Andor – In einer weit, weit entfernten Galaxis?

»Tyranny requires constant effort. It breaks, it leaks. Authority is brittle. Oppression is the mask of fear.« 

Das Star Wars-Fieber scheint vorbei zu sein. Die Sequel-Trilogie ist gescheitert und die Streaming-Serien stoßen auf durchwachsene Resonanz. Bis auf Andor (2022- 2025). Die kürzlich erschienene zweite Staffel zählt zu den am besten bewerteten Streaming-Releases und Star Wars-Projekten auf IMDb und Rotten Tomatoes. Dabei ist Andor stilistisch so weit von der Original-Trilogie entfernt wie keine andere der Serien. Keine Jedi-Ritter, keine Auserwählten, nur normale Menschen, die mehr oder weniger freiwillig in die Rebellion stolpern und ihr Leben dafür geben. 

Aber mal von Anfang an: Andor erzählt zunächst die Vorgeschichte Captain Cassian Andors (Diego Luna), den wir als einen der Helden aus Rogue One: A Star Wars Story (2016) – wohl der beste Film der Neuerschienen – kennen. Die erste Staffel startet etwas holprig. Wir sehen wie Cassian fünf Jahre vor der Handlung von Rogue One durch Zufall in Konflikt mit dem Imperium gerät und von einer Art imperialen Sicherheitsdienst verfolgt wird. Er muss fliehen, denn sein aktueller Heimatplanet Ferrix, seine Familie und Freunde werden vom Imperium beschattet, um ihn zu finden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden die Zuschauenden von der Handlung gefesselt. Dem Publikum wird einerseits Cassians Geschichte gezeigt, der dazu gedrängt wird, sich für eine Mission den „Rebellen“, die noch wenige und kaum koordiniert sind, anzuschließen, während auf Ferrix die Brutalität imperialer Unterdrückung dargestellt wird. Es ist erstaunlich, dass Disney dabei nicht vor solch ernsten Themen wie Folter, Machtmissbrauch und roher Gewalt an Zivilist*innen zurückschreckt. Gleichzeitig ist es für Star Wars-Fans interessant zu sehen, wie die Rebellion, die Luke Skywalker, Leia Organa und Han Solo zu den großen Helden des Franchise werden ließ, in ihren Anfangsphasen agierte. 

Wir lernen eine Bandbreite verschiedener Charaktere kennen: Rebellen, die an die Mission glauben und Manifeste für eine bessere Welt formulieren, Strippenzieher, die bereit sind für „das Gute“ über Leichen zu gehen, Zivilist*innen, die durch äußere Umstände mit in die Rebellion gezogen werden, Fanatiker, die wie gehirngewaschen an das Imperium glauben, die klassischen Bösewichte, die mit allen Mitteln versuchen, das Imperium zu schützen und zu stärken, und Politiker*innen, die als Teil der Rebellion ein Doppelleben führen. Und mittendrin Cassian, den wir noch nicht so recht einordnen können. Da auch die Akteure der verschiedenen Parteien ihn nicht gänzlich einschätzen können, gilt er für fast alle als Feind. Während Cassian durch die Galaxis stolpert, lernen die Zuschauenden ihn immer besser kennen. Staffel eins der Serie zeigt wie ein junger Mensch, der im Kindesalter zuschauen musste wie das Imperium seinen Heimatplaneten zerstörte, lernt, dass Unschuldige der Gewalt des Imperiums nie entkommen werden können, und die einzig sinnvolle Schlussfolgerung zieht: sich der Rebellion anschließen. Ein Highlight aus Staffel eins war Folge zehn „One Way Out“, in der ein Sci-Fi Gefängnis bzw. Arbeitslager inszeniert wird. Allein für diese Folge lohnt es sich, die Serie anzufangen (kleiner Tipp: die letzte Folge der ersten Staffel hat eine Post-Credit-Szene, die die Gefängnisarbeit nochmal in einem anderen Licht wirken lässt). 

Staffel zwei umfasst die restlichen Jahre bis zum Start von Rogue One. In diesen Jahren entwickelt sich die Rebellion von einer Hand voll unkoordinierten Gruppen zu einem galaxisweiten Phänomen. Die Charaktere, die wir in der ersten Staffel lieben oder hassen gelernt haben, werden vertieft. Sie werden konfrontiert mit Traumata, Verlust und Erpressung. Sie reagieren mit Drogenmissbrauch, Töten, wo es nicht nötig wäre, und Zusammenbrüchen. Sie sind normale Menschen, die alles für die Rebellion einerseits, für das Imperium andererseits geben. Durch einige Zeitsprünge wirkt die zweite Staffel anfangs zu schnell erzählt. Doch bald wird deutlich, dass dies genau die richtige Erzählweise ist. Zu Beginn der zweiten Staffelhälfte stehen die Figuren vor Entscheidungen, die aus den vorherigen Jahren hervorgehen. Während die Rebellen sich fragen, in welcher Form sie überhaupt weiter machen können, stehen auch die Akteure des Imperiums vor inneren Konflikten. Es kristallisiert sich eine tragische Figur heraus. Ein stets dem Imperium treuer Charakter merkt, dass dieses nicht auf Ordnung beruht, sondern auf Unterdrückung. Es will nicht das Chaos bekämpfen, sondern seine Macht konsolidieren. Und dennoch wird auf eine billige und unoriginelle Redemption-Arc verzichtet. Dieser Handlungsstrang lässt nicht los und zählt zu dem besten Erzählen, das Star Wars uns je geboten hat. Die letzten fünf Folgen der Staffel haben nicht umsonst alle in IMDb-Rating von 9.5 oder höher; Andor ist die erste TV-Serie, die so eine hohe Bewertung bei fünf aufeinanderfolgenden Episoden vorlegen kann.

In der zweiten Hälfte der Staffel sehen wir rohe Gewalt, wie das Franchise sie vorher kaum inszeniert hat. Gezeigt wird ein Genozid, der vom Imperium und dessen Nachrichtenmedien gerechtfertigt und in seinem Ausmaß vertuscht wird. Diejenigen, die das Geschehene als das, was es war, betiteln, müssen mit harten Konsequenzen rechnen. Spätestens hier wird deutlich, dass das, wofür Star Warsim Ursprung stand, auch für Andor gilt: Es spielt nicht vor langer, langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis, sondern im Hier und Jetzt. Die Serie ist also nicht nur spannend für Star Wars-Fans, sondern für alle, die sich für Politik und Zeitgeschehen interessieren. 

Zu erwähnen ist auch, dass die schauspielerischen Leistungen hervorragend sind. Stellan Skarsgård, Kyle Soller und Denise Gough sind hier besonders hervorzuheben, wenn auch die Liste in Realität viel länger ist. Die letzten Folgen der zweiten Staffel führen uns direkt zu den Geschehnissen von Rogue One. Ein (wiederholtes) Sehen dieses Films lohnt sich im Anschluss definitiv. In gewisser Weise lassen sich die beiden Staffeln Andor und Rogue One als eine neue Trilogie deuten, die meiner Meinung nach noch sehenswerter ist als „das Original“ von Episode IV-VI.