Oscars 2022 – Haben diese Filme ihre Nominierungen verdient?

Der rote Teppisch wird ausgerollt und die Goldjungen werden poliert – Die Vorbereitungen zu einer der wichtigsten Filmpreis-Verleihungen sind in vollen Gange. Heute Nacht werden zum 94. Mal die Oscars vergeben. Für unsere Autor*innen ist das Filmspektakel ein Grund, die Filme, die nominiert sind, auf die Probe zu stellen. Sind die Nominierungen der einzelnen Filme gerechtfertigt oder doch unverdient? Von einem Science-Fiction Epos und einem Drama bis hin zu einem Psychothriller und einer Musicalverfilmung sind einige Favoriten der diesjährigen Saison dabei.

Dune

Denis Villeneuve’s Dune (2021) eroberte im Herbst des letzten Jahres die Herzen von absoluten Sci-Fi Fans und gelegentlichen Kinogängern gleichermaßen im Sturm. Da verwundert es wohl niemanden, dass Dune für sage und schreibe zehn Oscars nominiert wurde. Von „Bester Sound“ über „Bestes Kostümdesign“, „Beste visuelle Effekte“ und „Beste Kamera“ bis hin zu „Bester Film“ ist fast alles dabei. Doch welche dieser Auszeichnungen sind dem Sci-Fi-Epos tatsächlich angemessen?

Besonders die Nominierungen, die sich auf die audio-visuelle Ausgestaltung des Filmes beziehen, hat Dune zweifellos verdient. Nicht nur die Landschaften der Wasserwelt Caladan, die mit ihren grünen Wäldern im starken Kontrast zu dem atemberaubenden Wüstenplaneten Arrakis steht, sieht fantastisch aus. Denn auch die Architektur vermittelt ein Gefühl von Erhabenheit und Beengtheit zugleich und stellt durch geschickt eingesetzte Kontraste verschiedene, kulturelle und ökologische Realität dar. Zentral für Caladans Gestaltung, wie Production Designer Patrice Vermette es beschreibt, ist das Gefühl von Melancholie. Diese spiegelt sich in „[…] misty, overcast skies, defined dramatic coastal mountain ranges […] [and] Norwegian (Norfolk) pines.“ wider und verdeutlich so bereits zu Beginn das Motiv des Neuanfangs, das sich durch den gesamten Film zieht. Tatsächlich, der Kontrast zu Arrakis „[…] desert [which has] no natural percipitation, no humidity, no clouds.“, der neuen Heimat der Hauptcharaktere Paul, Jessica und Leto Atreides, könnte wohl größer nicht sein. Diese Darstellung der verschiedenen, ökologischen Welten wird zudem durch das Kostümdesign unterstützt. Während die Mitglieder des Haus Atreides, die neuen Herrscher über Arrakis, schicke Uniformen oder lange, fast fließenden Kleider tragen, kleiden sich die Ureinwohner des Planeten, die Fremen, in dunklen Destillanzügen, welche sie vor der Hitze der Wüste und dem Wasserverlust schützen. Kontraste zwischen Wald und Wüste, alt und neu, entbehrlich und essenziell sind die Hauptmotive des Films, welche nicht nur visuell in den Mittelpunkt gerückt werden, sondern ebenfalls durch Hans Zimmer’s perfekt passende, musikalische Untermalung verdeutlicht werden.

Während Dunes Welten den Zuschauenden eine Explosion an malerischen Szenen und Settings bieten, weist die Geschichte so wie das Framing bestimmter Charaktere deutliche Schwächen auf. Ähnlich wie Frank Herbert’s 1965 erschienene Buchvorlage leidet Dune vor allem unter den komplizierten Beziehungen zwischen den verschiedenen Fraktionen des Imperiums, die sich am Gewürz, das ausschließlich auf Arrakis gefunden werden kann, bereichern wollen. Besagte Beziehungen werden zu Beginn des Films kurz erläutert. Wenn einem Dunes Universum bereits bekannt ist, stellt dies nur ein geringes Problem dar. Doch für alle, die zum ersten Mal mit der Geschichte rund um Arrakis konfrontiert sind, werden die Verhältnisse und die Intrigen, die diese durchziehen, hauptsächlich verwirrend sein. Ganz zu schweige davon, dass ein großer Teil der Story und damit die verschiedenen, miteinander verwobenen Konflikte, erst in Dunes Sequel aufgelöst werden.

