Flüstern und Staunen
Im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln an der Universitätsstraße scheinen sich das Sammeln von Kunst und das Sammeln von Erfahrungen in fragiler Balance entgegenzustehen. Als Kabinettausstellungen begegnet man zuerst Bizarre Schönheiten. Chinesische Literatensteine der Sammlung Benz, worauf die Ausstellung Streifzüge. Reiseberichte und Fotografien der Museumsgründer 1897-1899 folgt. Sie verknüpft – vielleicht unbewusst – eine Idee: Die chinesische Praxis, die Natur in Miniaturform ins eigene Heim zu holen, und die europäische Praxis, durch Reisen Kunst und ethnografische Objekte zu sammeln.
Schon beim Betreten des Ausstellungsraums fällt die gedämpfte Beleuchtung auf. Nur schwache Strahler heben die Exponate hervor. Die Stille im Raum verstärkt den meditativen Charakter der Ausstellung – Besucher*innen flüstern oder stehen lange vor einzelnen Exponaten, vertieft in deren Details.
Felsen mit Seele: Wie Steine zur Kunst werden
Bereits in der Tang-Dynastie (618-907 AD) wurde die Kunst der Steine als gleichrangig mit Kalligrafie und Malerei angesehen. Aufgestellt wurden sie in Gärten von chinesischen Literat*innen. Sie repräsentieren einen Mikrokosmos der Natur und dienten als Inspiration für die Künste. Geformt durch Erosion symbolisieren sie das Prinzip des Dao – den unaufhörlichen Wandel der Welt. Plastiken und Porzellane verdeutlichen die kulturelle Bedeutung der Literatensteine. So entsteht eine vielschichtige Erzählung, die über die reine Präsentation einzelner Objekte hinausgeht.
Der Drache aus Stein – ein Meisterwerk der Natur
Besonders herausragend unter den Literatensteinen ist ein klassischer Lingbi-Stein. Dieser schwarze Kalkstein mit feinen Kalzitadern war wegen seiner zerklüfteten Struktur und perforierten Oberfläche besonders begehrt. Er soll beim Anschlagen einen glockenähnlichen Klang erzeugen können. Da Lingbi-Steine oft wegen ihrer Ähnlichkeit zu Tieren geschätzt wurden, kann man in diesem vielleicht einen Drachen (龙, Lóng) erkennen – insbesondere durch seine geschwungenen Körperformen, die oft von zerklüfteten, wellenartigen Linien durchzogen sind. Drachen sind in der chinesischen Kultur Symbole für Macht, Weisheit und kosmische Energie. Besucher*innen verweilen lange vor diesem Exponat, fasziniert von seiner Bedeutung.
Die Welt in der Tasche
Asiatische Sammler versuchten, den mythischen Charakter der Natur und Kunst in einem „Minitaturformat“ mit nach Hause zu nehmen. Sind die gesammelten Artefakte des Ehepaars Fischer (Protagonisten der Streifzüge und Museumsgründer) nicht ebenfalls Miniaturfragmente einer fremden Kultur – Fenster in eine viel größere Welt?
Der Übergang in die Ausstellung Streifzüge fühlt sich an wie der Beginn einer eigenen Entdeckungsreise. Ebenfalls atmosphärisch abgedunkelt führen die Exponate durch zwei völlig unterschiedliche Reiseerfahrungen, und doch verknüpfen sie sie so nahtlos: Japan als Zentrum künstlerischer Inspiration und Taiwan als Ort ethnografischer Dokumentation. Die japanischen Exponate laden zur künstlerischen Betrachtung ein. Sie zeigen eine Welt aus Kunstwerken und Skizzen. Mit seinem Künstlerfreund Franz Hohenberger hat Adolf Fischer aktiv Skizzen der Reise mit Aquarell und Tusche erstellt, die später in dem Buch Bilder aus Japan veröffentlicht wurden.
Taiwan unter der Lupe: Eine Spurensuche
Taiwan (ehemals „Formosa“) wird in haptischen Prozessen der Dokumentation nahbarer gemacht. Persönliche Reisetagebücher, Fotografien und erworbene Artefakte zeigen die Intensität ihres Studiums. In einer Vitrine befindet sich ihre Reisekamera von 1898. Durch Fischers Linse gewinnt Taiwan an Tiefe – ein Blick in eine längst vergangene Welt. Informationstexte und Karten unterstützen das Besuchserlebnis und das Verständnis für kulturelle und geografische Orientierung. Auffallend ist die Sammlung von Waffen, darunter ein Messer und ein Schwert der Paiwan, dem südlichsten indigenen Volk Taiwans. Das Messing ist kunstvoll mit Haaren und Federn verziert.
Eine Ausstellung, die Brücken schlägt
Am Wochenende sind viele kunstinteressierte Besucher*innen vor Ort – darunter ältere Kunstliebhaber*innen, aber auch jüngere Menschen mit einem Faible für asiatische Ästhetik. Manche Besucher*innen notieren sich Gedanken, andere fotografieren gezielt Details. Besonders auffällig ist, dass trotz der gut gefüllten Räume die Stimmung zurückhaltend bleibt.
Die Ausstellungen Bizarre Schönheiten und Streifzüge im Museum für Ostasiatische Kunst Köln bilden eine atmosphärisch dichte, eindrucksvoll kuratierte Schau, die das Sammeln von Natur und Kunst auf einzigartige Weise verbindet.
Praktische Informationen für Besucher*innen
Streifzüge läuft bis 30. März. Geöffnet Di–So, 11–17 Uhr. Eintritt: €9,50 (€5,50 erm.). KölnTag: freier Eintritt für Kölner*innen. Barrierefrei, Führungen verfügbar. Mehr Informationen auf museum-fuer-ostasiatische-kunst.de.