Das Herz links außen und queer

Wie Sookee mich zum Feminismus brachte.

Alles begann an einem Tag wie jeder andere. Auf der Suche nach interessanter Musik durchstöberte ich eine Videoplattform, hangelte mich von Lied zu Lied und ließ mich von den Vorschlägen inspirieren. Ob es der Songtitel Zusammenhänge war oder die wütend blickende Person im Vorschaubild? Ich weiß es nicht mehr. Ein Klick, das Lied begann und Sekunden später saß ich gefesselt vor dem Bildschirm. Der Beat, aber besonders der Text ließ mich nicht los. Mir gefiel der aggressive Sprechgesang gepaart mit einem klaren, aber niveauvollem Text. Auch wenn durch späteres Lesen und Verstehen der Lyrics mir erst etwas später bewusst geworden ist, wie viele Facetten angesprochen werden: Das Lied war meine erste bewusste Auseinandersetzung mit feministischen Themen und Sookee die erste Person für mich, welche ich – über die Medien – näher kennenlernte, die in der Queer-Szene aktiv ist. Je mehr ich zu ihrer* Persönlichkeit recherchierte du zahlreiche Interviews anschaute, desto mehr wuchs mein Respekt und meine Bewunderung für Sookee.

Drei Jahre nach Sookees Geburt 1983 flüchteten die Eltern von Nora Hantzsch – so ihr bürgerlicher Name – aus politischen Gründen aus der DDR nach Westberlin. Zwar unterstützten Sie die Idee des Sozialismus, waren aber gegen die Repressionen in der DDR und konnten sich in ihrer Vorstellung vom Sozialismus nicht in dem Modell der DDR wiederfinden. So war ihr Vater sogar eine Zeit lang im Gefängnis, weil er den Dienst an der Waffe verweigert hatte. Ihre auflehnende, renitente Art hat sie laut eigener Aussage von ihrer Mutter. Beeinflusst durch ihr Studium der Linguistik und Gender Studies in Berlin, verarbeitet Sookee unter anderem Kapitalismuskritik und Feminismus in ihren Texten und stellt sich offensiv gegen Diskriminierung und Rassismus. Dabei startet ihre Rapkarriere nicht mit politischen Texten. Ihr erstes Solo-Album Kopf, Herz, Arsch ist textlich mehr dem klassischen „bösen“ Image von Rap zuzuordnen. In einem ihrer späten Lieder Lernprozess kritisiert sie eines ihrer eigenen Lieder aus der damaligen Zeit Untitled:

Auch Untitled ist gut gemeint doch sprachlich problematisch
Heute geht der Track in meinem Ohr fast gar nicht
Soviel Explizites find ich jetzt echt schwierig
Dis is’ fast RTL2 frag mich wo der Text noch deep ist
Warum einen Übergriff noch sexualisieren
Und dis meint sicher nicht die Gewalt zu ignorieren
Ist die Sensation auch von Tränen überflutet
Bleibt an der Sensation dennoch wenig Gutes
Dem Opfer hilft es nichts die Details zu besprechen
Auch damit kann man sich bei weitem nicht rächen […]

Erst 2008, knapp fünf Jahre nach ihren ersten Schritten als Rapperin, schlägt ihre Rapkunst, sensibilisiert durch ihr Studium und ihre Biografie, eine politische und feministische Richtung ein. Doch bei ausgesprochenen Worten bleibt es bei ihr nicht: So engagiert sie sich bei der Bewegung smash homophobia oder war an der Organisation des Slutwalks 2011 beteiligt, die sich gegen die Perspektive der Täter-Opfer-Umkehr bei sexueller Gewalt stellt. Daneben scheut die Quing of Berlin – ein weiteres Pseudonym von ihr, dass auf ihre nicht binäre Identität hinweist – zu keiner Podiumsdiskussion oder Interview zu ihren Schwerpunkten Gender, Feminismus und Antikapitalismus eingeladen zu werden. Als Künstlerin feiert sie beachtliche Erfolge: Ihr Album Mortem & MakeUp, welches 2017 erschien, war für eine Woche in den deutschen Album-Charts.

Dabei wurde die 37-jährige von verschiedenen Seiten kritisiert. So seien ihre Raptexte zu akademisch oder sie berücksichtige in ihrem Lied Pro Homo nicht die nichtbinären Geschlechteridentitäten. Dass ihre Texte nicht eine Hülse von leeren Kaskaden oder Beleidigungen darstellen, ist für ein Genre, dessen Image immer noch stark durch den Gangsta-Rap beeinflusst wird, eine wohltuende Abwechslung mit wichtigen Gedankenanstößen. Ende 2019 gab Nora Hantzsch bekannt, ihre Karriere als Sookee zu beenden. „Ich gebe weder als Musikerin auf, noch gebe ich als Feministin auf. Ich hab‘ nur kein Interesse mehr daran, mich einer Industrie zur Verfügung zu stellen, die ihre Antagonistin braucht“, erklärte sie im Dezember 2019 dem Deutschlandfunk. Sie fühle sich von der kapitalistischen Musikindustrie als feministische Musikerin zu sehr vereinnahmt. Musik produziert sie aber weiterhin unter ihrem neuem Pseudonym Sukini, mit dem sie mit musikalischem Rap Kinder im Grundschulalter ansprechen möchte. Ihre Ideale und kritische Haltung, welche sie in ihren Texten als Sookee verarbeitet hatte, sind aber geblieben.

Somit ist Sookee meine Einstiegstür für die Themen Gender und Feminismus gewesen, bevor ich an der Universität im Zuge meiner Studiengänge und meiner Dozierenden mich noch stärker damit auseinandersetzte. Mein Respekt gilt dabei vor allem ihrer offenen und ehrlichen Art in Interviews, in der es für sie keine Tabu-Themen zu geben scheint. So erzählt sie ganz offen im Gespräch mit Sissy Metzschke im MDR auf die Frage, ob sie schonmal bei einem Psychologen war, dass sie mit 13 oder 14 ihre ersten Therapieerfahrungen gemacht habe und bald mit Unterbrechungen ihre 20 Jahre voll habe. So offen geht sie mit unterschiedlichsten Themen um und lässt die Hoffnung wachsen, dass heutige Tabu-Themen durch ihre Enttabuisierung zukünftig ihre Aura des Schweigens verlieren.

Bild: Das Werk, „Sookee_Portrait“, ist abgeleitet von „Sookee“ von Mario Thieme/CC BY-SA 3.0 DE. Bearbeitung: Lucas Lorenz, CC BY-SA 3.0 DE.

* Da Sookee auf ihrer eigenen Webseite über sich von „ihr“ und „sie“ schreibt, verwendet der Text hier diese Personalpronomina, obwohl sie sich als nicht-binäre Person identifiziert.