Lotte Eisner – Deutschlands erste Filmkritikerin

Der Name Lotte Eisner begegnete mir erstmalig in diesem Frühjahr, als ich zufällig eine Dokumentation über ihr Leben sah. Mein Interesse war sofort geweckt. Wer war diese Frau, die als Mitbegründerin der Cinématèque française gilt, Autorin von Filmbüchern wie „Die dämonische Leinwand“ ist und mit bekannten Persönlichkeiten wie Bertolt Brecht und Fritz Lang vertraut war? Und warum darf sie in unserer „Feminism Friday“ Reihe nicht fehlen?

Lotte Eisner wird im Jahr 1896 in eine wohlhabende, jüdische Familie geboren und wächst in Berlin auf. Besonders zu ihrem Vater hat sie ein enges Verhältnis, wohingegen die Beziehung zu ihrer Mutter eher distanziert bleibt und sie ihre Schwester gelinde gesagt nicht ausstehen kann. Die junge Lotte erhält eine umfassende Bildung, unter anderem erlernt sie zwei Fremdsprachen, was ihr im Erwachsenenalter noch sehr helfen wird. Eine besondere Leidenschaft entwickelt sie bereits in jungen Jahren für das Theater und die Literatur.

Lotte Eisner studiert schließlich Kunstgeschichte und Archäologie in Berlin und Freiburg, auch wenn eine Tante ihr vehement von diesem Schritt abrät. Denn eine Frau, die studiert, gilt als unattraktiv und wird keinen Mann finden. Aber Heirat zählt ohnehin nicht zu den Plänen der jungen Lotte. 1924 bringt sie ihre akademische Laufbahn mit ihrer Promotion zum Abschluss. Allerdings stellt sie bald fest, dass ihr die Arbeit als Archäologin nicht zusagt. Stattdessen wird sie Journalistin beim Berliner „Film-Kurier“ und damit die erste weibliche Filmkritikerin Deutschlands.

Aufgrund ihrer liberalen und offenen Haltung, die sie unverhüllt auch in ihren Publikationen zum Ausdruck bringt, macht sie sich die Nazis schnell zum Feind. Das wird ihr besonders eindrücklich klar, als der „Völkische Beobachter“ in Bezug auf ihre Person schreibt: „Wenn Köpfe rollen, wird dieser Kopf rollen.“ Schließlich sieht sich Eisner 1933 gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie löst ein Zugticket nach Frankreich. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 37. Die Anfangszeit in Frankreich ist für Eisner sehr schwierig. Sie ist desillusioniert von ihrer neuen Heimat, hangelt sich von Job zu Job und erlebt viele Enttäuschungen. Aber es gibt auch positive Erlebnisse. Denn sie lernt Henry Langlois und George Franju kennen, mit denen sie die Cinémathèque française aufbaut. Neben dieser beruflichen Komponente ist sie Langlois Zeit ihres Lebens freundschaftlich verbunden.

Trotz der Flucht nach Frankreich kann sie dem Krieg und der Verfolgung nicht entkommen. 1940 wird sie im französischen Konzentrationslager Gurs interniert. Aufgrund einer Erkrankung gelingt es ihr aber, das Lager zu verlassen und so einer Deportation in ein deutsches Lager zu entgehen. Sie erhält gefälschte Papiere und taucht unter. Fortan lebt Lotte Eisner in der ständigen Angst, entdeckt zu werden und wird viele Male Zeugin, wie Menschen in ihrer Umgebung im Krieg mit ihr Leben verlieren. Auch ihre Mutter stirbt in Theresienstadt.

Lotte Eisner hat mich mit ihrer Geschichte und ihrer Persönlichkeit nachhaltig beeindruckt. Ihr Mut und ihre Fähigkeit, sich in einer von Männern dominierten Zeit nicht den Mund verbieten zu lassen, finde ich bewundernswert und denke, dass es typisch feministische Eigenschaften sind. Eisner ging ihren eigenen Weg und hielt an ihren Grundwerten fest, sie studierte zu einer Zeit, in der das Frauenstudium noch unüblich, wenn nicht sogar verpönt war. Davon ließ sie sich nicht beeinflussen. Ich gewinne den Eindruck, dass es ihr meist egal war, was andere Menschen von ihr hielten. Sie war eine unabhängige Frau, die ihre individuelle Erfüllung entgegen der Konventionen nicht in der Ehe und der Gründung einer eigenen Familie sah. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich die Ehe und Familie natürlich nicht als Aspekte betrachte, die konträr zum Feminismus stehen. Es geht mir vielmehr darum zu betonen, dass es die freie Entscheidung jeder Frau sein sollte, ob sie Heirat und Familie als erstrebenswert empfindet oder nicht. Für diese freie Entscheidung, ein Grundgedanke des Feminismus, steht Lotte Eisner meiner Meinung nach. Ich denke weiterhin, dass Feminismus eine Absage an stereotype Rollenbilder und eine Zusage für vielfältige Lebenswege beinhaltet. Eisner versuchte ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten und tat dies auch noch, als ein Weltkrieg Europa erschütterte und sie gezwungen war, ihre Heimat und ihr altes Leben hinter sich zu lassen.

Schade nur, dass Eisner Frauen eher skeptisch gegenüber stand, wie man in ihrer Autobiographie „Ich hatte einst ein schönes Vaterland“ lesen kann. In ihrem Leben macht sie überwiegend schlechte Erfahrungen mit Frauen, die sich ihr gegenüber missgünstig verhalten und ihr den beruflichen Erfolg häufig nicht gönnen. Direkte Unterstützung von anderen Frauen erhält sie so gut wie nie. Ich denke, dass sich in diesem Hinblick bis heute einiges geändert hat und es viele Frauen gibt, die sich untereinander vernetzen und gegenseitig unterstützen. Denn der Zusammenhalt von Frauen untereinander ist für mich auch ein wesentliches Element von Feminismus.