Zwischen Showbühne und Freiheitskampf – Die vielen Leben der Josephine Baker

Eine junge Frau posiert auf einer Fotografie aus den 1920er Jahren. Sie trägt auffallenden, funkelnden Schmuck: Perlenketten um den Hals, große, herabhängende Ohrringe, Armbänder und Sandalen. Und sonst kaum etwas. Nur ein weiteres Accessoire sticht hervor: ihr Rock. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass er rundherum aus mit Strass besetzten Stoffbananen besteht. Das also ist Josephine Baker in ihrem berühmt-berüchtigten „Bananenrock“. Ich bin neugierig und schaue mir Videos von ihrem „Danse Sauvage“ an: Mit ebengenannten Rock betritt sie die Bühne in einer Dschungel-Kulisse und beginnt zu tanzen. Sie lässt die Hüften kreisen und bewegt immer mehr ihren ganzen Körper. Neben ihr trommelt ein Mann, der lediglich einen Lendenschurz trägt. Mir klappt der Mund auf. Ich bin geschockt. Was bringt eine Woman of Color dazu, in einem Bananenrock zu tanzen und in einer eindeutig rassistischen Inszenierung aufzutreten? Bedient sie damit nicht die verschiedensten Ressentiments?

Um das zu klären, müssen wir erst einmal zurück an den Anfang: Freda Josephine McDonald wird 1906 in St. Louis, Missouri in den USA geboren und wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater verlässt die Familie und ihre Mutter muss, allein auf sich gestellt, fortan die Familie ernähren. Josephine muss die Schule frühzeitig abbrechen und bereits als Kind mitarbeiten, um die Familie finanziell zu unterstützen. Rassismus erlebt sie schon sehr früh, wobei sie später erzählt, dass sie ein bestimmtes Ereignis besonders geprägt hat. Denn mit elf Jahren erlebt Baker, wie ein Pogrom in St. Louis abgehalten wird, bei dem circa 100 People of Color ermordet werden. Bereits mit 13 Jahren heiratet sie das erste Mal, kurz danach folgt die Scheidung und zwei Jahre später folgt Ehe Nummer zwei. Drei weitere Ehen sollen im Laufe ihres Lebens noch folgen und auch die letzte Ehe endet mit einer Scheidung. Aus Ehe Nummer zwei behält Josephine ihren Nachnamen „Baker“ und ihr Bühnenname „Josephine Baker“ ist geboren.

Die ersten Erfolge als Entertainerin hat sie schon als Teenager. Mit gerade einmal 16 Jahren tritt sie in der Revue-Show „Chocolate Dandies“ auf. Dabei wird sie entdeckt und für die Tanzgruppe „La Revue Nègre“ engagiert. Während einer Show im Pariser „Théâtre des Champs-Elysées“ tritt die 19-jährige Josephine, lediglich mit Federn und Perlenketten bekleidet, auf und begeistert das Publikum mit einem Charleston, der in Europa noch weitestgehend unbekannt ist. Von da an geht ihre Karriere richtig los und sie tourt mit der Revueshow quer durch Europa. Außerdem bekommt sie als eine der wenigen Women of Color zu der Zeit Hauptrollen in verschiedenen französischen Filmen wie „Sirenen der Tropen“ (1927) und „ZouZou“ (1934), wodurch sie noch bekannter wurde.

Kommen wir zurück zum „Bananentanz“: Das Bild von Baker im Bananenrock, ist eins der bekanntesten, wenn nicht das bekannteste aller Zeiten von ihr. Josephine liebt es, mit Klischees zu spielen und für Aufregung zu sorgen; das Publikum hat sie dafür entweder vergöttert oder mit Entsetzen betrachtet. Dieses Entsetzen geht teilweise sogar so weit, dass sie in manchen Städten nicht mehr auftreten darf. In München erhält sie beispielsweise Auftrittsverbot mit der Begründung, dass eine „Verletzung des öffentlichen Anstands“ zu erwarten wäre. Platt gesagt: Ihre Shows seien zu anzüglich, zu provokativ und sie zu nackt.

