Shulamith Firestone ist eine radikale Feministin mit visionären Ideen, die den Radikalfeminismus in den USA mitbegründete. Firestone gilt als eine der einflussreichsten Feministinnen der 1970er Jahre. Ihr bekanntestes Werk ist The Dialectic of Sex (1970).
Schon während ihres Studiums in New York gründete Firestone mehrere Gruppen innerhalb der Frauenbefreiungsbewegung. Zusammen mit Anne Koedt gründete sie The New York Radical Feminists und gab das erste feministische Magazin der USA mit heraus. Die Schwerpunkte ihrer Texte waren Sexualität, sexueller Missbrauch, Queerness, Mutterschaft, das Verhältnis von Geschlecht und Klasse.
Mit 25 Jahren schrieb Firestone The Dialectic of Sex. Sie interpretiert in diesem Manifest die Geschichte der Menschheit als einen Kampf zwischen Geschlechtern. Ihr Aufruf: Die Reproduktion sollte vom Geschlecht völlig getrennt werden. Künstlerische Fortpflanzung solle normalisiert werden. Das Zurückerobern der Macht über die Reproduktion soll nach Firestone die Tyrannei der Kernfamilie zerschlagen und die Entfaltungsmöglichkeiten der Frau vergrößern. Laut Firestone sollte das Ziel von Feminismus nicht der sein, männliche Privilegien zu beseitigen, sondern Geschlechtsunterschiede an sich. Die Utopie, die sich Firestone vorstellt, ist die einer androgynen Kultur, die alle sexuellen Dualismen überwunden hat. Dann wäre die Gesellschaft befreit.
In ihrem Buch spricht Firestone auch über die Familie, insbesondere über die monogame, patriarchale Kernfamilie. Frauen waren jahrhundertelang der Nährboden für männliche Werke, Versorgerinnen, Care-Arbeiterinnen, Kinderbrutstätten. Der Mann war Herr des Hauses, Herr über die Frau, Herr über das Kind. Die Verletzlichkeit der Frau während der Schwangerschaft und des Heranwachsens des Kindes ergab die Rolle des Mannes als dominanten Beschützer. Die Kernfamilie ist von anderen Familien isoliert – sie ist privat. Und deswegen voneinander abhängig.
Firestones Vision ist die Befreiung von Frauen und Kindern aus dieser ökonomischen Abhängigkeit durch das Ende der biologischen Familie. Dieses Ende wird durch das Ende der biologischen Fortpflanzungsfunktion der Frau markiert. Die biologische Familie macht sexuelle Liebe nach Firestone zu einem Werkzeug der Unterdrückung – wird sie abgeschafft, kann jede Liebe auf Augenhöhe existieren und jede Art freiwilliger sexueller Beziehung wird legitimiert.
So bestehe laut Firestone die Möglichkeit, dass Kinder nicht länger in Isolation großgezogen werden, sondern stattdessen in einer Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die sich das Kind selbstständig und autonom aussuchen kann. So sei es nicht mehr gefangen in den Wänden einer vorherbestimmten Kernfamilie.
Zusammenfassend: Die Feministische Revolution muss über den Sozialismus hinausgehen. Das Ziel sollte nicht sein, die Frau lediglich in eine Männerwelt zu integrieren. Nur wenn Geschlechterklassen abgeschafft werden, kann die Menschheit gleich sein.
Die Zerstörung der Nuklearfamilie und die Beseitigung des Drucks auf Frauen Kinder zu bekommen, kann neue, rationale und freiwillig gebildete Gruppen von Menschen entstehen lassen, die sich einer neuen Form der Kindererziehung, losgelöst von klassischen Vorstellungen und Isolation, widmen kann. Durch die Auflösung von Hierarchien aufgrund von Geschlecht und Alter kann die Menschheit somit endlich frei und autonom sein.
Firestone ist eine radikale Feministin, deren Visionen sich lediglich in eine Utopie einordnen lassen. Um ihre Vorstellung einer gleichberechtigen Welt umzusetzen, müsste die gesamte Menschheit bereit sein, die Traditionen ihrer Vorfahren aufzugeben. Firestones Utopie ist eine Welt, in der Geschlechtlichkeit nicht mehr existiert, Hierarchie durch Alter und Sexualität, so wie wir sie kennen. Sie imaginiert zusätzlich eine kommunistische Gesellschaft, in der Maschinen die Arbeit verrichten und Menschen überwiegend einfach nur spielen. So schön das auch klingt – es ist nicht wirklich realistisch. Und so viel Backlash wie die Feministische Bewegung allein für das Gendern und das Entfernen von traditionellen Geschlechterrollen bekommt, wird Firestones Vision wohl auch nicht viel realistischer werden als eine traumhafte Utopie. Dennoch sind ihre Einordnungen zu Ungleichheit auch heute noch relevant und bieten einen guten Denkanstoß für die Gleichberechtigung nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen dem Erwachsenen und dem Kind.