Ein feministisches Filmgespräch von Katharina Saga und Ivana Himmelreich über die Trope „Born Sexy Yesterday“ und die bizarre Frauenfigur in The Fifth Element (1997)
Korben Dallas (Bruce Willis), ehemaliger Elitekämpfer beim Militär, jobbt im Jahr 2214 als Taxifahrer in New York City und träumt von der perfekten Frau. Wie es der Zufall will, fällt ihm kurz darauf die nahezu perfekte Frau Leeloo (Milla Jovovich) in den Schoß. Sie muss als höheres Wesen die Welt retten und benötigt dabei Korbens Hilfe. In diesem (nicht spoilerfreien) Filmgespräch reden Ivana und Katharina über die Trope „Born Sexy Yesterday“, die der Film nutzt – und damit über die übersexualisierte und gleichzeitig infantilisierte Frauenfigur.
Katharina (K): Wer The Fifth Element geschaut hat, weiß: Die weibliche Protagonistin Leeloo ist definitiv eine superinteressante und diskussionswürdige Rolle – ist sie doch einerseits eindeutig als Frau codiert, aber auch als übernatürliches Wesen. Du bist auf den Begriff „Born Sexy Yesterday“gestoßen, der sich auf eine ganz bestimmte Darstellung von Weiblichkeit bezieht. Er stammt aus einem Youtube-Video von „Pop Culture Detective“[1], das einen feministischen Blickwinkel auf Filme zeigt, der einem nicht sofort ins Auge springt.
Ivana (I): „Born Sexy Yesterday“ beschreibt weiblich codierte Figuren, die bisher wenig oder keinen Kontakt mit der menschlichen Welt hatten. Sie sind zum Beispiel in der Wildnis aufgewachsen oder sie waren bis vor kurzem Meerjungfrauen. In The Fifth Element ist Leeloo ist eine Außerirdische, die zum ersten Mal die Erde betritt. Solche Figuren wirken dementsprechend unerfahren und hilflos. Es wirkt, als wären sie „erst gestern“ geboren worden. Gleichzeitig haben sie aber ausgewachsene, geschlechtsreife Körper, die übersexualisiert dargestellt werden – daher kommt der Begriff „Born Sexy Yesterday“. Das männliche Pendant kann nun einspringen und ihr die Welt erklären.
K: Diese Art, eine heterosexuelle Beziehung einzuleiten, kommt mir auch aus anderen Filmen bekannt vor. Aber Leeloo ist ja kaum hilflos – sie hat übernatürliche Fähigkeiten und ist selbst das fünfte Element, also quasi das Übernatürlichste, was man in dieser Welt sein kann. Trifft die Trope auch auf sie zu?
I: Ja, Leeloo wird als mächtiges Wesen inszeniert. Sie ist aber auch alleine in einer fremden Welt, deren Sprache sie nicht spricht. Sie weiß nicht, wie mächtig sie wirklich ist. Und sie weiß auch nichts von ihrer eigenen Sexualität. Das zeigt sich vor allem in den Szenen, in denen sie sich völlig unbedarft vor anderen Männern umzieht. Die empfinden diese Situation dann einerseits als „socially awkward“ – sind aber gleichzeitig völlig hingerissen von ihrem vermeintlich perfekten Körper.
K: Da drängt sich natürlich sofort das auf, was Laura Mulvey mit dem Male Gaze beschreibt, der ja in dem Fall ganz stark durch den Blick der männlichen Figuren in den Szenen etabliert wird. Besonders prägnant fand ich das bei der Stelle, als sie sich ausgerechnet vor zwei Geistlichen auszieht. Es wird suggeriert, dass selbst diese absolut frommen Männer sich ihrer Wirkung nicht entziehen können. So nach dem Motto: „Sie ist so vollkommen, dass selbst ein Priester gar nicht anders kann, als sie als Objekt seiner sexuellen Begierde wahrzunehmen.“
I: Wobei das hier auch ganz stark durch die Kameraführung kommt, die langsam über Leeloos spärlich bekleideten Körper fährt. Sie trägt ja nur so eine Art Badeanzug mit Strumpfhose. In der ersten Szene, in der wir sie sehen, trägt sie sogar nur ein paar weiße Stoffstreifen. Ich meine, warum ziehen die der nicht mal was an? Wird jemals begründet, warum sie solche Kleidung trägt?
K: Die Klamotten könnten Ausdruck ihrer Individualität sein, da sie die Farbe Orange besonders zu mögen scheint. Wenn man diese Stoffstreifen ein bisschen abstrahiert, erinnern sie auch ein bisschen an Windeln, was auch zu der Szene passt – immerhin sieht man ja so etwas wie ein Geburtsszenario. Man könnte sagen, sie ist nicht nur wie für ihn gemacht, sondern frisch für ihn geboren worden.
I: Der Film suggeriert, dass das Alter einer Frau sie „verkommen“ lässt. Die Schauspielerin Milla Jovovich war zwar auch erst 22 Jahre alt, aber eine infantilisierte Figur, die mental nur wenige Tage alt ist, scheint noch reizvoller zu sein.