Nicht nur auf der Bühne versucht sie für Aufregung zu sorgen. Ob Gassi-Gehen mit einem Leoparden, im Straußengespann durch Berlin fahren, eine Ziege in der Umkleidekabine oder ein Schwein im Nachtclub, Baker treibt ihre Selbstinszenierung gerne auf die Spitze. Sie parodiert auch die amerikanische Minstrel-Show, in der People of Color auf rassistische Weise reduziert werden, indem sie mit schwarz angemaltem Gesicht, weißen Lippen und Clown-Schuhen auftritt. Und auch privat schafft sie es immer wieder die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu ziehen: Ihre Bisexualität lebt sie offen aus, obwohl es zu ihrer Zeit als Tabu gilt und auch ihre Familie ist Teil der Inszenierung ihres Lebens. Im Laufe der Jahre adoptiert Baker insgesamt zwölf Kinder, alle aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Religionen zugehörig. Sie nennt ihre Familie selbst „Regenbogen-Familie“ und setzt damit ein politisches Zeichen, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft und Religion friedlich wie eine Familie zusammenleben können und sollten. Aus ihrem Schloss in der Dordogne in Frankreich und ihrer „Regenbogen-Familie“ macht sie schließlich eine Touristenattraktion. Sie selbst ist viel unterwegs und die Erziehung der Kinder ist damit ihrem dritten Ehemann Jo Bouillon und verschiedenen Nannies überlassen. Josephines Lebensstil ist nicht gerade günstig und sie verschuldet sich, sodass das Schloss 1968 zwangsversteigert wird.

Die Biografin Mona Horncastle sagt über Baker: „Sie hat 1925 erkannt, dass sie ein Klischee bedient, nämlich sexy, schwarz und amüsant. Und dass sie damit Erfolg haben kann.“ Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Sie überzieht die Inszenierung ihrer Persona derart, um ihrem Publikum den Spiegel vorzuhalten. Sie präsentiert den Menschen das, was sie von ihr erwartet haben, macht sich diese klischeehaften Rollen aber zu eigen und entkräftet diese rassistischen Vorstellungen sogar vielleicht genau damit. Viele Menschen reagieren schockiert über Josephine und ihr Auftreten, im gleichen Moment aber wird sie in deutschen Kritiken beispielsweise mit verschiedenen Tieren, von Ente und Känguru bis hin zu Giraffe und Affe, verglichen. Für mich spielt sie also bewusst mit der Objektifizierung von Women of Color in ihren Aufführungen. Es steht fest, dass Baker so gut bezahlt wird, dass sie mit nur 20 Jahren wahrscheinlich mehr verdient als jede*r andere Entertainer*in Europas. Also steht außer Frage, dass sie den rassistischen Aufführungen auch wegen der Bezahlung zustimmt. Dennoch: Ob Schiel-Performance, Spazierengehen mit einer Raubkatze oder Tänze im Bananenrock, ich persönlich sehe in ihren Auftritten auf der Bühne und in der Öffentlichkeit aber auch pure Ironie.

Ehe Nummer vier verleiht ihr 1937 die französische Staatsbürgerschaft, sodass sie sich während der Besetzung Nordfrankreichs durch die Nazis im unbesetzten Teil des Landes befindet. Und genau an diesem Punkt beginnt ein Abschnitt ihres Lebens, der vielen bis heute nicht bekannt ist. Josephine Baker hat Kontakt zur französischen Widerstandsbewegung „Résistance“ und lässt sich von ihnen schließlich zur Agentin der französischen Geheimpolizei ausbilden. In den folgenden Jahren schmuggelt sie so unsichtbare Botschaften auf ihren Notenblättern und in ihrem Show-Gepäck über die Grenze. Wer hätte schon gedacht, dass das Showgirl Teil einer Untergrundbewegung ist? Die Nazis jedenfalls nicht. Gemocht haben sie sie ohnehin nicht und Auftritte in Deutschland waren ihr untersagt. Außerdem macht sie einen Pilotenschein und arbeitet für das französische Rote Kreuz. 1944 steigt sie dann auf als Propaganda-Offizierin bei der Luftwaffe des Freien Frankreichs. In dieser Zeit versteckt Josephine außerdem jüdische Flüchtlinge in ihrem Schloss vor den Nazis. Nach dem Krieg wird sie dann für ihre Dienste mehrfach ausgezeichnet. Auch in ihrer Zeit als Spionin wird deutlich, dass Baker gerne mit Klischees spielt: Eines Tages bekommt sie Besuch von zwei Deutschen in ihrem Schloss, die scheinbar Verdacht schöpfen. Sie gibt sich als dumme Amerikanerin und Entertainerin, die nur wenige Worte Französisch versteht und lädt beide auf ein Getränk ein. Der Plan geht auf und sie erzählt ihnen ausschweifend von ihrer Karriere.

