Filmklassiker – Unsere liebsten Filme 2023

Selbst wer das aktuelle Geschehen in Hollywood sonst nicht verfolgt, ist im vergangenen Sommer wohl kaum an dem Filmevent des Jahres vorbeigekommen: Mit Barbie und Oppenheimer kamen unter der Regie von Greta Gerwig beziehungsweise Christopher Nolan am selben Tag zwei Blockbuster in die Kinos, die die Gemüter spalteten und als „Barbenheimer“ monatelang die sozialen Medien beherrschten. Für Filmfans hatte 2023 aber noch viel mehr zu bieten: Mit Martin Scorseses Killers of the Flower Moon und Ridley Scotts Napoleon lieferten Regie-Schwergewichte neue eindrucksvolle Streifen in Überlänge, und erfolgreiche Filmreihen wie Indiana Jones (Teil 5), Mission: Impossible (Teil 7), John Wick (Teil 4) oder Fast & Furious (Teil 10) wurden um eine weitere Fortsetzung ergänzt. Ungewöhnlichere Kino-Highlights waren Taylor Swifts Konzertfilm The Eras Tour und die Videospielverfilmung Der Super Mario Bros. Film, die beide den Rekord für die höchsten Einspielergebnisse in ihrem jeweiligen Subgenre brachen.

Aber auch abseits der ganz großen kommerziellen Erfolge konnte das vergangene Kinojahr einiges vorweisen. Im Rahmen unserer Filmklassiker-Reihe stellen euch die Autor*innen der Medienredaktion in diesem Beitrag fünf Filme aus vier verschiedenen Ländern vor, die sie 2023 besonders begeistert haben und die daher mehr Beachtung verdient hätten: Past Lives (R: Celine Song), Perfect Days (R: Wim Wenders), Fallende Blätter (R: Aki Kaurismäki), Roter Himmel (R: Christian Petzold) und How To Blow Up A Pipeline (R: Daniel Goldhaber). Viel Spaß beim Lesen!

Past Lives

Auf dem Blatt Papier scheint Past Lives ein weiterer Liebesfilm unter vielen anderen zu sein: Nora und Hae Sung sind beste Freunde in der Schule, doch als Nora mit ihrer Familie von Korea nach Kanada zieht, muss sie Hae Sung hinter sich lassen. 24 Jahre nach ihrem Abschied sehen sie sich wieder, Nora ist mittlerweile glücklich mit dem Amerikaner Arthur verheiratet. Das ist der Punkt, wo der Film beginnt, Fragen zu stellen: „Was wäre, wenn mein Leben anders verlaufen wäre, wenn ich andere Entscheidungen getroffen hätte?“

Past Lives unterscheidet sich von so vielen anderen Liebesfilmen, weil er unaufgeregter, tiefgründiger und vor allem erwachsener ist. Keine der Figuren in dieser Dreiecks-Konstellation wird zum Bösewicht gemacht, es gibt keine dramatischen Auseinandersetzungen zwischen den Figuren. Stattdessen versucht sich Debut-Regisseurin Celine Song daran, zu reflektieren, was passiert, wenn zwei unterschiedliche Lebensabschnitte und damit Teile von dir aufeinandertreffen und sich begegnen. Es geht zwar um Liebe, ja, aber es geht auch um kulturelle Identität, um Timing und um Schicksal. Mit seiner ruhigen Kameraführung, den vielen Close-Ups und den Sequenzen ohne Dialog, in denen rein über Mimik und Gestik kommuniziert wird, nimmt der Film einen mit und lädt dazu ein, sein eigenes Leben und die Beziehungen darin zu reflektieren.

