Challengers: Ein homoerotisches Tennisspiel

Ist da ein Rave im Kinosaal 6? Nein, es ist nur Challengers, der neue Film von Luca Guadagnino (Call Me By Your Name, 2017).

Denen, die Tennis spielen, ist vielleicht aufgefallen, dass die Anfangsbuchstaben der drei Hauptfiguren in Challengers, Art (Mike Faist), Tashi (Zendaya) und Patrick (Josh O’Connor) ATP ergeben – so wie die Tennisturnier-Serie ATP (Association of Tennis Professionals). Dieses clevere Detail spiegelt die Konstellation der Dreiecksbeziehung, die den Film beherrscht, perfekt wider. Ich denke hier an die Szene, in der die drei als Jugendliche in einer erotisch aufgeladenen Szene auf dem Bett sitzen. Art links, Tashi in der Mitte und Patrick rechts. Art und Patrick, die zueinander finden wollen, Tashi, die in der Mitte als Bindeglied fungiert.

Art und Patrick sind beste Freunde, Tenniskonkurrenten, quasi Brüder. Ihre Beziehung ist aber auch homoerotisch aufgeladen, wie man in zahlreichen Szenen sieht, in denen sie sich nach einem Sieg aufeinander schmeißen, in denen Patrick Art bewundernd von der Seite anschaut, in denen die beiden fast Nase an Nase ihre Churros essen oder immer viel zu nah nebeneinandersitzen oder stehen. Und beide finden dieselbe Frau attraktiv: Tashi Duncan, die beste Tennisspielerin ihrer Zeit.

Als sie Tashi nach ihrer Siegesparty in ihr Hotelzimmer einladen, hat sie aufgrund der nahen Bindung von Patrick und Art bedenken und sagt: „I don’t want to be a homewrecker.“ Trotzdem kommt sie nachts noch vorbei, denn Tashi hat ebenfalls eine große Liebe: Tennis. Und ganz besonders: good fucking Tennis. Es ergibt sich eine Szene, in der sich alle drei auf dem Hotelbett leidenschaftlich küssen (ganz besonders Art und Patrick). Wäre Tashi nicht so an Tennis interessiert, könnte der Film hier enden: die drei gehen eine polyamoröse Beziehung ein, alle sind glücklich, Film aus. Tashi lehnt sich aber während des Kusses zwischen Art und Patrick zurück und denkt sich: „Aus den beiden kann ich noch some good fucking Tennis herausholen.“ Und so gibt sie den beiden einen Ansporn für das morgige Finale: Wer von beiden gewinnt, der kriegt Tashis Nummer.  

Und so ergibt sich ein lebenslanges Spiel: Wer gewinnt Tashi? Zunächst ist es Patrick, der das finale Match gewinnt und mit ihr zusammenkommt. Dann ist es Art, der die Beziehung durch Manipulation zum Scheitern bringt. Punkt für Art. Dann ist es Art, der erkennt, dass Tashis einziges Interesse Tennis ist und lockt sie damit zu sich. Nachdem sie nach ihrer Verletzung kein gutes Tennis mehr spielen kann, kann sie durch ihn noch siegen – sie wird seine Trainerin. Man kann nicht sagen, dass die darauffolgende, jahrelange Beziehung für beide wirklich erfüllend ist. Art lebt Tashis Traum, während Tashi mit der unzureichenden Leistung von Art konstant unzufrieden ist, wissend, dass sie es besser hätte machen können. Art ist unausgefüllt, da Tashi, auch laut eigener Aussage, nichts kann außer „hitting a ball with a racket.“ Dazu gehört, eine liebevolle Beziehung zu führen, in der es auch mal um etwas anderes geht, als um Tennis. Auch die Obsession, die Art mit Tashi hat, gleicht weniger einer Liebe als einer Religion. Er folgt ihr. Eine Augenhöhe zwischen ihm und Tashi, eine Leichtigkeit, wie bei Patrick, wird bei den beiden nie erreicht.

