Zwischen Sofa, Strandkorb und Tagungsexperiment: Medienkulturwissenschaft studieren

„Irgendwas mit Medien“ – diese inzwischen fast zum Unwort gewordene Beschreibung der Medienkulturwissenschaft zeigt ein Identitäts-Dilemma der wissenschaftlichen Disziplin, genauso wie ein Marketing-Problem. Mit der Frage „Was macht du da eigentlich?“ werden Studierende nicht erst im letzten Semester konfrontiert, wenn es darum geht, die Zeit nach dem Studium zu planen. Man wird nicht zur Filmregisseurin ausgebildet, musste nie auf einer Theaterbühne stehen und Programmieren hat man im Zweifel auch nicht gelernt. Also: Was macht man da eigentlich die ganze Zeit?

Diese Frage ließ sich im Online-Sommersemester 2020 plötzlich zum ersten Mal richtig gut beantworten. Die Verlagerung des gesamten Lehrbetriebs in den digitalen Raum, die beispiellose Konjunktur von Naturwissenschaftler*innen in Talkshows, die notgedrungene Verschiebung von Kinopremieren mit all ihren Folgen für die Film-, Kino- und Streamingbranche – all das ist potenzieller Gegenstand der Medienkulturwissenschaft. Was heißt es eigentlich für vorproduzierte Fernsehsendungen, wenn sie dank fehlender Maskenpflicht und Abstandregeln eindeutig auf die Vor-Corona-Zeit datiert werden können? Was macht es mit unserer zwischenmenschlichen Kommunikation, wenn wir nicht mehr mal eben der Sitznachbarin etwas zuraunen können? Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sie an dem Maße gemessen wird, in dem sie es ihren Mitgliedern ermöglicht, nicht mehr vor die eigene Haustür zu gehen? Welches Verständnis von „Bequemlichkeit“ liegt dem Ausdruck „alles bequem vom Sofa aus“ zugrunde – und was heißt das eigentlich für das Sofa, wenn es nun Bürostuhl, Kinosessel und Strandkorb in einem ist?

Die Medienkulturwissenschaft beleuchtet traditionell die Schnittstellen zwischen Medienkonsum und gesellschaftlichem Habitus. Ihre Stärke ist die detaillierte Kleinstanalyse ebenso wie die breit angelegte kritische Reflexion spezifischer Systeme. Sie eignet sich daher besonders gut für die Einordnung, das Hinterfragen und das Überdenken von gesellschaftlichen Veränderungen, die sich (wie wir dank McLuhan wissen) in den Medien, die sie hervorbringen, wiederspiegeln.

Medienkulturwissenschaft zu betreiben ist daher immer auch eine Aushandlung zwischen dem wissenschaftlichen Blick auf den Alltag und dem Leben des Alltags selbst. Diese zweiseitige Medaille wird dann besonders deutlich, wenn das eigene Tun von gesellschaftlichen Ereignissen überlagert wird, also beispielsweise dann, wenn man seit Jahren über Überwachungstechniken nachdenkt und plötzlich gezwungen ist, eine Überwachungssoftware zur universitären Kommunikation zu nutzen. Oder wenn man die Vor- und Nachteile von Open-Access-Publikationen erforscht und mit einem Mal keinen Fuß mehr in die Bibliothek setzen darf. Oder auch, wenn man eine Tagung unter dem Motto „Experimentieren!“ plant und sich plötzlich selbst gezwungenermaßen mitten in zahlreichen gesellschaftlichen Experimenten wiederfindet.

Die Bochumer Medienwissenschaft, Ausrichterin der diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM), zog aus dieser allgegenwärtigen wissenschaftlichen Dualität die Konsequenz, die Tagung nicht etwa abzusagen oder zu verschieben, sondern gänzlich virtuell stattfinden zu lassen. Frei nach dem Motto: Wer, wenn nicht gerade wir als Medienwissenschaftler*innen, sollte dazu in der Lage sein, den digitalen Raum kreativ und reflexiv für sich zu nutzen?

Das Organisationsteam reagierte mit einem erweiterten Call for Papers, der dezidiert Panels zum Nachdenken und Arbeiten mit den Entwicklungen in der Pandemie anregte. So ist das diesjährige Programm eine Mischung aus dem, was die Medienwissenschaft ohnehin immer tut, nämlich gemeinsam reflektive und zukunftsorientierte Praktiken zu medientheoretischen und medienpraktischen gesellschaftlichen Prozessen zu erforschen, und dem, was von ihr im Herbst 2020 besonders gefordert ist, nämlich diese Forschungen auf die pandemischen Entwicklungen auszurichten.

Die Tagung der GfM findet dieses Jahr vom 29. September bis 02. Oktober statt. Die Anmeldung läuft über die diesjährige Website, unter der auch das Tagungsprogramm eingesehen werden kann.

In einer Zeit, in der es gerade für Studierende nur erschwert möglich ist, ein wissenschaftliches Netzwerk aufzubauen und Inspirationen für die eigene Forschungsarbeit zu sammeln, bietet diese virtuelle Konferenz die Möglichkeit, die aktuellen Debatten der eigenen Disziplin mitzuerleben und mitzugestalten.

Und das alles bequem vom Sofa aus.

Weiterführende Informationen und Links:

Die Website der diesjährigen Tagung der GfM (29.09.-02.10.): https://gfm2020.blogs.ruhr-uni-bochum.de/

Die Website der Gesellschaft für Medienwissenschaft: https://gfmedienwissenschaft.de/

Mitglied der GfM kann man für den ermäßigten Jahresbeitrag von 30 € hier werden: https://gfmedienwissenschaft.de/mitgliedschaft