Wenn man an klassische Kunst, alte Kohlezeichnungen und Ölgemälde denkt, dann fallen einem häufig zunächst die altbekannten, sogenannten alten Meister ein: Leonardo da Vinci, Peter Paul Rubens, Albrecht Dürer oder vielleicht Johannes Vermeer. Obwohl sie zwar alle während verschiedenen Epochen der Kunst tätig waren, verbindet die meisten der weltbekannten Künstler vor allem die europäische Herkunft und die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. Heute soll es deshalb zur Abwechslung um eine Künstlerin gehen, die nicht im europäischen Raum aufgewachsen ist oder ausgebildet wurde: Frida Kahlo. Geboren am 6. Juli 1907 arbeitet die mexikanische Malerin einige Zeit nach der Epoche der alten Meister und gehört auf Grund ihres Stils zum volkstümlichen Surrealismus. Ihre Werke zeigen hin und wieder jedoch auch Elemente der Neuen Sachlichkeit. Kahlo ist wohl die bekannteste Künstlerin Mexikos und gehört durch ihre Selbstporträts zu den Vorkämpferinnen gegen das traditionelle Verständnis von Geschlechterrollen des frühen 20. Jahrhunderts.
Ein besonders hervorstechendes Thema ihrer Kunst ist Kahlos eigene Biografie, welche sie immer wieder in den Fokus rückt. Dabei probiert Kahlo verschiedene Identitäten aus, um eine Kunst zu erschaffen, die es ihr erlaubt, sowohl ihre euro-amerikanische als auch ihre indische Herkunft sowie ihre Heimat Mexiko zu repräsentieren. Aber auch ihr eigener Körper spielt eine ganz zentrale Rolle. So verarbeitet sie in ihren Gemälden die Schmerzen derer ihr Körper täglich ausgesetzt ist. Zunächst erkrankt Kahlo als Sechsjährige an Kinderlähmung und ist bereits in jungen Jahren in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Später, im Jahr 1925, wird sie in einen Unfall verwickelt, bei dem sich eine Stahlstange durch ihr Becken bohrt. Der Unfall macht sie nicht nur unfruchtbar, sondern resultiert ebenfalls in Bettlägerigkeit. Zwar lernt Kahlo mit der Zeit wieder zu gehen, doch grade die ersten Jahre nach dem Unfall zwingen sie dazu, die meiste Zeit sitzend oder liegend zu verbringen. So beginnt sie also, ans Bett gefesselt, zu malen.
Bereits 1926 malt sie ihr erstes, vollendetes Selbstporträt „Selbstbildnis mit Samtkleid“, welches Kahlos Oberkörper, eine ihrer Hände und ein dunkles Meer zeigt. Kahlo stellt sich selbst in natürlicher Form dar. Das Bild ist losgelöst von gesellschaftlichen Schönheitsidealen: Ihr Gesicht ist frei von Make-up und die Weiblichkeit ihres Körpers wird in keiner Weise hervorgehoben. Natürlich darf Kahlos absolutes Erkennungsmerkmal auch nicht fehlen: die prominente Monobraue. In diesem Gemälde, wie auch in den meisten anderen ihrer Werke, spiegelt sich die geistige und künstlerische Bewegung der 1920er Jahre wieder: der Surrealismus. Dieser ist vor allem geprägt durch das aktive Aberkennen der Normen des Status Quos. Besondere Merkmale in der Kunst sind die Darstellung des Traumhaften, Unterbewussten, Absurden und Phantastischen. Frida Kahlo selbst war jedoch lange Zeit nicht der Auffassung, Teil der surrealen Lebenshaltung und Kunstbewegung zu sein. Erst als André Breton, einer der Theoretiker des Surrealismus, auf sie aufmerksam wird und sie in Mexiko besucht, fängt Kahlo an sich selbst als Künstlerin des Surrealismus zu verstehen. Breton interessiert sich jedoch ursprünglich aus einem anderen Grund für die mexikanische Künstlerin. Er sammelt mit großer Begeisterung Kunst, die sich mit der präkolumbischen Geschichte auseinandersetzt. Kahlo selbst thematisiert immer wieder nicht nur ihre eigene Biografie und Herkunft in ihren Gemälden, sondern setzt sich spezifisch mit den Azteken und den Maya auseinander. Somit werden präkolumbische Geschichte und surreale Kunst, das Historische und das Gegenwärtige, miteinander verbunden.
Die mexikanische Künstlerin transzendiert mit ihren Werken allerdings nicht nur Zeit, wie unter anderem die Notiz „Heute ist immer noch“ auf der Rückseite ihres Selbstporträts verrät, sondern auch Realität. In ihren Zeichnungen vermischt sie immer wieder ein Abbild ihrer selbst mit Tieren, Pflanzen und sogar Figuren aus Mythen. So wirken Kahlos Gemälde antimodern und anti antimodern, befinden sich im Rahmen des Surrealismus, aber bis zu einem gewissen Grad auch außerhalb seiner Grenzen. Viele ihrer Gemälde beinhalten beispielsweise Wesen und Gegenstände mit Flügeln, da die Künstlerin selber das Fliegen liebte. Kahlos Bilder und die abgebildete Realität erlauben also traditionellem Glauben und modernen Erfahrungen zu koexistieren. Auch wenn der Surrealismus für das Traumhafte steht, so beurteilt Kahlo ihre eigenen Bilder trotzdem als eine Abbildung der Realität: „I never painted dreams, I painted my own reality.“
Frida Kahlo ist nicht einmal 50 Jahre alt geworden. So stirbt sie am 13. Juli 1954 an den Folgen einer Lungenembolie. Trotz allem ist sie, besonders als eine der wenigen, bekannten Künstlerinnen auch noch fast 70 Jahre später eine der bedeutendsten Vorreiterinnen der feministischen Aktivist*innen. Jedoch werden ihre Signifikanz und ihr Selbstverständnis besonders in Bezug auf Weiblichkeit und ihrer ethnischen Herkunft immer wieder untergraben. Gerade erst im Jahr 2018 versuchte der Spielzeughersteller Mattel, gegen den Willen der Angehörigen, Frida Kahlo als Barbiepuppe in ihr Programm der „inspirierenden Frauen“ aufzunehmen. Dies geschah nicht nur ohne Einverstädniserklärung von Kahlos Familie, sondern stellt Kahlo völlig fern ab von dem dar, wie die Künstlerin ihre eigene Identität und ihr eigenes Selbst wahrgenommen hat. Als wäre es nicht schon in sich völlig absurd gerade Frida Kahlo als eine Barbiepuppe – das Spielzeug, welches seit Jahrzehnten das westliche Schönheitsideal schlechthin repräsentiert: das, der weißen, schlanken Frau – zu vermarkten. Laut der Großnichte der Künstlerin ist die Puppe nicht mexikanisch genug, ist zu weiß, zu dünn und hat zu wenig Haare zwischen den Augenbrauen. Somit passt sie also genau in Mattels Frauenbild. Kahlos Familie konnte sich jedoch gegen den Spielzeugkonzern durchsetzen und vor Gericht erzielen, dass Mattel die Puppe wieder aus dem Programm nimmt. Solche Vorfälle zeigen, dass besonders Künstlerinnen und das, wofür sie stehen, nach wie vor nicht ernst genommen werden. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist Frida Kahlos Kunst zeitlos und macht nach wie vor das veraltete Verständnis von Geschlecht und Schönheitsidealen besonders sichtbar.