Unsere Autorinnen Hannah und Anastasia haben sich beide den neuen Film Babygirl von Halina Reijn angesehen und ihre ganz unterschiedlichen Reaktionen auf das Erotikdrama in Rezensionen festgehalten. Viel Spaß beim Lesen!
Das sagt Hannah:
Das feministische Fifty Shades of Grey?
Die Kinoleinwand ist noch schwarz, wir hören ein lautes Stöhnen. Romy (Nicole Kidman) täuscht ihrem Ehemann einen Orgasmus vor. Die Szene ist wie ein Sinnbild für den gesamten Film. Romy spielt die Rolle der glücklichen Ehefrau und eiskalten CEO, während sie im Geheimen ganz andere Wünsche und Bedürfnisse hat.
Der neue Erotikthriller Babygirl (2024) von Halina Reijn soll Frauen zeigen – echte Frauen und ihre dunklen Geheimnisse.
Das Thema des Films? Sex, Leidenschaft und Feminismus. So wird er zumindest vorerst präsentiert. Aber stimmt das wirklich? Werden Taten, die wir seit Jahren an Männern kritisieren und sie dafür verurteilen, bei uns Frauen gleich als stark und feministisch empfunden? Ist es ok, wenn eine CEO mit ihrem jungen Praktikanten schläft und sie mit diesem endlich die sexuellen Fantasien auslebt, von denen sie schon so lange träumt?
Ich jedenfalls finde es eher fragwürdig. Das Ganze sollte wohl so etwas wie ein feministisches Fifty Shades of Grey werden. Allerdings ist Machtmissbrauch, unabhängig vom Geschlecht, ein riesiges Problem in unserer heutigen Gesellschaft. Das Romy im Schlafzimmer die Unterwürfige gibt und sogar Milch aus einer Schüssel schleckt wie ein Hund, macht den Film nicht weniger morbide oder unzugänglich. Als sie dann ihrem Mann (Antonio Banderas) von ihren Vorlieben erzählt ist von der selbstbewussten Karrierefrau nichts mehr zu sehen. So zieht sie sich immer wieder die Decke über das Gesicht und wir sehen eher eine verlegene Frau, es hat fast schon etwas Kindliches.
Nicole Kidman soll hier eine reife, selbstbewusste Frau darstellen, die dann aber am Ende doch der Selbstoptimierung verfällt. Wir sehen sie immer wieder, wie sie unzufrieden vor dem Spiegel steht und sich den modernsten Verschönerungspraktiken unterzieht. Warum das Ganze? Um dann doch dem Male Gaze zu gefallen? Von Feminismus fehlt hier meiner Meinung nach jede Spur.
Von einer richtigen Handlung, geschweige denn einem Spannungsbogen, kann im gesamten Film keine Rede sein. Die Affäre mit dem jungen Mann entsteht praktisch über Nacht und das Machtverhältnis in der Beziehung wendet sich schnell, sodass der Film leider einfach nur billig wirkt. Auch als die heimliche Affäre mit Samuel (Harris Dickinson) ans Licht kommt, ergeben sich für Romy wenig bis gar keine negativen Folgen – weder beruflich noch privat. Insgesamt fehlt es dem Film an Authentizität, selbst wenn die häufigen Sexszenen erfrischend realistisch und nicht romantisiert dargestellt werden.
Das sagt Anastasia:
Das Machtspiel Babygirl
Romy (Nicole Kidman) hat sich den Girlboss-Kapitalismus zu eigen gemacht: verheiratet, Mutter von zwei Kindern und erfolgreiche CEO eines Robotikunternehmens – einer von Männern dominierten Branche. Sie scheint ihr Leben im Griff zu haben. Nichts könnte schief gehen – bis klar wird, dass Romys sexuelle Begierde, dominiert zu werden, nicht von ihrem Ehemann (Antonio Banderas) gestillt werden kann. Vielmehr noch – es scheint, als hätte er ein völlig falsches Bild von ihr. Diese Unzufriedenheit Romys manifestiert sich in der Lust nach dem neuen Praktikanten Samuel (Harris Dickinson). Samuel geht auf das Spiel ein – oder initiiert er es nicht doch selbst?
Ungleiche Machtverhältnisse in romantischen und sexuellen Beziehungen sind ein viel diskutiertes Thema. Zurecht entwickelt sich Awareness, um die weniger Mächtigen zu schützen und die Machtmissbrauchenden zur Rechenschaft zu ziehen. Nichtsdestotrotz können gerade solche Machtverhältnisse im Privaten gar erst für Lust verantwortlich sein.
Babygirl (2024) beleuchtet genau das. Romy scheint zunächst offensichtlich in der Position der Mächtigen zu sein. Allerdings fängt sie an, sich Samuel völlig zu fügen. Dieser spricht sogar an, dass er die Macht hat, die Affäre ans Licht kommen zu lassen, was Romy ihre Karriere und ihre Ehe kosten könnte. Romy scheint ihm in einigen Momenten gänzlich unterworfen, wenn doch das Publikum weiß, dass auch sie in der Lage wäre, Samuels zukünftige Berufslaufbahn zumindest stark ins Wanken zu bringen. Dieses Machtspiel scheint für Romy und Samuel erfüllend und verwirrend zugleich zu sein. Babygirl will nicht behaupten, dass es Fälle von Machtmissbrauch überhaupt nicht gibt und dass diese Fälle nicht immer komplexer wären, als es von außen scheinen mag. Vielmehr will der Film zeigen, dass Macht und Sexualität nie ganz voneinander getrennt werden können, und dies in einigen Fällen extremer ist als in anderen.
Nicole Kidman sticht mit ihrer schauspielerischen Leistung heraus. Romys fehlende Befriedigung, ihre Lust und Zweifel lässt sie, ohne sprechen zu müssen, aus ihren Blicken ablesen. Regisseurin Halina Reijn schafft es darüber hinaus, Situationen der Annäherung darzustellen, die in Komik denen des wahren Lebens nahekommen. Sie inszeniert keine kritikfreie, verklärende Erotik, sondern zeigt die Realität der Lust, die nicht immer schön anzuschauen ist. Dem Film etwas wie einen Male Gaze vorzuwerfen wäre falsch. Babygirl ist aber auch nicht woke – in dem Sinne des Wortes, in dem es eher von Konservativen verwendet wird. Dies soll meinen, dass nicht davor zurückgeschreckt wird, problematische Situationen überhaupt zu zeigen. Wenn sie in der Realität existieren, können sie auch auf die Leinwand. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie diese inszeniert werden. Anstatt sie zu romantisieren, zeigt Reijn sie genau richtig: plump und ohne viel Ästhetik.
Ähnlich wie die Komplexität der Verhältnisse im Film, ist auch der Film selbst komplexer als es hier möglich wäre wiederzugeben. Babygirl erzählt eine Geschichte, die so noch nicht zu sehen war, und ist zumindest deswegen eine Chance wert.