In den USA war sie nie so erfolgreich wie in Frankreich, wo sie als gefeierte Entertainerin gilt. Ihre Karriere wäre bestimmt nicht so verlaufen, wenn sie in Amerika geblieben wäre. Trotz der „Rassentrennung“ wagt sie einen weiteren Versuch und geht auf Tournee in den USA. Dort weigert sie sich, vor einem getrennten Publikum zu performen. Mit der Forderung hat sie Erfolg und gehört somit zu den ersten Entertainer*innen, die vor einem gemischten Publikum auftreten darf. Beim Marsh on Washington 1963 mit Martin Luther King, bei dem um die 200.000 Menschen für Bürgerrechte von People of Color demonstrierten, hält Josephine Baker als einzige Frau eine Rede. Dabei erscheint sie in Militäruniform und stellt ihre Ehrenmedaillen öffentlich zur Schau. Ihr 50. Bühnenjubiläum und damit auch ihren letzten Auftritt auf der Showbühne, feiert sie 1975 in Paris. Nur wenig später stirbt sie mit 68 Jahren. Zu Ehren ihrer Taten während des Zweiten Weltkrieges bekommt sie ein Militärbegräbnis und schätzungsweise 20.000 Menschen begleiten die Limo, die den Sarg trägt. Gestorben ist sie also als Ikone und Entertainerin und gleichzeitig auch als Widerstandskämpferin und Aktivistin.

Bis heute lassen sich verschiedenste Künstler*innen von Josephine Baker inspirieren. Beyoncé etwa würdigt sie während einer Performance im Jahr 2006 mit einem Bananenrock und einem Tanz, der an Baker erinnert. Josephine Baker war eine mutige, unerschrockene Frau, die keine Angst davor hatte, wie andere Menschen auf ihr Leben und ihre Auftritte reagieren werden. Als Entertainerin hat sie sich aus der Armut befreit und selbstbestimmt ihr Leben gelebt. Ihre Reichweite und Berühmtheit hat sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für politische Zwecke eingesetzt. Egal wie beunruhigend und turbulent ihre Gegenwart war, sie hat stets mit viel Optimismus und Kampfgeist in ihre Zukunft geblickt. Dennoch wird sie bis heute oft maßlos unterschätzt und in erster Linie als Revuestar im Bananenrock betrachtet. Dabei hat sie sich selbst immer wieder neu interpretiert und andere Facetten von sich offenbart: Sie war Superstar, Ikone, Entertainerin, Schauspielerin, Sängerin, Spionin, Widerstands-kämpferin, Aktivistin und noch vieles mehr. Es gibt also nicht „die eine Josephine Baker“.

Während ihrer Rede beim Marsh on Washington erklärt sie, dass sie es so weit geschafft hat, weil sie immer ihren Mund aufgemacht, sich gewehrt und widersetzt habe: „And when I screamed loud enough, they started to open that door just a little bit, and we all started to be able to squeeze through it.“ Josephine Baker hat geholfen, diese Tür zu einer Welt, in der Black lives matter einen Spalt breit aufzumachen und das ganz allein. Dieses Bild hat mich so berührt und inspiriert, dass bei mir nur noch eine Frage offenbleibt: Wo zum Teufel ist ihr Platz in den Geschichtsbüchern?

Bild: Das Werk, „Josephine Baker_Portrait“, ist abgeleitet von „Baker_Banana“/gemeinfrei. Bearbeitung: Sara Ritter, CC 1.0 Universell