Das Privileg, sich auf das Wochenende zu freuen – Die Psychologie hinter der Langweile

Seit ich 2016 die Schule beendet und mit dem Studieren begonnen habe, hat das Wochenende keinen großen Stellenwert in meinem Leben eingenommen. Seminare fanden manchmal samstags statt und ich hatte dafür beispielsweise den Mittwoch frei. Samstage und Sonntage waren nichts Besonderes mehr. Während des Lockdowns ist das Wochenende jedoch zur reinen Qual geworden. Der Strukturverlust, der sich durch alle Wochentage zieht, ist samstags und sonntags umso auffälliger. Die Tage verschwimmen und ich merke plötzlich am Sonntagmorgen, dass ich vergessen habe, einzukaufen. Das aktuelle Datum weiß ich schon lange nicht mehr auswendig und selbst die Monate fangen an, zu verschwimmen. Eine Langweile breitet sich aus, die sich nichtmal mit meiner Lieblingsserie abwenden lässt.

Das hat sich jedoch alles geändert, seitdem sich die Maßnahmen gelockert haben und ich ein Vollzeitpraktikum mache. Plötzlich hat der Alltag wieder Struktur. Ich kenne die Wochentage und oft – aufgrund diverser Deadlines – sogar das heutige Datum. Und das Schönste: am Ende der Woche erstreckt sich eine zweitägige Oase. Zwei Tage, an denen ich meinen Tag selber einplanen kann. Was früher eine Qual war, ist nun plötzlich ein Geschenk. Die zahlreichen Netflix-Serien, die geguckt werden müssen sind keine Last mehr, sondern eine Option. Langeweile? Kenne ich nicht. Denn die möglichen Beschäftigungen, die sich vor mir ausbreiten, sind endlos. Und ich habe auf jede von ihnen Lust.

Langeweile ist eigentlich purer Stress

Langeweile wird oft fälschlich mit Nichtstun und Faulheit verbunden. Denn Langeweile entsteht nicht, wenn man nichts tut – sondern wenn man das Falsche tut. Nach dem Psychologen John Eastwood ist Langeweile der „unerfüllte Wunsch nach befriedigender Tätigkeit.“ Der gelangweilte Mensch ist demnach gezwungen, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, das er tun muss, anstatt das zu tun, was er eigentlich tun will. Die Tätigkeit wird dann als unbefriedigend und langweilig wahrgenommen. Wenn wir während eines Lockdowns unsere Freund*innen vermissen und gerne wieder mal feiern gehen würden, kann uns deswegen selbst unsere Lieblingsserie öde vorkommen. Wir fühlen uns leer, verlassen und ohnmächtig. Unruhig verlangt unser Körper „nach etwas“, ist dennoch aber unfähig anzugeben, was denn genau. Langeweile ist, psychologisch gesehen, der reine Stress. Das sieht man auch daran, dass Gelangweilte einen höheren Puls und Blutdruck sowie das Stresshormon Kortisol aufweisen. Menschen, die sich im Beruf langweilen, erleiden bewiesenermaßen häufiger einen Herzinfarkt. Wenn euch eure Eltern – oder ihr selber – also das nächste Mal Vorwürfe machen, dass ihr so lethargisch seid – ihr steht aufgrund eurer Langeweile unter extremen Stress. Und wer kann unter Stress schon Spaß haben?

Denken gegen die Langeweile

Sich hinzusetzen und Nachzudenken scheint auf den ersten Blick extrem kontraproduktiv für eine erlebte Langeweile zu sein. Nach Psycholog*innen ist das Denken jedoch die Königsdisziplin der Langeweilebekämpfung. Das Gehirn will sowieso nur das eine: denken. Und da Langweile oft auch dadurch entsteht, dass negative Gedanken durch die Reizsuche aktiv verdrängt werden, ist das Aufarbeiten von Ängsten umso sinnvoller, um wieder genießen zu können. Das ist das Selbe, wie wenn ihr übermorgen eine Hausarbeit abgeben müsst, ihr aber trotzdem – unter Stress – weiter eure Serie guckt. Das macht ja auch keinen Spaß. Letztendlich lässt sich jedoch keine pauschale Aussage darüber treffen, was gegen Langeweile hilft. Bei mir war es paradoxerweise die Einschränkung meiner Handlungsfreiheit. Je weniger Freizeit ich habe, desto mehr kann ich sie wertschätzen. Die Langeweile einfach auszuhalten kann nach Expert*innen ebenfalls dabei helfen, sie zu überwinden. Und der Sommer, mit all seinen möglichen Aktivitäten und Erlebnissen, ist ja nun auch eingetroffen.