Diese Unzufriedenheit erreicht ihren Höhepunkt in Atlanta, wo Tashi Patrick trifft, den die beiden seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Sie schlafen miteinander. Gleichstand für Patrick und Art.

Der finale Akt des Films spielt acht Jahre später während eines Challengers für die US-Open. Patrick und Art nehmen aus unterschiedlichen Gründen teil: Art, weil er sein verlorenes Selbstbewusstsein wieder aufbauen will, das unter den vielen Niederlagen der letzten Wochen und dem daraus resultierenden Entzug von Wärme durch Tashi gelitten hat. Patrick hat einerseits noch die Hoffnung auf eine gute Saison, andererseits vermisst er aber auch seine Freunde. Das wird einmal klar, als er Tashi vorschlägt, dass sie ihn von nun an coachen soll, wohl wissend, dass sie für Art nur noch Verachtung aufbringen kann, sobald er mit dem Tennis aufhören will. Zu sehen ist dies aber auch in der erotisch aufgeladenen Szene mit ihm und Art in der Sauna, in der er zugibt, dass er Art vermisst hat, dieser jedoch kalt erwidert, dass Patrick nicht wichtig sei, nicht einmal für den größten Tennis-Fan der Welt. Verletzt erwidert Patrick: „I don’t matter? Are we still talking about tennis?” und Art ruft: “What the fuck else do I have to talk to you about?” Die tief verletzten Blicke der beiden zeigen: Die Freundschaft fehlt ihnen. Aber ist schon zu viel geschehen, um sie wieder zu kitten?

Als Art merkt, wie viel er mit Patrick verloren hat, spricht er bei Tashi an, was geschehen würde, wenn er erneut im Finale gegen Patrick verlieren würde. Tashi bestätigt seine größten Ängste und sagt, dass Art auch sie verlieren würde, wenn er im morgigen Match nicht siegt. Doch Tashi ist sich unsicher, was sie möchte. So ruft sie Patrick an, um ihn dazu zu überreden, dass er Art im Match gewinnen lässt. Patrick willigt ein, ohne zu benennen, warum. Er würde seine Chance auf den US-Open Titel damit aufgeben. Die beiden schlafen miteinander.

Das Finale des Films ist unerträglich spannend. Patrick und Art, voller Wut auf ihre verlorengegangene Freundschaft, auf Tashi, auf sich selbst, spielen das Spiel ihres Lebens. Für beide steht so viel auf dem Spiel. Während des Matchpoints von Art entscheidet sich Patrick, alle Karten offen zu legen. Er macht ein Zeichen, das Art zu verstehen gibt, dass er mit Tashi geschlafen hat. Punkt für Patrick. Auch im Spiel steht es 6:6 im letzten Satz. Tie-Break.  

In den nächsten 15 Sekunden sehen wir eine Schlacht: Die Zuschauenden werden im POV des Balls von einer Person zur anderen geschlagen. Wer wird gewinnen? Die Spannung ist unerträglich. Doch Patrick und Art lächeln. Wie Tashi schon am Anfang des Films gesagt hat: Diese 15 Sekunden des wahren Tennis kreieren eine Liebesbeziehung zwischen den Spielenden. Sie verstehen einander vollkommen. Das Spiel endet mit Art, der einen so hohen Ball spielt, dass er über das Netz fällt. Patrick fängt ihn mit beiden Armen auf. Überglücklich umarmen sich die beiden. Es ist egal, wer den Punkt gemacht hat. Art und Patrick haben sich wiedergefunden. Die Abhängigkeit von Tashi ist überwunden. Auch Tashi ist glücklich. Nach Jahren hat sie endlich ihre große Liebe wiedergesehen: Some good fucking Tennis.

Die Debatte im Internet ist groß: Ist Patrick der Bösewicht? Tashi? Oder sogar Art? Es lässt sich festhalten, dass sich alle drei mehr oder weniger geliebt haben. Vielleicht war der Bösewicht einfach das gesellschaftsbedingte Konstrukt von Monogamie.