Pünktlich zum Pride Month Juni feiern die Autor*innen der Medienredaktion in dieser Ausgabe unserer Filmklassiker-Reihe das queere Kino. Mit Bound (1996), The Way He Looks (2014) und All of Us Strangers (2023) stellen wir euch drei Filme vor, die queere Hauptfiguren haben, queere Themen in den Vordergrund stellen, und der LGBTQ+-Community eine Stimme geben – und dabei auch zeigen, dass in einem romantischen Film nicht immer ein heterosexuelles Paar im Vordergrund stehen muss, und dass ein Noir-Krimi auch ohne männliche Hauptcharaktere funktioniert. Denn vom Thriller übers romantisches Drama bis hin zum fantastischen Melodrama ist hier alles dabei. Viel Spaß beim Lesen, und Happy Pride!
Bound
Bound – so heißt der erste Spielfilm der Wachowskis, die vor allem jedem für The Matrix bekannt sein werden. Ihr Regiedebüt war ein packender Thriller, der bereits bei dem noch erheblich kleineren Budget keinen Zweifel an dem Talent des Duos ließ. Zentral im Film steht die Liebesgeschichte zwischen der Handwerkerin Corky, einer ehemaligen Strafgefangenen, und ihrer neuen Nachbarin Violet, die mit dem für die Mafia arbeitenden Ceasar zusammenlebt. Als Violet sich von den gefährlichen Geschäften ihres Freundes loslösen will, heckt sie mit Corky einen Plan aus, das Geld der Mafia zu stehlen, um ein neues Leben anzufangen. Und so nimmt der Film seinen Lauf.
Von den Wachowskis meisterhaft in Szene gesetzt entsteht ein spannendes Hin und Her, bei dem vor allem Violet von einer zerbrechlich wirkenden Person zu einer starken und selbstbewussten Persönlichkeit reift. Es ist in seiner Effektivität ein klassischer und waschechter Thriller, der sich seiner Genre-Elemente exzellent bedient. Joe Pantoliano brilliert darin als gefährlicher und instabil wirkender Freund von Violet, der ihr wenig ernstzunehmende Beachtung schenkt. Getragen wird der Film von den beiden Hauptdarstellerinnen Gina Gershon und Jennifer Tilly, die dem Film eine glaubhafte Chemie zwischen dem Liebespaar geben. Es ist eine Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen, die als Anker des Filmes so in den 1990er Jahren auch beachtenswert war. Insbesondere Jennifer Tilly schafft es nach und nach, das Kommando über den Film zu übernehmen, da ihre Figur aufgrund ihres Geschlechts und ihrem leicht puppenhaften Aussehen von allen falsch eingeschätzt wird.
Bound verdreht damit auch ein wenig die Konventionen des Noir-Thrillers. Hier stehen zwei Frauen im Vordergrund und sind in ihrem Auftreten nicht auf die Klischees, die man ihrem Geschlecht zuschreibt, beschränkt. Corky ist als ehemalige Strafgefangene, Handwerkerin, durch die Wahl ihres Kostüms und ihrer kurzhaarigen Frisur eine Figur mit vielen dem Klischee nach männlichen Attributen. Bound beweist sich auch als ein bahnbrechender Film für lesbische Charaktere in Filmen, die hier die Hauptrollen in einem massentauglichen Thriller übernehmen dürfen und deren Sexualität als selbstverständlich angesehen wird. Gerade rückblickend lässt sich wohl kaum behaupten, dass die Wachowskis nicht schon immer Genrefilme durch ihre eigene Perspektive erzählt haben. Feste Geschlechterrollen gibt es nicht, ähnlich wie später die Figuren in den Matrix-Filmen weist Corky androgyne Züge auf. Der Film ist in der Hinsicht ein beachtliches Werk, doch vor allem äußerst unterhaltsam und jedem Liebhaber von Thrillern zu empfehlen. – Marius
The Way He Looks: Ein unschuldiger Feelgood-Sommerfilm
The Way He Looks (2014) ist ein relativ unbekannter brasilianischer Coming-Of-Age-Film, der von der Liebe zwischen dem blinden Leo und dem neuen Schüler Gabriel erzählt.
