Wie aus Feministinnen alte weiße Männer wurden

Dass nicht jede*r Feminist*in für eine vollständige Gleichberechtigung ist – egal, ob zwischen Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder Sexualität – wissen wir spätestens seit Alice Schwarzer. Und doch wird so häufig davon gesprochen, dass es hier in Deutschland in Sachen Gleichberechtigung doch eigentlich ganz gut läuft. Aber tut es das wirklich? Oder wird sich nicht vielleicht schon zu lange auf dem Fakt, dass wir 16 Jahre lang eine Bundeskanzlerin hatten, ausgeruht? Ist nicht die Gleichberechtigung, die wir wohl schon fast erreicht haben und von der so häufig gesprochen wird, nur eine Gleichberechtigung, die weißen, heterosexuellen Frauen zugesprochen werden kann? 

Dass BIPoC, queere oder trans* Menschen noch immer in Angst oder zumindest mit diskriminierenden Alltagssituationen leben müssen, wird hier häufig nur am Rande besprochen. Und genau das ist der Grund, weshalb es mehr intersektionalen Feminismus braucht. Wenn man sich die Gender-Debatte anschaut, findet man erschreckenderweise eine große Menge an weiblichen Stimmen, die sich gegen Ebenjenes aussprechen. Dass es hierbei aber nicht nur darum geht, einen kleinen Schritt zu tun, um mehr Menschen in unserer Sprache anzusprechen, wird mit großen Debatten um die schöne, deutsche Sprache kaschiert. Dass keiner von uns mehr das Deutsch Schillers oder Goethes spricht, das diese Personen so preisen, sollte klar sein. Sprachwandel ist normal, und wenn er auch noch gesellschaftlich relevant ist, dann ist er vor allem notwendig. 

Ausschlaggebend für diesen Kommentar war genau diese Genderdebatte, die im Kölner Stadtanzeiger veröffentlicht wurde. Es handelte sich hierbei um ein Interview mit Elke Heidenreich, einer DER deutschen Literaturkritikerinnen. In dem Interview erklärte sie, dass sie es nicht einsehen würde, zu gendern, das sei „ganz schrecklich.“ Möglicherweise ist das eine Bestätigung für die Leser*innen des Stadtanzeigers, mir aber ein Dorn im Auge. 

Ein paar Wochen später hörte ich die Podcast-Folge „Sabine Rückert, wie kamen Sie zum Verbrechen?“ des Alles gesagt?–Podcasts der Zeit. Und auch Sabine Rückert sprach sich gegen das Gendern aus. Ich wunderte mich. Das schien ein Muster zu sein, dass sich hier durchzog. Doch was kann diese Frauen so daran stören? In meinem Kopf war die Frage, ob man gendern sollte oder nicht, schon vor Jahren geklärt gewesen. Wir wollen versuchen, so inklusiv wie es geht, zu sprechen, also gendern wir. Punkt. Aus. Ende. Es gibt keinen Grund es nicht zu tun. Und unsere Sprache „verhunzen“ tut es auch nicht. Dagegen finde ich Begriffe der AfD wie „Gender-Gaga“, „Kopftuchmädchen“ oder „Messermänner“ deutlich unangenehmer im Alltag zu hören. 

Aber noch einmal zur Ausgangsfrage, was können diese Frauen am Gendern nicht verstehen, und warum ist ihr Bild von Gleichberechtigung alles andere als inklusiv? Genug Vorwürfe gibt es an Alice Schwarzer zu ihrer „islamkritischen“ Haltung, wie sie so schön genannt wird. Das klammert schon den intersektionalen Feminismus aus. Warum aber kann Elke Heidenreich, die laut eigener Aussage eine schwierige Kindheit hatte, keine Beachtung denjenigen gönnen, die einfach nur Teil unserer Sprache sein wollen? Sabine Rückert, die in einer männlich-dominierten Branche Fuß-gefasst hat, möchte Minderheiten nicht die gleichen Chancen geben, in unserer Gesellschaft gesehen zu werden, und das, obwohl sie sich offensichtlich im Interview über die geringe Hilfe im Springer Verlag zu Beginn ihrer Karriere aufregt. Das schreit nach Doppelmoral, oder geht es nur mir so? Wenn so etwas von einem Horst Seehofer kommen würde, und das ist natürlich schon vorgekommen, dann würde es mich nicht wundern. Aber von Frauen, die eigentlich wissen müssten, wie schwer es sein kann als Minderheit nach mehr Gleichheit zu streben? Ist es nicht an der Zeit, dass wir Frauen zusammenhalten und uns gleichzeitig mit anderen Minderheiten solidarisieren? In Zeiten von FDP-Chefs, die auf ihren Wahlplakaten in verträumten Schwarz-weiß-Bildern und mit pseudointellektuellen Sprüchen versehen, Wahlkampf machen, oder, in denen unter dem Tagesschau-Beitrag zum Zweiten Führungspositionen-Gesetz auf Instagram Männer Wörter wie „Bullshit“ drunter schreiben, sollte die Solidarität meiner Meinung nach größer sein.