Und damit ihr ganz unbefangen an diesen Film herantreten und ihn auf euch wirken lassen könnt, höre ich an dieser Stelle auf und werde Past Lives ganz in seinem Stil nicht mit überschwänglichen, sich selbst überbietenden Adjektiven umschreiben, um euch davon zu überzeugen, dass er zum Kinojahr 2023 einfach dazugehört. Das schafft der Film bereits alleine. – Sara

Perfect Days: Routine als Katharsis

Wim Wenders gehört zu den wohl meist gefeierten deutschen Regisseuren und hat ein beachtliches Werk aus Spielfilmen und Dokumentarfilmen geschaffen. Während seine neuen Dokumentarfilme auch bis heute stets Anklang fanden, schien allerdings die Qualität seiner Spielfilme seit den 90ern etwas gelitten zu haben. So liegt zumindest sein letzter Kritikererfolg bereits eine Weile zurück. Doch das änderte sich mit Perfect Days, ein Film, der nicht nur wohlwollend aufgenommen wurde, sondern überraschenderweise sogar Japans Auswahl für den besten internationalen Film bei den Oscars ist. Weniger überraschend ist, dass Wim Wenders Tokyo als Schauplatz wählte. Seine Affinität für die Stadt hatte er schon früher in Dokumentarfilmen deutlich gemacht. Nun entstand in Partnerschaft mit dem Hauptdarsteller Koji Yakusho auch ein Spielfilm über einen Toilettenputzer, der ein bemerkenswert simples und doch zufriedenstellendes Leben in Tokyo führt. Es ist ein Film, geprägt von der Routine eines Lebens, das für die leisen, schönen Momente Zeit hat, aber auch nach und nach einen vagen Einblick in den Hintergrund der Figur gibt.

Hirayama ist eine Hauptfigur ohne große Aspirationen. Seinen Job führt er gewissenhaft und mit Präzision aus, jede Toilette und der dazugehörende Raum wird grundlegend gereinigt, mit kleinen Bürsten kommt er an alle Ecken ran. Tatsächlich gibt es wohl selten Filme, bei denen das Putzen von Toilettenräumen eine solch beruhigende Wirkung auf Zuschauer*innen hat. Es ist ein prozessualer Ablauf, der durch seine Vollendung befriedigt. Und so erkennt man in der Figur dieselbe beruhigende Wirkung. Dazu eignen sich die in Tokyo aufgenommenen öffentlichen Toiletten ganz besonders gut. Es sind kunstvolle Architekturen, die an öffentlichen Plätzen so gebaut wurden, dass sie sowohl schön aussehen wie auch sich nahtlos der Umgebung anpassen. Seine Erfüllung im Leben sieht Hirayama in den Momentaufnahmen der Natur. Er beobachtet, wie die Schatten der Bäume sich durch den Wind bewegen und fotografiert Äste und Blätter für seine Fotokollektion. Zusammen mit den Architekturen und den Naturbildern entwickelt Perfect Days eine ästhetische Schönheit, die einen während der alltäglichen Geschehnisse mit seinem Arbeitskollegen und dessen Freundin oder kurzen Begegnungen mit anderen Menschen rund um seine Arbeitsplätze im Bann hält.

Doch selbst eine perfekte Fassade muss ihre entstehenden Risse ab und zu abdecken. Für die Zuschauer*innen eröffnet sich der Hintergrund von Hirayama ein wenig, als seine Nichte auftaucht. Der Film gibt schlauerweise zu keinem Zeitpunkt genaue Antworten dazu, was mit ihm in der Vergangenheit passiert ist und wieso er in diesem Verhältnis zu seiner Familie steht. Doch Perfect Days zeigt, wie sich Hirayama diese perfekten Tage erarbeitet und gibt uns Hinweise, durch die man Vermutungen aufstellen kann, warum er solch eine Routine in seinem Leben braucht. Es ist für ihn nicht einfach, mit Routine durchbrechenden Momenten umzugehen und seine Familiengeschichte ist sichtlich von vergangenem Schmerz gekennzeichnet. Der Film wirkt auch wie ein Porträt eines ehemalig Suchtkranken in Genesung. Hirayama schätzt sein simples Leben ungemein, doch scheint es auch zum Überleben zu brauchen. Koji Yakushos Schauspielleistung ist exzellent und eine der besten des Jahres. Er zeigt mehr durch Stille, als viele es mit hundert Worten könnten. Die fantastische letzte Einstellung bringt das gesamte Werk auch noch einmal auf den Punkt und ist eine grandiose Darbietung des Hauptdarstellers. Perfect Days ist optimistisch und sieht die Schönheit im Leben. Doch es lässt auch Schmerz zurück, der überwunden werden musste. Es ist ein Film, der einen für die kleinen Momente des Lebens innehalten und Bewunderung an ihnen gewinnen lässt. Eine willkommene Rückkehr zur alten Form des Altmeisters. – Marius

Fallende Blätter

Auch im Jahr 2023 durfte sich das Kinopublikum an einem neuen Spielfilm von Aki Kaurismäki erfreuen. Der vielfach preisgekrönte finnische Regisseur – ausgezeichnet mit dem Europäischen Filmpreis oder einem Oscar, um nur einige zu nennen – erfreute mit der Tragikomödie Fallende Blätter die Leinwände.

