrücke der individuellen Gesellschaft ja auch nur Teil einer höheren Macht. „Niemand kann so perfekt aussehen.“ „Fake.“ Wer weiß, vielleicht sind wir ja Teil unserer eigenen Matrix und die Simulation Baudrillards ist bereits perfekt.