Babylon – Pure Ekstase

Licht, Kamera, Action! Der Trip beginnt. Und was für einer es war!

Der Name ist Programm: Babylon, die Stadt, die Gott selbst trotzen wollte, die in Prunk und Protz lebte und in während Apokalypse von der großen Sexarbeiterin komplett verdorben wird.[1] Aber ihre Pracht und Herrlichkeit sind vergängllich, nur Schein und Trug. 

Schnitt um Schnitt treibt uns das wahnsinnige Genie von Regisseur Damien Chazelle immer weiter in die Abgründe des Hollywoods der 20er. Und wer in der Mediengeschichte gut aufgepasst hat, weiß, dass dies die Jahre sind, in denen der Tonfilm die Filmindustrie revolutioniert, erfolgreiche Stummfilmschauspieler*innen arbeitslos gemacht hat und neuen musikalischen Talenten eine Kulisse gab. Dabei sprengt der Film die konstruierten Grenzen der Genres und ist in dem einen Moment unheimlicher als ein Thriller oder verstörender als ein Horrorfilm. 

Starten wir direkt mit dem einzig wirklich Störenden: Er war schlichtweg zu lang. 188 Minuten sind für jeden Film, ist er noch so beeindruckend, zu lang. Die ersten zwei Stunden hat man nicht wirklich gemerkt, zum Ende hin wurde es etwas zäher, doch die letzten Sequenzen, die noch einmal das Herz höherschlagen ließen, und einen mit der wohl komponierten Musik auf eine Zeitreise nahmen, lassen einem mit einem guten Gefühl aus dem Saal gehen: Ja, das war ein Film. Das war großes Kino (und da heutzutage die meisten Filme die Tendenz haben nicht länger vor der 120 Minuten-Marke zu erzittern und brav konsequent die 180 min anstreben, ist die ausufernde Länge nichts, was man allein diesem Film zur Last legen kann). 

Zur Handlung will ich gar nicht mal so viel sagen. Nur ein paar Worte, die ein stümperhafter Versuch sein werden: Im Zentrum der Handlung stehen drei Figuren: Nellie LaRoy (Margot Robbie) will ein berühmter Moviestar werden und hat ein „kleines“ Drogenproblem, Jack Conrad (Brad Pitt), ein berühmter Stummfilmstar, lässt sich gerade von seiner Frau scheiden – Jack, nicht Brad – und Manuel „Manny“ Torres (Diego Calva), der unerwidert in Nellie verliebt ist und davon träumt Part der Hölle zu werden, die wir Hollywood nennen. So, das sollte reichen, nun wisst ihr, was ihr vom Film zu erwarten habt. Zumindest in den ersten 20 Minuten; oder so ähnlich. 

Babylon führt uns auf eine beeindruckende fulminante Art und Weise durch die entscheidenden Jahre der Filmgeschichte als hübsche Gesichter sprechen lernen mussten. Wie der Stummfilm zum Tonfilm wurde. Damit zeigt der Film, wozu es sich lohnt, aufmerksam für die Mediengeschichtsprüfung zu lernen. Aufs Genialste hat der Regisseur Damien Chazelle Fiktion und Historie in einer Achterbahn der Ekstase, der Lust und der Affekte verwoben. Die Filmstars steigen am nächtlichen Firmament zu ungeahnten Höhen empor. Sie ahnen nicht, dass sie eines Tages auf die Erde als Meteoriten niedersausen werden. Sie werden zerbrechen, sie werden krachend aufkommen, wenn sie nicht adaptieren …  

Ebenso zeigt Babylon uns, was für eine beeindruckende und vielseitige Schauspielerin Margot Robbie ist, wenn ihr die Möglichkeit gegeben wird, ihr ganzes Potential zu zeigen (ich rede von dir Amsterdam). Von der einen Sekunde lachend, ekstatisch auf dem Tisch tanzen, im nächsten eine einzelne Träne auf Kommando hervorbringen, nur um dann umgehend wieder auf Tresen zu tanzen und die feine Dame im Abendkleid zu mimen. 

Es ist ein Film, den man gesehen haben muss, wenn man wissen will, um was es wirklich geht, und weiß am Ende nicht, was man gesehen hat. Eine Hommage ans alte Hollywood, eine Kritik an die Abgründe der Filmindustrie, ein cineastischer Kokaintrip, Schauspielende und Schnitt in Bestform, ein bombastisches dreistündiges Filmmusikabenteuer, dem netterweise ein paar bewegte Bilder zur Seite gestellt worden sind? Wer weiß es genau, man muss es gesehen haben. Am besten im Kino. Nein! Es ist ein Film, den man im Kino gesehen haben muss

Es war eine Erfahrung.

CN: Rassismus, Nacktheit, Sex, Essen einer lebendigen Ratte, Selbstmord, Drogen, übermäßiger Alkoholkonsum, Leichen, Blut, offene Wunden, Schlangen, Krokodil, Waffen, Schlägerei 


[1] Gott, Offenbarung des Johannes, überliefert durch ein Johannes, 14–19.