Fallende Blätter erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die sich durch die Wege des Zufalls in einer Bar in Helsinki kennenlernen. Die weibliche Protagonistin Ansa lebt von befristeten Minijobs, während der männliche Protagonist Holappa auf dem Bau sein Geld verdient. Beide sind von Armut und gezwungen-minimalistischer Lebensweise geprägt. Auf eine unglaublich berührende Weise schafft es jedoch Aki Kaurismäki, das Kennenlernen in der tristen Lebensrealität der beiden zu erzählen, ohne dass sich Mitleid, sondern Erkennen bei Rezipient*innen einstellen kann; überwiegt doch das Gefühl von „Solche Figuren kenne ich – bin ich eine dieser Personen?“. Mit einem einzigartigen Charme werden Figuren dargestellt, die fast der Realität entsprungen zu sein scheinen.

Ein Gespräch zwischen Holappa und einem Freund in der Bar ist bezeichnend für den Film: „Ich bin deprimiert.“ – „Warum?“ – „Weil ich so viel trinke.“ – „Wieso trinkst du dann?“ – „Weil ich so deprimiert bin.“

Mit wenigen, pointierten Worten und nicht unbedingt absolut originellen Dialogen kommt der Film aus. Denn was besonders überzeugt ist die non-verbale Kommunikation der Schauspieler*innen. Der unglaubliche Cast (Alma Pöysti und Jussi Vatanen spielen die Hauptfiguren) schafft es mit nur kleinsten Gesten und Mimik, das Gefühl von kompletter Nähe zu den Figuren zu evozieren. Dazu kommen der trockene Humor und die Eigenartigkeit der Farben, die den Film ein wenig aus der Zeit fallen lassen. Als würde ein leichter Sepia-Filter über der Erzählung liegen, passt sich die Handlung dem Titel nach herbstlich fallenden Blättern an. Auch das Interior und die Kleidung der Darsteller*innen verweisen eher auf eine Zeit vor 2000, während das Radio in Ansas Küche dennoch von dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine berichtet und die Handlung somit wieder in das Hier und Jetzt holt.

Fallende Blätter ist ein hochromantischer Film, der jedoch ohne viel Schnick-Schnack und Extravaganz auskommt, da reale Liebe beschrieben wird. Mit ihren Auf und Abs. Mit ihren verpassten Chancen, aber auch dem Vergeben. Ein Film für den Sonntagnachmittag, wenn es mal wieder nach Ruhe, Gemütlichkeit und Schmunzeln verlangt. Mit großem Abstand ist Fallende Blätter mein Filmhighlight des Jahres 2023. Gemunkelt wird, dass er Chancen auf den Oscar 2024 als bester internationaler Film hat – was bestimmt eine Freude für Kaurismäki wäre, der mit Fallende Blätter seinen 20. Kinofilm auf die internationalen Leinwände gebracht hat. – Emma

Roter Himmel

Filme wie Call Me By Your Name (2017) beweisen, dass ein Aufenthalt im Ferienhaus eine durchaus gute Grundlage für Sommerfilme sein kann. Bereits in den ersten Minuten von Roter Himmel zeichnet sich ab, dass der Urlaub der beiden Freunde Leon und Felix allerdings nicht überaus idyllisch verlaufen wird: Zunächst werden sie von ihrem kaputten Auto dazu gezwungen, die restliche Strecke zu Fuß zurückzulegen. Im Haus erreicht sie dann die Nachricht, dass sie nicht – wie eigentlich angenommen – allein sein werden, da auch die Fremden Nadja und Devid ihre Zeit dort verbringen.

