Jessa Crispin: „[Modern] feminism is nothing more than personal gain disguised as political progress.“

Die US-amerikanische Feministin und Autorin Jessa Crispin kritisiert in ihrem viel diskutierten Manifest Why I’m Not A Feminist (2017) den zeitgenössischen Feminismus und seine banalen Forderungen. Crispins Vorwurf: Der Feminismus des Mainstreams ist ein Trend. Er sei ein mit „Radical Feminist“ bedruckter, 220 € teurer, von Kinderhänden gefertigter Schal von Acne Studios. Er sei ein überteuertes Bekenntnis zu einer sexy, hippen, und coolen Bewegung, die möglichst alle auf seine Seite bringen will. Und, um dieses Ziel zu erreichen, sei die Definition von Feminismus mittlerweile so simpel wie möglich. Wer sich als Feminist*in bezeichnet, der ist auch Feminist*in. Mittlerweile ist es eher ungewöhnlich, wenn sich eine Person gegen den Feminismus ausspricht. Eigentlich ist das ja auch direkt rechtsradikal, frauenfeindlich, und durchgeknallt. Denn der Feminismus steht schließlich für nicht mehr und nicht weniger als Gleichberechtigung. Und wer könnte das nicht wollen? Laut Crispin führt diese offensichtliche und banale Definition von Feminismus zu einem unbedrohlichen, gemütlichen, und ineffektiven Wohlfühlfeminismus. Menschen neigen laut Crispin von Natur aus dazu, Veränderung kritisch gegenüberzustehen. Wir mögen Bequemlichkeit. Feminismus so nah am Status quo wie möglich zu halten, ergibt daher viel Sinn. Aber was genau bringt Feminismus dann noch?

Jessa Crispin kritisiert den sogenannten Choice-Feminismus. Dieser bewirkt, dass jeder Akt ein feministischer Akt sein kann, solange er von eine*r Feminist*in ausgeführt wird. Die Beine rasieren? Die Institution der Ehe eingehen? Bloß nicht prüde sein? Das alles sind feministisch Akte, es ist weibliches Empowerment, quasi ein Tritt ins Gesicht des Patriarchats, denn es sind immerhin Folgen eigener und freier Entscheidungen. Gesellschaftliche Strukturen, sozialer Druck und historischer Kontext werden bei der Bewertung ausgeklammert. Benutzt eine regressive Person die richtigen Wörter, wird sie gepriesen. Eine Geschäftsführerin kann ein feministisches Idol sein und zeitgleich tausende von Arbeiter*innen wirtschaftlich ausnutzen. Das kleine sexy Oberteil, unter horrenden Umständen fabriziert, ist feministisch, denn wir sind sexuell selbstbestimmt. Rind essen ist Nahrung für den Körper, also body positive, also feministisch. Pornos sind empowernd. Und morgen fliegen wir für einen feministischen Vortrag nach Dubai. Und wehe, jemand widerspricht, oder hat eine abweichende Meinung.

Kritisiert jemand den Feminismus, wie die deutsche Autorin Ronja von Rönne in ihrem Artikel Warum mich der Feminismus anekelt (2015), wird die Person diskussionslos verteufelt, als rechts abgeschrieben und Lastwagen voller Morddrohungen stehen Schlange vor ihrem Briefkasten. Die Auseinandersetzung mit Widersprüchen innerhalb der eigenen Kreise wird im Ansatz erstickt. Weil Reflexion Selbstkritik erfordert, schlussfolgert Crispin. Alternative Stimmen werden deshalb vernichtet, ganze Gruppen werden generalisiert, das Leben ist schwarz-weiß. Es entstehe eine binäre Weltsicht zwischen Gut und Böse, eine sektenähnliche, starre und unbewegliche Bewegung. Es fehlt dem modernen Feminismus laut Crispin an Differenzierung, am Mut zur Selbstkritik und an einem Blick auf Personen außerhalb der popkulturellen und massenmedialen Diskurse, außerhalb der privilegierten, überwiegend weißen und westlichen Bubble.

Laut Jessa Crispin liegt das Kritikwürdige am kontemporären Mainstream-Feminismus an seiner Anlehnung an einen kapitalistischen Neoliberalismus. Der Fokus liege auf narzisstischer Selbstverwirklichung, auf wirtschaftlich vorteilhaften, von Frauen besetzten Arbeitsplätzen. Wir streben laut Crispin nicht nach gesellschaftlicher Veränderung, nur nach einer Besserung unserer eigenen Position. Das Ziel im Leben: Reichtum, Erfolg, Bequemlichkeit. Feminismus verspricht ein besseres Leben, mehr Geld, mehr Orgasmen, mehr Macht. Wer Feministin ist, wird schneller befördert und hat besseren Sex. Moderner Feminismus und Neoliberalismus haben somit den gleichen Ansatz. Wenn jede*r an sich selbst denkt, ist an jede*n gedacht. Wenn eine Frau einen besser bezahlten Firmenjob bekommt, wird unreflektiert gejubelt. Es mangelt dem feministischen Mainstream, laut Crispin, an Verständnis für gesellschaftliche Zusammenhänge und Klassenprobleme. Dass sich die beförderte Frau lediglich in ein kapitalistisches und patriarchales System einreiht, das Millionen von Menschen zwangsläufig unterdrückt, ist nicht Thema. Crispin verlangt, dass der Feminismus gesamtgesellschaftlicher und intersektioneller denkt und nicht die Privilegierung einzelner Frauen in einer von Männern dominierten Welt in den Fokus stellt. Denn es wird diesen wenigen Frauen nur erlaubt, in einer korrupten Welt zu existieren. Der großen Masse hilft es nicht, wenn Hillary Clinton Präsidentin wird.

Jessa Crispin plädiert für einen unbequemen Feminismus, mit klaren Zielen und starken Meinungen. Ihr Manifest bleibt dennoch vage in seinen Forderungen und wirkt daher an einigen Stellen wütend und polemisch, ohne konstruktive und hilfreiche Kritik zu leisten. Crispin bemängelt die Struktur unserer modernen Gesellschaft, gibt aber keine Lösungsansätze und Alternativen zum kapitalistischen System. Sie verlangt nach echter Revolution, nach alternativen Lebensformen, radikal neuen Strukturen, hat aber auch nach eigener Aussage mehr Fragen als Antworten.

In ihrem Manifest appelliert Crispin an Feminist*innen, ihre Einstellungen und Handlungen wiederholt zu reflektieren und zu hinterfragen. Und das ganz besonders dann, wenn es unbequem und intim wird. Wie nachhaltig und menschenfreundlich ist mein Job? Wie sind die Machtdynamiken in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen? Im eigenen Sexleben? Wird offen darüber gesprochen? Sind diese Gespräche auf Augenhöhe? Oder wird auch mal was zugunsten des Friedens akzeptiert, geschluckt oder geduldet? Crispin stellt die Frage, für was für eine Welt wir kämpfen und welche Kämpfe sich somit lohnen – oder welche überhaupt erst angegangen werden müssen. Welche Zukunft wollen wir? Nicht nur für uns selbst – sondern für die ganze Gesellschaft? Ihr Appell für Einzelpersonen ist, Feminismus wieder weniger als Lifestyle, sondern mehr als Rebellion zu sehen. Weniger Wert auf Geld und mehr auf gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen. So wenig wie möglich ausbeuterische Personen und Firmen zu unterstützen. Weniger Fast Fashion, weniger Fliegen, weniger Fleisch und weniger Mandeln zu essen. Unangenehme Themen ansprechen und es sich nicht allzu bequem machen. Denn wir sind noch lange nicht am Ziel.