Könnt ihr das nicht besser? – Der Frauenanteil in journalistischen Führungspositionen

Journalistinnen gibt es viele in Deutschland. Trotzdem ist Gleichberechtigung in den Chefetagen eher die Ausnahme als die Regel. Männer dominieren und Frauen werden zu wenig gefördert. Der Weg in Richtung Gleichberechtigung ist noch steinig und lang. Eins steht jedoch fest: Die Leitmedien könnten eine bedeutendere Rolle in der Entwicklung einnehmen, als sie es bisher tun.

Wie das im Sommer 2020 geführte Interview mit dem ARD-Intendanten Volker Herres zeigt, sind Frauen in ihrem Job anscheinend nicht so sichtbar wie Männer. Das liegt oftmals an mangelnder Förderung. Als Herr Herres in dem genannten Interview gefragt wurde, welche Moderatorin eine große 20:15 Uhr-Unterhaltungsshow moderieren könne, sagte er, er kenne keine, die die Menge so für sich begeistern könne wie Kai Pflaume. Dafür nennt er als Grund, dass nicht viele Frauen in der Showunterhaltung auffindbar seien. Daraufhin reagierten online insbesondere viele Frauen mit Vorschlägen für eben solche Moderatorinnen, denn an Frauen an sich mangelt es sicherlich nicht in der Branche.

40 Prozent aller Journalist*innen in Deutschland sind weiblich. Das belegen Susanne Keil und Johanna Dorer in ihrem Aufsatz „Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht“ aus dem 2019 veröffentlichten Handbuch „Medien und Geschlecht“. Ein genauer Blick in aktuelle Zahlen zeigt, wie unterrepräsentiert Frauen in hochrangigen Positionen im Journalismus dennoch sind:

Der Verein ProQuote Medien e.V. setzt sich seit der Gründung im Jahr 2012 dafür ein, dass mehr Frauen in journalistischen Führungspositionen vertreten sind und berechnet dafür deren Anteil in regelmäßigen Abständen. Dafür ermitteln sie einen sogenannten Machtquotienten, der höhere Positionen im Unternehmen stärker als niedrigere gewichtet. So wird nicht bloß ermittelt, wie hoch der prozentuale Frauenanteil ist, sondern wie viel Macht Frauen beim jeweiligen Medium haben.

Betrachtet man die Machtanteile mehrerer journalistischer Bereiche aus dem Jahr 2019, so fällt auf, dass die Publikumszeitschriften, also diejenigen, die ein breites Publikum informieren und unterhalten wollen, der einzige Bereich sind, in dem Männer und Frauen ungefähr gleich verteilt sind. In allen anderen betrachteten Bereichen dominieren Männer die Führungsetage. Besonders bei Regionalzeitungen sind Frauen mit einem Machtanteil von durchschnittlich 10,2 Prozent deutlich unterrepräsentiert.

Während sich die deutschen Leitmedien in Print und Online mit 29,3 Prozent im Mittelfeld der Ergebnisse befinden, fällt hier positiv auf, dass sich der Frauenmachtanteil in den Printleitmedien seit dem Jahr 2012 mehr als verdoppelt hat. Ausgewertet wurden hierfür die Machtanteile der Redaktionen folgender Leitmedien: BILD, FAZ, Focus, Spiegel, Stern, SZ, Welt und Zeit. Vergleich man allerdings die einzelnen Anteile miteinander, so sind trotz allem große Unterschiede erkennbar. Die letzte Erhebung aus dem Januar 2020 zeigt, dass einzig Stern und stern.de in Print und Online einen Frauenmachtanteil von über 50 Prozent aufzeigen können. Bei den Printmedien liegt Focus mit 11,8 Prozent hinten, während der letzte Platz bei den Onlinemedien auf faz.net mit 16,1 Prozent fällt. Auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung in Führungspositionen im Journalismus sind schon erste Erfolge ersichtlich, aber es ist noch reichlich Luft nach oben.

Der Grund für den Mangel von Frauen in Führungspositionen ist nicht etwa, dass sie dafür nicht qualifiziert genug sind, sondern, dass sie nicht so häufig die Chance bekommen, ihr Können unter Beweis zu stellen. Der aus dem Personalmanagement stammende „Ähnlichkeitseffekt“ beschreibt, dass man unbewusst oft solche Bewerber*innen bevorzugt, die einem selbst in sozialen Merkmalen und Bildungshintergrund ähnlich sind. Durch diesen Effekt treten Kompetenzen in den Hintergrund und der Bewerbungsprozess wird verzerrt. So kann es dazu kommen, dass ein Mann eher einen männlichen Bewerber einstellt. Außerdem sind Frauen häufig aus sogenannten „Buddy-Netzwerken“ ausgeschlossen, bei denen sich meist Kollegen gegenseitig unterstützen und fördern.