Leo (Ghilherme Lobo) und seine beste Freundin Giovana (Tess Amorim) sind Außenseiter und haben noch keinerlei Erfahrung in der Liebe. Das ändert sich, als die Klasse einen neuen Schüler bekommt: Gabriel (Fábio Audi). Leo fühlt sich sofort zu ihm hingezogen – Giovana jedoch auch.
Die Co-Abhängigkeit von Leo und Giovana, wie auch die Überfürsorglichkeit von Leos Mutter, haben ihn bisher davon abgehalten, eigenständig und autonom in die Welt zu ziehen.
Die Romanze, die sich zwischen Leo und Gabriel entwickelt, ist somit ein großer Schritt für Leo in Richtung Unabhängigkeit und Selbstvertrauen. Gabriel unterstützt Leo auch bei seinem Traum, ein Austauschjahr in Amerika zu machen.
The Way He Looks hat dieselbe Spätsommerstimmung wie auch Call Me By Your Name (2018), ist aber jugendlicher und unschuldiger gestaltet. Der Film lässt einen mit einem heiteren, aber auch nostalgischen Gefühl zurück; er ist ein Blick auf die erste große Liebe, auf die anstrengenden Schuljahre, durchwoben mit einem Gefühl der Andersartigkeit, und auch eine Hommage an Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Offenheit.
Ungewöhnlich ist auch die taktvolle Darstellung eines körperlich behinderten Teenagers, der, als attraktiv und charmant inszeniert, die Rolle der Hauptfigur einnimmt. – Ivana
All of Us Strangers
Einsamkeit, Trauer und Liebe. Hätte ich nur drei Worte, um Andrew Haighs Film All of Us Strangers (2023) zu beschreiben, würde ich wahrscheinlich diese nennen.
Der Film spielt in einem Londoner Hochhaus, das allerdings bis auf zwei Bewohner so gut wie leer steht. Einer dieser Bewohner ist Adam, gespielt von Andrew Scott. Dieser lernt eines Abends Harry kennen, der von Paul Mescal verkörpert wird.
Harry klopft an Adams Tür. Er sieht verzweifelt aus und ist einsam. Er bittet Adam um Einlass, um nicht allein zu sein. Zwei Einsame treffen aufeinander und doch verschließt Adam seine Tür. Er ist noch nicht bereit, sich zu öffnen. Adam trifft Harry im Haus wieder, sie lernen sich kennen und verlieben sich. Die Zuschauenden lernen dabei vor allem Adam besser kennen. Er ist ein Drehbuchautor und versucht, eine Geschichte über seine Eltern zu schreiben. Weil ihm das nicht gut gelingt, beschließt er, zu seinem Elternhaus zu fahren und seine Vergangenheit zu konfrontieren.
Das Publikum reist mit Adam in seine Vergangenheit, spürt den Schmerz, den er spürt, die Sehnsucht und die tiefe Trauer. Jeder Dialog geht unter die Haut. Jede Kameraeinstellung ist voll von Emotionen, die nicht ausgesprochen werden müssen, da Andrew Scotts Schauspiel so grandios ist, das dies nicht nötig ist. Auch Paul Mescal zeigt Harrys Gefühle durch leichte Veränderungen in seiner Mimik, die die Kamera perfekt einfängt. Uns wird auf diese Art authentische Trauer auf der Leinwand gezeigt, wie es vorher noch nicht geschehen ist.
All of Us Strangers ist ein wunderschöner Film, der einen nicht loslässt. Wie schön wäre es doch, wenn Adams und Harrys Liebe füreinander echt wäre. Aber es ist egal, ob das, was den Figuren geschieht, wahr ist oder nicht, ob die Geschichten wahr sind, oder nicht – Andrew Haigh zeigt uns, dass es nicht darum geht. Unsere Gefühle sind echt. – Anastasia