Im Gegensatz zu Felix, der gemeinsam mit Nadja und Devid zum Strand geht, verweist der Schriftsteller Leon bei jeder Anfrage auf anstehende Arbeit an seinem Manuskript. Trotz oder gerade wegen seines über weite Strecken abweisenden Verhaltens ist er ein zentraler Faktor im mitunter komischen zwischenmenschlichen Zusammenleben der vier Figuren, das von intensiven Gefühlen geprägt ist. Ein herausragendes Schauspiel der Darsteller*innen ermöglicht eine ähnliche Atmosphäre wie bei einem Film von Eric Rohmer.

Doch gerade darin, dass er diese Stimmung um mehrere Facetten erweitert, liegt die Stärke von Roter Himmel: Die sommerliche Hitze sprengt die leicht träumerische Atmosphäre. Sie ist eine zeitgenössische, ausgelöst durch Waldbrände in der Nähe des Ferienhauses. Dadurch schwebt sie als andauernde Gefahr über dem Zusammenleben der Figuren und bestimmt im Laufe des Filmes zunehmend dessen Tonalität, was zu einer tragischen Wendung führt. Indem Roter Himmel zum Beispiel die feine Darstellung menschlichen Zusammenlebens mit den Klimakatastrophen unserer Zeit kombiniert, entfacht er vor allem zum Ende hin eine solche Intensität, dass er zum Abspann und auch weit darüber hinaus in besonderem Maße zum Nachdenken anregt. – Felix

How To Blow Up A Pipeline

How To Blow Up A Pipeline wurde am 8. Juni 2023 in deutschen Kinos veröffentlicht, nachdem der Film schon seit 2022 in den USA zu sehen war. Der Titel ist Programm: Die acht Protagonist*innen planen, eine Ölpipeline in die Luft zu sprengen. Wir beobachten sie dabei, wie sie jedes kleinste Detail planen. Sie wollen mit ihrem Vorhaben neben Medienaufmerksamkeit vor allem die Petrolindustrie finanziell schwächen.

Vor Gesellschaftskritik schreckt der Film also nicht zurück. Der Polit-Thriller und das gleichnamige Buch von Andreas Malm, das die Basis für den Film bildet, haben eine klare und deutliche Botschaft: Radikaler Aktivismus ist nötig, um die Klimakrise zu stoppen. Ob das nun moralisch vertretbar ist oder nicht, wird zwar angesprochen, es ist aber nicht Thema des Films. Es geht in How To Blow Up A Pipeline nicht darum, ob die Protagonist*innen das Richtige tun, sondern darum, dass Ölkonzerne durch die bewusste Zerstörung von Umwelt und Ökosystemen das Falsche tun.

Die Einzelschicksale der Charaktere werden erzählt und so wird gezeigt, wie die verschiedenen Persönlichkeiten zu ihren Entscheidungen gekommen sind. Dabei spielt der Regisseur Daniel Goldhaber mit emotionalen Momenten, durch die die Charaktere lebhafter wirken und die das Publikum mitfiebern lassen. So wird zum Beispiel das Schicksal einer amerikanischen Familie gezeigt, die ihr Haus verlassen muss, da durch ihr Grundstück eine Ölpipeline gelegt werden soll.

Aber How To Blow Up A Pipeline kann nicht nur Gesellschaftskritik, denn der Film ist vor allem eins: spannend! Die Geschichte wird in diesem Action-Thriller immer wieder durch Rückblenden unterbrochen, wodurch die Zuschauenden Szene für Szene alle Puzzleteile in die Hand gelegt bekommen. Der Aufbau, die verschiedenen Erzählperspektiven, die Geschichte selbst – all das trägt dazu bei, dass die Zuschauenden von Anfang an vom Film gepackt und auch nicht mehr losgelassen werden. Der Thriller ist also definitiv auch für Menschen sehenswert, bei denen die Themen Klimakrise und Aktivismus nicht im Fokus stehen.

In rund 108 Minuten bekommen wir facettenreiche Charaktere, eine spannende Storyline, Gesellschaftskritik und viele bewegende Momente. How To Blow Up A Pipeline ist ein hochaktueller Film, der selbst als eine der unbekannteren Produktionen des vergangenen Jahres eine große Bereicherung für das Kino gewesen ist! – Anastasia