Schon im Jahr 1971 thematisierte damals die Kunsthistorikerin Linda Nochlin dasselbe Problem in einer anderen Branche in dem Essay „Why have there been no great women artists?“. Bis heute zählt der Text als Meilenstein der feministischen Kunstbewegung. Nochlin spricht hier die institutionellen Hindernisse an, die unterbinden, dass Frauen in der Kunst Anerkennung bekamen. Sie behauptet, dass es durchaus Künstlerinnen gegeben habe, mangels Anerkennung allerdings wurde in der Öffentlichkeit nicht über sie geredet. Dies ist durchaus mit der heutigen Situation in der Medienbranche zu vergleichen: Es mangelt nicht an Frauen per se, sondern an deren Förderung und Sichtbarmachung.

Ist es nicht ironisch, dass in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren unzählige Debatten über Geschlechterungleichheiten im Job, Wege zur Förderung von Frauen und die Frauenquote geführt worden sind, die Entwicklung aber dennoch im Schneckentempo voranschreitet? Besonders Medienredaktionen widmen sich dem Thema immer wieder. Zweifellos ist es ihre Aufgabe, darüber zu berichten, was die Welt bewegt und mit welchen Problemen sie zu kämpfen hat: Stichwort „Medien als Spiegel der Gesellschaft“. Dennoch scheint sich auch im Journalismus nicht allzu schnell etwas zu verändern. Könnt ihr das nicht besser? Solltet nicht gerade ihr, die großen Leitmedien, die einen starken Einfluss auf öffentliche Meinungen haben, eure leitende Funktion besser nutzen und als Vorbild für andere dienen, indem ihr zeigt, wie Gleichberechtigung funktionieren kann?

Die Gesellschaft ist doch so viel pluraler als das, was wir momentan auch in euren Chefetagen zu sehen bekommen. Diversität in redaktionellen Führungspositionen würde auch diversere Berichterstattung, neue Perspektiven auf Formate und Probleme und Platz für neue Ideen bedeuten. Und sind diese Aspekte nicht allesamt vorteilhaft und profitabel für euch? Warum helft ihr dann nicht alle noch mehr dabei, diese festgefahrenen Geschlechterrollenbilder zu bekämpfen, sondern bestärkt diese oftmals auch noch mit Blick auf eure Führungsetagen und eure Berichterstattung? Wählt eine Frau für eine 20:15 Uhr-Unterhaltungsshow, denn auch sie kann lustig sein. Lasst zwei Frauen eine Radiosendung moderieren, denn ihre Stimmen sind sehr wohl unterscheidbar. Gebt mehr Frauen hochrangige Jobs, damit sie ihre Fähigkeiten beweisen können. Macht Frauen in euren Reihen für die Öffentlichkeit sichtbar und stellt euch der Verantwortung, die Gesellschaft aktiv mitzuformen. Denn erst dann kann die Welt möglichst in all ihrer Fülle beleuchtet werden und Rollenbilder können effektiver bekämpft werden. Erst dann könnt ihr euch wahrhaftig „Spiegel der Gesellschaft“ nennen.

So sieht das auch Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesfrauenministerium, bei der Vorstellung neuer Studien von ProQuote Medien e.V. am 7.11.2019: „Was in unserem Land geschrieben, veröffentlicht und gesendet wird, beeinflusst die Wahrnehmung unserer Umwelt und welches Bild wir uns von den Dingen machen. Wir sollten aber vermeiden, dass bestimmte Rollenbilder in den Medien einfach vorgegeben werden – und sich dadurch in den Köpfen festsetzen. Vielmehr sollte sich die Vielfalt unserer Gesellschaft auch in der Berichterstattung widerspiegeln. Das kann besser gelingen, wenn Frauen und Männer in den Führungsetagen der Medienhäuser gleich vertreten sind.“

Selbstverständlich hört diverse Repräsentation in Führungsetagen nicht bei dem jeweiligen Frauenanteil auf, aber es wäre immerhin ein erster Schritt, der hoffen lässt auf mehr. Er würde hoffen lassen auf eine Welt, in der weder Geschlecht, Gender und Sexualität noch Herkunft über Karriereaufstiege entscheidet. Davon sind wir zwar meilenweit entfernt, vielleicht aber kann diese Vorstellung irgendwann Realität werden, wenn die bisherige Entwicklung stärker vorangetrieben wird. Egal, ob mit Frauenquote oder vielleicht doch ganz anders, es ist klar, dass sich in der Gesellschaft noch mehr und vor allem schneller als derzeit etwas ändern muss. Wenn dann noch die Leitmedien stärker mithelfen würden, Rollenbilder zu bekämpfen, in dem sie als Vorbild für andere dienen, wäre ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung dieser Idealwelt getan.