Am beängstigendsten jedoch an den Interviews fand ich die „Rhetorik“. Elke Heidenreich, die ihren Interviewpartnerinnen Folgendes an den Kopf wirft: „Grauenhaft wenn ich das schon höre“, „das ist alles ein verlogener Scheißdreck“, „verhunzte Sprache“, oder auch „feministisches Getue in der Sprache geht mir gegen den Strich“, erinnert stark an die Rhetorik bestimmter Parteien, nicht wahr? Oder auch Sabine Rückert, die keine Feministin sein will, einfach weil das heutzutage ja wohl schon jeder sei, und genau aus diesem Grunde wolle sie dem nicht angehören. Außerdem wolle sie nicht gendern, weil sie aus dem Alter raus sei, und sich da ja andere drum kümmern könnten: „Ich machs nicht. Ich hab keine Lust.“

Das Phänomen des „Keine-Lust-Habens“ bestätigte Elke Heidenreich ebenfalls in einem Interview bei Markus Lanz. Dass sich Menschen mit Migrationshintergrund unwohl fühlen, wenn ihnen die typische „Wo kommst du her“-Frage gestellt wird, sähe sie nicht ein. Sie wolle einen Taxifahrer der offensichtlich einen Migrationshintergrund habe und ein super Kölsch spreche, fragen, woher er denn komme. Dass das eigentlich keinen Unterschied macht, wenn er sich doch scheinbar perfekt an seine Umgebung angepasst hat, scheint für sie wohl irrelevant zu sein.

An dieser Stelle noch eine letzte Frage: Als Frauen, die sich hauptberuflich mit Sprache auseinandersetzen und scheinbar sehr viel von ihrem Geschriebenen halten, müssten diese doch wissen, wie viel Macht ein paar Worte haben können. Frauen, die meiner Generation vorwerfen, sie sei „unfähig mit Sprache umzugehen“. Warum kann nicht eingesehen werden, dass unsere Sprache eben nicht schöner ist ohne Gendern? Es ist, wenn überhaupt, nur einfacherer. Und um die Bürgerrechtskämpferin Fannie Lou Hamer zu zitieren: „Niemand ist frei bis alle frei sind.“ Also ein kleiner Appell an jede*n, der*die diesen Artikel liest: Da laut Sabine Rückert ja jede*r von euch schon Feminist*in sei, bitte seid auch intersektionale Feminist*innen. Es gibt neben weißen Frauen, auch noch weitere Gruppen, die eure Hilfe brauchen, sei es trans* Menschen, BIPoC oder queere Menschen etc. Keiner zwingt euch bei allem mitzumachen, aber ab und zu ein Sternchen zwischen eure Wörter zu setzen, scheint mir ein kleiner Schritt für etwas mehr Gleichberechtigung. Und wenn wir uns das Wahlergebnis ansehen, sollte uns klar sein, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben und nicht selbst aus Möchtegern-Feminist*innen zu alten, weißen Männern werden.

Für alle die sich mit dem Thema vielleicht noch etwas mehr auseinandersetzen wollen eine kleine Buchempfehlung: Kübra Gümüşay Sprache und Sein.

Quellen: 

Podcast mit Elke Heidenreich, da der Artikel im KSTA nicht für alle verfügbar ist 

Podcast mit Sabine Rückert

Kleiner Ausschnitt aus dem Interview bei Markus Lanz