Ein weiteres, großes Problem ist die Inszenierung der Fremen. Kritisch ist besonders, dass die Fremen als people of colour im ständigen Kontrast zu den weißen Herrschern über Arrakis stehen. Auch werden sie durch ihre Sprache und die Ausübung religiöser Rituale eindeutig als „orientalisch“ inszeniert. Dune verweist zwar immer wieder darauf, dass die Kolonialisierung von Arrakis und die damit einhergehende Unterdrückung und Versklavung der Ureinwohner moralisch nicht vertretbar ist. Trotzdem ändert sich an diesen Verhältnissen zunächst nichts und auch Letos Versprechen von Respekt und Allianzbildung verlaufen ins Leere. Ganz im Gegenteil, je weiter der Film voranschreitet, desto mehr werden westliche Vorurteile gegenüber dem, was der Westen als den Orient konstruiert, bestätigt. Die Fremen sehnen sich einen religiösen Krieg zu ihren Gunsten herbei, sind gewalttätig gegenüber unschuldigen, westlich und christlich gelesenen Charakteren und sind dem Westen in ihren Ressourcen und Lebensstilen gnadenlos unterlegen. Die Atreides, und besonders Paul, verkörpern hingegen das Idealbild der weißen, westlichen und christlichen Retter, die den Barbaren Aufklärung, Anstand und Manieren beibringen müssen. Der Höhepunkt dieses Kontrasts findet sich in Pauls Inszenierung als der christliche Messias wieder. Dune nimmt das Thema Kolonialisierung also nur oberflächlich unter die Lupe. Dabei entsteht ein Gegensatz der merkwürdiger nicht sein könnte: die Ungerechtigkeit, die die Fremen erfahren, und ihre als ungerechtfertigt inszenierten Auswirkungen sind zwar ein zentraler Handlungsstrang, aber die Story setzt trotzdem alles daran, anhand von „orientalischer“ Stereotype eben diese Ungerechtigkeit sowie die angebliche Rettung vor dieser konstant zu rechtfertigen.

Zweifellos, Dune ist, rein audio-visuell betrachtet, einer der fantastischsten Filme der letzten zehn Jahre und hat die diesbezüglichen Nominierungen verdient. Auf der Handlungsebene verstrickt sich der Film jedoch regelmäßig in Wiedersprüche. Dabei konstruiert er einen Konflikt zwischen Ost und West, Barbarentum und Aufklärung, der rassistische Vorurteile gegenüber nicht-weiß gelesenen Charakteren bestätigt. Ob ein Film mit einer solchen Message die Auszeichnung „Bester Film“ verdient hat ist also mehr als fragwürdig. – Oliver

Belfast

Oftmals als Underdog unter den Oscar-Nominierungen bezeichnet, ist Belfast mit sieben Nominierungen wohl kaum noch als solcher zu benennen. Unter der Regie von Kenneth Branagh könnte Belfast mit Auszeichnungen unteranderem in den Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“ oder auch „Bester Ton“ rechnen. Branagh – in den letzten Jahren vor allem bekannt durch die Agatha Christie Verfilmungen Mord im Orientexpress (2017) und Tod auf dem Nil (2022) – bezeichnete den Film als „autofiktional“, denn erzählt wird die Geschichte des Jungen Buddy, der Ende der 60er Jahre in Belfast aufwächst. Wie Buddy wurde Branagh in Belfast geboren und zog später mit seiner Familie nach England. Es geht aber nicht einfach um die Kindheit des kleinen Buddys, sondern um das Heranwachsen zur Zeit des Nordirlandkonflikts. So wird er Zeuge von den Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, lässt sich Lebensweisheiten von seinem auf dem Plumpsklo sitzenden Großvater geben und verliebt sich zum aller ersten Mal.
Besonders zu empfehlen ist es Belfast auf großem Bildschirm mit gutem Sound zu schauen, denn begleitet wird der Film mit Songs des nordirischen Sängers Van Morrison. Gespielt werden acht alte Songs und ein Neuer, der ihm eine Nominierung als „Bester Song“ eingebracht hat.
Was jedoch zuallererst ins Auge springt, ist, dass Belfast fast ausschließlich in Schwarz-Weiß gedreht wurde. So erscheint Farbe auf der Leinwand nur, wenn sich die Protagonist*innen in andere Welten flüchten – sei es das Kino oder auch das Theater.
Der Film schafft es den richtigen Grad zwischen Schock, Melancholie und Hoffnung zu finden, sodass Tränen ab Minute 3 vorprogrammiert sind. Sowohl die Schwarzweiß-Kinematografie, als auch der Soundtrack ziehen Zuschauer*innen in Nullkommanichts in den Bann. Dass diese bewaffneten Konflikte, die dort gezeigt werden, gerade mal vor knapp 20 Jahren mit dem Karfreitagsabkommen 1998 beendet wurden, aber noch heute in der Stadt Belfast schwelen, scheinen mit dem positiv gestimmten Ende, fast wie weggespült, hinterlassen aber doch eine Spur Weltschmerz, wenn der Vorhang fällt und die Worte „For the ones who stayed. For the ones who left and for all of the ones who were lost.” erscheinen.
Gelobt von der Kritik werden vor allem Judi Dench und Ciarán Hinds in den Rollen der Großeltern Buddys, für die sie in den Kategorien „Beste Nebendarstellerin“ und „Bester Nebendarsteller“ nominiert sind. Aber auch Jamie Dornan – bekannt durch Fifty Shades of Grey oder The Fall – und Caitriona Balfe – zu sehen in Outlander – als Pa und Ma, spielen ein Ehepaar, das geprägt ist von den politischen Konflikten, gleichzeitig aber immer zusammenhält. Natürlich darf der 11-jährige Jude Hill als Buddy nicht ungesagt bleiben. Mit großer Mimik bewegt dieser sich durch die belfaster Kulisse und stellt Fragen mit kindlicher Unbekümmertheit, die die Lösung der Konflikte so einfach erscheinen lässt.

