All The Beauty And The Bloodshed – Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin

Trigger-Warnung: In diesem Text werden die Themen Drogensucht, Suizid und Gewalt an Frauen erwähnt.

Nan Goldin ist bekannt geworden für ihre fotografische Dokumentation der LGBTQ+-Szene des New Yorks der 1970er und 80er Jahre. Sie brach die Norm und veröffentlichte Fotobände, die Sexualität und Gewalt an Frauen zeigten. Selbst betroffen von der Opioid-Krise in den Vereinigten Staaten, setzt sie sich dafür ein, dass die Pharmaunternehmerfamilie Sackler Verantwortung für den Verkauf ihrer Opioid-Präparate übernahm. Da die Sackler-Familie Sponsoren vieler großer Museen weltweit sind, wie unter anderem dem MET in New York und der National Gallery in London, protestierte sie in diesen Museen, verweigerte die Zusammenarbeit mit ihnen und erreichte, dass mehrere Museen die Kooperation mit der Sackler-Familie stoppten. 

Aber mal von Anfang an: Nan Goldin wurde am 12. September 1953 in Washington, D.C. geboren. Ein Schicksalsschlag in ihrer Familie prägte sie schon früh. 1964 nahm ihre ältere Schwester sich das Leben – ein Ereignis, das Goldin immer wieder in ihrer Kunst adressiert. Goldin litt schwer darunter, da sie eine sehr gute Beziehung zu ihrer Schwester hatte. Nur drei Jahre später zog sie mit 14 Jahren aus ihrem Elternhaus aus. Sie fing mit dem Fotografieren an und veranstaltete ihre erste Ausstellung. 1974 begann sie ein Studium an Bostons School of the Museum of Fine Arts. 

Mit 25 Jahren zog sie nach New York in eine WG. Ihre Mitbewohner*innen waren Teil der LGBTQ+-Community und führten sie in die LGBTQ+-Subkultur New Yorker Clubs und Bars ein. Sie fing an mit ihrer eigenen Sexualität vertraut zu werden und fotografierte ihr Leben in der WG und die Partys mit ihren Freund*innen. Ihre Fotos bieten dadurch bis heute noch einen einzigartigen Einblick in die LGBTQ+-Szene. Goldin veranstaltete Ausstellungen und Diashows mit ihren Fotos und half so, Vorurteile der LGBTQ+-Szene gegenüber abzubauen. Ihren Diashows wohnte ein besonderer Aufführungscharakter bei, denn sie zeigte niemals dieselbe Show zwei Mal. Sie begann sich in der Künstler*innen-Szene zu etablieren und konnte ihren Durchbruch mit der Diashow The Ballad of Sexual Dependency, die erstmals 1979 gezeigt wurde, feiern.  Dort adressierte sie Themen wie sexuelle Selbstbestimmung, Drogenkonsum, Sexarbeit und später auch Gewalt an Frauen sowie AIDS-Erkrankungen. 2011 hat Goldin für ihren Beitrag zur Entstigmatisierung von AIDS den Reminders Day Award verliehen bekommen. 1986 erschien die Diashow in einem gleichnamigen Fotoband. Sie selbst wurde zum Opfer häuslicher Gewalt durch ihren Exfreund. Das Fotoband umfasste auch Bilder ihrer eigenen Verletzungen. Das, so wie die von Kritikern als drogenverherrlichend bezeichneten Bilder, sorgte für einen Skandal um ihre Person, auch innerhalb ihrer Familie. Ihre Eltern, zu denen sie damals schon länger kein engeres Verhältnis mehr hatte, kritisierten ihre Kunst scharf. 

Goldin war selbst einige Zeit Heroin abhängig und argumentiert, dass sie nur ihr eigenes Leben dargestellt hat. Sie überwand ihre Sucht und lebte lange mit einigen Rückfällen drogenfrei, bis sie 2014 operiert wurde und ihr das Schmerzmittel Oxycodon verschrieben wurde. Sie entwickelte eine Abhängigkeit, die lebensgefährlich wurde. Sie schaffte dennoch den Entzug und engagierte sich seitdem als Aktivistin, um für die leichtsinnige Verschreibung von Opioiden als Schmerzmittel zu sensibilisieren. Die Opioid-Krise in den USA kostete allein 2014, dem Jahr, in dem Goldin selbst davon betroffen war, über 20.000 Menschen das Leben. 2020 waren es über 60.000. Die Krise begann als 1996 das Schmerzmittel Oxycontin von dem Unternehmen Purdue Pharma, das der Familie Sackler gehört, auf den Markt gebracht wurde. Es wird der Unternehmensfamilie vorgeworfen, Opioide als Medikamente verkauft zu haben, trotz des Wissens um die zu starke Wirkung und das hohe Suchtpotential. Seit 2007 gab es deswegen immer wieder Gerichtsverfahren sowohl gegen Purdue Pharma als auch gegen die Familie Sackler selbst. Das Unternehmen und die Familie mussten mehrere Millionen US-Dollar Strafe zahlen und noch immer laufen Gerichtsverfahren gegen sie. 

Was den Fall für Goldin als Künstlerin noch persönlicher macht, ist, dass die Sackler-Familie von dem Geld, das sie auch durch den Verkauf von Opioiden verdient haben, mehrere große Kunstmuseen finanzierten. Neben dem MET und der National Gallery gehört zum Beispiel auch das New Yorker Guggenheim dazu. In den Museen sind oft auch große Schriftzüge mit dem Namen „Sackler“ zu sehen. Goldin, für die Kunst auch immer gleichzeitig politisch war, fing an die Museen aufzufordern, ihre Verbindung zu den Sacklers zu beenden. Sie gründete die Gruppe „P.A.I.N.“ (Prescription Addiction Intervention Now) und organisierte mit anderen Aktivist*innen Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams vor und in den Museen. Die Gruppe verteilte mit Kunstblut beschmierte Geldscheine in den Museen oder leere Tablettenaufbewahrungsdosen, um die Museen auf ihre problematischen Sponsoren aufmerksam zu machen. Die Museen sind aber auch an Zusammenarbeiten mit Goldin interessiert. Solange diese aber weiterhin Spenden der Sackler-Familie akzeptieren, verweigert Goldin die Kooperation. Sie macht auf das Thema in sozialen Netzwerken und in der Presse aufmerksam. Mittlerweile haben viele große Museen sich bereits von den Sacklers getrennt.  

Möchte wer mehr über die Person Nan Goldin, ihre Geschichte, Kreativität und Inspiration erfahren, so sei der Dokumentarfilm All The Beauty And The Bloodshed aus dem Jahr 2022 ans Herz gelegt. Hier zeigt Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Laura Poitras die ganze Geschichte Goldins. Es werden Szenen ihrer Kindheit und Jugend gezeigt, ihre Fotografien und letzten Endes auch ihr Aktivismus gegen die Sacklers. Goldin kuratiert auch immer wieder Ausstellungen in Europa, gerade sogar in Amsterdam. Wer also eine ihrer Ausstellungen live erleben möchte, kann die Augen danach aufhalten. Nan Goldin ist eine inspirierende Figur, die mit ihrer Kunst immer wieder die Norm brach und polarisiert hat. Sie zeigt, dass Kunst und Politik Hand in Hand gehen und schreckt dabei nicht vor Kritik zurück. Ihr unermüdlicher Aktivismus regt zum Nachdenken an. Meiner Meinung nach hat sie definitiv einen Platz unter den großen Kämpfer*innen unserer Zeit verdient.