K: Es wird ja schon bei der ersten Begegnung zwischen den beiden suggeriert, dass sie so rein und vollkommen ist, weil sie gesellschaftlich und auch auf sexueller Ebene völlig unverdorben und unbeschrieben ist. Und damit steht sie ja im Gegensatz zu Korben Dallas, der als eigenwilliger Soldat schon viel durchgemacht hat. Ist das nicht am Ende auch so, dass er sie in die Welt der Sexualität instruiert? Ein Mansplaining für Aliens.
I: Da ist schon eine starke Ungleichheit zwischen den beiden. Sie ist ein unbeschriebenes Blatt; er kann sie also nach eigenen Wünschen manipulieren. Und sie ist vollkommen von ihm abhängig.
K: Wo wir von Korben sprechen – wir wollen ja nicht nur die Frau besprechen, denn Weiblichkeit definiert sich im Film leider meistens in Abgrenzung zur Männlichkeit – was für eine Art Held ist Korben?
I: Korben ist ein narzisstischer Einzelgänger, ehemaliger Soldat und eigentlich nicht wirklich herausstechend. Er ist maximal männlich – die einzige Frau in seiner Umgebung ist seine keifende Mutter, mit der er gelegentlich telefoniert. Aber er muss auch keine besonderen Fähigkeiten haben, um Leeloo beeindrucken zu können. Denn: Er weiß, wie man Mensch ist. Und das reicht. Da er der erste Mann ist, denn sie je trifft, ist er für sie makellos. Denn sie kann ihn ja mit niemandem vergleichen. Und weil Leeloo nicht mal seine Sprache spricht, muss er nicht mal mit ihr reden…praktisch!
K: Zumal er ja auch sonst nur mit seiner etwas zynischen Mutter telefoniert, die ihn immer zutextet. Leeloo ist das genaue Gegenteil – die sagt nur sowas wie „boom bada boom“.
I: Dies sind die ersten und einzigen Worte, die Leeloo an Korben während ihrer ersten Begegnung richtet. Kurz darauf ruft er schon seinen Kumpel an, um ihm mitzuteilen, dass er die perfekte Frau gefunden hat. Da stellt sich die Frage, ob seine Erwartungen so niedrig waren, oder ob ein Kind in einem Frauenkörper tatsächlich die perfekte Frau ist. Korben scheint sie aufgrund ihrer Unbeholfenheit zu idealisieren. Und sich so auch vieles herausnehmen können. Ein Kuss, während sie am Schlafen ist, zum Beispiel.
K: Der Film scheint viel mit ihrer Andersartigkeit rechtfertigen zu wollen. Wäre sie ein normaler Mensch, würde sie diese Unerfahrenheit wohl eher unattraktiv machen. Das Mysteriöse und Überirdische an ihr scheint sie jedoch wieder interessant zu machen. Wäre sie jedoch ebenfalls als klug und erfahren inszeniert worden, würde sie wohl zu übermächtig wirken. Sie braucht diese Schwachstellen, damit ein männlicher Held einspringen, den Tag retten, und sich in sie verlieben kann.
I: Dass sie am Ende des Films die Welt retten kann liegt tatsächlich nur an Korben: Durch ihre Liebe zu ihm erkennt sie den Wert des Lebens. Mit einem Kuss überzeugt der Held sie, die Erde trotz ihrer Makel zu retten.
K: Ich frage mich, wie man die Figur hätte inszenieren können, ohne die Trope „Born Sexy Yesterday“ zu etablieren? Gibt es einen Weg, die Ungleichheit der beiden Figuren auszumergeln und den Plot dennoch interessant zu halten?
I: Ich find es prinzipiell nicht problematisch, wenn eine Figur einer fremden Welt ausgesetzt ist. Das fragwürdige beginnt in dem Moment, in dem die Figur sexualisiert wird. Nicht jeder Film braucht nackte Frauen und Romanzen.
K: Stimmt. Ihre Andersartigkeit könnte man primär auf die Handlung beziehen, anstatt auf die körperliche Anziehung der beiden Hauptfiguren.
I: Man muss auch nicht komplett auf eine Liebesgeschichte verzichten. Diese würde sich im Idealfall jedoch über den Filmverlauf entwickeln. In The Fifth Element küssen sich die beiden schon am ersten Tag. Das ist zu früh. Sie wird von den zahlreichen sexualisierten Gefühlen ihr gegenüber regelrecht überfallen. Sie kennt die Konventionen der Welt noch nicht und kann noch zu einfach manipuliert werden. Auch ist sie noch zu abhängig von ihm. Die Liebesgeschichte an das Ende des Films zu setzen würde die beiden auf Augenhöhe setzen.
The Fifth Element (Originaltitel: Le Cinquième Élément) von Regisseur Luc Besson ist 1997 erschienen. Streamen könnt ihr den Film unter anderem bei Netflix und Amazon Prime.
[1] „Born Sexy Yesterday“. Video Essay von Jonathan McIntosh, eingestellt von Pop Culture Detective. Youtube (hochgeladen am 27.04.2017), 18:13 min. Aufgerufen am 08.03.2021, https://www.youtube.com/watch?v=0thpEyEwi80