Alles in allem überzeugt Belfast aber vor allem als Gesamtpaket. So ist das Zusammenspiel aus großartigem Cast, bewegender Szenerie, Aktualität der Handlung und bluesigem Soundtrack einfach gelungen und verdient mindestens die Nominierungen bei den diesjährigen Oscars. Zwischen bewaffneten Konflikten und befreienden Tanzszenen hält sich Belfast auf berührende Art und Weise die Waage. – Emma

Nightmare Alley: Beeindruckende Bildgewalt aber fehlende erzählerische Finesse  

Eigentlich bin ich ein großer Guillermo del Toro Fan. Ich liebe die Art, wie er intensive, emotionale und extrem kreative Märchen erzählt, die eher für Erwachsene gedacht sind, als für Kinder. Und auch Nightmare Alley startet in einer Atmosphäre dunkler Magie. Es ist das Jahr 1939. Wir befinden uns auf einem Wanderjahrmarkt – bestehend aus einer Reihe von Freaks, die sich am Rande der Gesellschaft tummeln. Er erinnert an eine Staffel aus American Horror Story.

Stanton Carlisle (Bradley Cooper), ein Mann mit mysteriöser Vergangenheit und dem Wunsch, sein Leben zu ändern, beschließt, sich dem kuriosen Jahrmarkt anzuschließen. Von Machtgier getrieben, arbeitet er stetig daran, Großes zu erreichen.  

Carlisles Geschichte birgt viel Material für die Diskussion über das Monströse, über Machtsucht und Größenwahn. Und visuell kann Nightmare Alley ohne Probleme bei del Toros vorgängigen Filmen mithalten. Doch die Erzählung selbst scheint überladen – und beizeiten auch extrem vorausschaubar. Mit seinen zweieinhalb Stunden hat der Film bereits eine überdurchschnittliche Länge. Da das Fazit von Nightmare Alley jedoch schon zur Mitte hin klar wird, wartet man während der zweiten Hälfte des Films nur noch auf das wenig überraschende Ende.

Zudem fehlen dem Film die liebenswürdigen Figuren, die wir aus seinem Vorgänger Shape of Water (2017) kennen. Vielschichtige Figuren, die man nach wenigen Minuten ins Herz schließt und die das menschliche im Monströsen aufzeigen, sind schwer zu finden. Trotz beeindruckender schauspielerischer Leistung von Cate Blanchett, Willem Dafoe und Rooney Mara tangiert einen das Schicksal der Hauptfiguren nur begrenzt. Die Charaktere des Films dienen lediglich als Schachfiguren und es fehlt ihnen an Ambivalenz und Tiefgang.

Wer nach del Toros vergangener Videographie auf ein erneutes Meisterwerk gehofft hat, dürfte das Kino leicht enttäuscht verlassen. Trotz beeindruckender Bildgewalt und darstellerischer Klasse fehlt es dem Film an Emotionalität, Originalität und erzählerischer Finesse.

Guillermo del Toro hat für seinen neuen Film den gleichnamigen Roman von William Lindsay adaptiert. Vier Mal wurde er dafür für einen Oscar nominiert: Für Beste Kamera, bestes Szenenbild, bestes Kostümdesign und bester Film. Dank großer Konkurrenz wird del Toro dieses Jahr wohl keinen Oscar nach Hause bringen. – Ivana

West Side Story

Sich an die Neuverfilmung eines Musical-Klassikers aus dem Jahr 1961 heranzuwagen, der stolze zehn Oscars absahnen konnte – das erfordert viel Selbstbewusstsein und Mut. Und beides bringt Steven Spielberg definitiv mit. Das Ergebnis ist eine zeitgenössischere Version von West Side Story (2021), die an den richtigen Stellen auf Veränderung setzt, aber dem Original insgesamt treu bleibt. Nominiert ist der Film für insgesamt sieben Oscars, darunter auch für die zwei Königsdisziplinen „Bester Film“ und „Beste Regie“. Die Konkurrenz ist in allen Kategorien allerdings stark, also bleibt es abzuwarten, ob der Film einige Preise abräumen wird.

Figuren, Musik und Handlung – das bleibt alles gleich. Welche Version einen mehr überzeugt, ist auf den ersten Blick also erst einmal Geschmackssache. Insgesamt gewinnt die Neuverfilmung jedoch deutlich an Tiefe und Diversität und das auf vielen Ebenen. Der Rassismus der Weißen Jets gegen die puerto-ricanischen Sharks wird bereits in den ersten Minuten des Films deutlicher und pointierter gezeigt als in dem gesamten Streifen aus den 1960er Jahren. Statt auf Blackfacing setzt Spielberg auf einen lateinamerikanischen Cast für die Mitglieder der Sharks. Und die Rolle der Anybodys, ein Mädchen, dem der Beitritt zu den Jets verwehrt wird, ist mit Iris Menas, non-binär, besetzt und gewinnt an Bedeutung in der Handlung. Die Thematik des Films ist zudem relevanter denn je: Die Suche nach Freiheit und Frieden der lateinamerikanischen Gemeinschaft, die Suche nach dem „Somewhere“ hört nicht mit der Migration in die USA auf. Denn dort müssen sie sich dem Alltagsrassismus stellen, der verschleiert hinter dem ‚American Dream‘ ihr Leben in allen Bereichen beeinflusst.

Visuell ist der Film grandios. Regisseur Steven Spielberg schafft es, dass scheinbar simple Aufnahmen wie die einer Pfütze auf Filmliebhaber-Plattformen wie Letterboxd in den Himmel gelobt werden. Dabei ist West Side Story Spielbergs erstes Musical überhaupt. Jede Einstellung hat ihren Sinn, kreiert Atmosphäre und Kontext für die Umstände und Lebenslagen der verfeindeten Jugendgruppen. Die Nominierungen für „Bestes Szenenbild“, „Beste Kamera“ und „Beste Regie“ sind verdient. Und auch die Nominierung für „Bestes Kostümdesign“ ist gerechtfertigt: Die Kostüme strahlen. Sie stechen in jeder Einstellung hervor, bilden sie doch einen Kontrast zur öden und grauen Umgebung New Yorks der 1950er Jahre. Gemeinsam mit den lebhaften Choreografien und Musicalnummern werden so ästhetische und unterhaltsame Aufnahmen geschaffen. Die Lieder wurden neu vertont, bekommen erneut mehr Tiefe und einen zeitgenössischeren Charakter, sodass man auch auf den Preis „Bester Ton“ hoffen kann.

Schauspielerisch überzeugen beide Hauptdarsteller, Rachel Zegler und Ansel Elgort, mehr oder weniger, speziell Elgort muss für seine Darstellung von der Hauptfigur Tony viel Kritik einstecken. Für eine Nominierung hat es für beide nicht gereicht. Besonders erwähnenswert dagegen ist die schauspielerische Leistung von Ariana DeBose, die für ihre Nebenrolle als Anita bisher viele andere Filmpreise der Saison ergattern konnte und auch bei den Oscars für „Beste Nebendarstellerin“ nominiert ist. Bereits 1962 bekam Rita Morena für ihre Darstellung von Anita einen Oscar, damals als erste lateinamerikanische Schauspielerin. Die Rolle der Anita ist prädestiniert dafür schauspielerisches Können unter Beweis zu stellen. Denn Anita ist forsch, stark und schlagfertig. Während die zwei träumerischen Liebenden, die Hauptfiguren Tony und Maria, nichts anderes als sich selbst im Kopf haben und um jeden Preis zusammen bleiben wollen, selbst wenn dabei der eigene Bruder ermordet werden muss, ist es Anita, die Einiges einstecken muss: Verlust und Existenzängste bis hin zu Missbrauch. Schauspielerin Ariana DeBose gibt der Rolle so viel Charisma und Ausstrahlung, dass es schade wäre, wenn sie bei den Oscars leer ausgehen würde.

Steven Spielbergs Neuverfilmung von West Side Story ist wie ein aufpoliertes und restauriertes Kunstwerk, dessen dicke Staub- und Schmutzschicht fein säuberlich entfernt wird und dessen Risse vorsichtig repariert werden. Die Farben und Muster sind nun wieder deutlicher zu erkennen. Und doch: Wer das Original kannte, dem wird die überarbeitete Version sehr vertraut vorkommen und dem Original entweder nachtrauern oder die neue Version bewundern. Ob diese Restauration des Films aber reicht, damit es Sonntagnacht sieben Mal heißt: „And the Oscar goes to West Side Story“? Das hängt davon ab, ob sich die Academy dieses Jahr für originelle und neue Filmprojekte oder doch eine aufpolierte Neuverfilmung entscheidet. – Sara