Spätestens seit Schlagzeilen wie „‘Barbie‘: Greta Gerwig nun erfolgreichste US-Regisseurin“ bei der Rolling Stone oder „Regisseurin Greta Gerwig knackt mit „Barbie“ die Milliardengrenze“ bei der SZ kommt man an dem Namen Greta Gerwig nicht vorbei. Barbie ist der Sommerfilm des Jahres 2023 und Gerwig mit ihm angekommen in der oberen Liga von Hollywoods Regisseur*innen.
Doch springen wir zunächst zurück ins Jahr 1983: Greta Celeste Gerwig wird am 4. August in Sacramento, Kalifornien geboren und wächst mit ihren beiden Eltern und zwei Geschwistern auf. Bereits in ihrer Kindheit und Jugend ist sie fasziniert von Tanz, Theater und Musicals und entwickelt insbesondere eine Leidenschaft fürs Balletttanzen. Doch erst während ihres Philosophie und Englisch Studiums am Barnard College in New York probiert sie sich so richtig aus: Sie schauspielert, arbeitet als Stage Manager für Theater Produktionen, schreibt ein eigenes Theaterstück, was von Student*innen aufgeführt wird, und gründet eine Sketch-Comedy Gruppe. Vor ihrem Abschluss 2006 bewirbt sie sich für zahlreiche Masterstudiengänge in Dramaturgie und Screen Writing, wird aber von allen abgelehnt. Also beschließt sie als Schauspielerin zu arbeiten. Über ihren Freundeskreis lernt sie Filmemacher Joe Swanberg kennen, spielt in seinem Film Hannah Takes The Stairs (2007) die Hauptrolle und arbeitet mit ihm gemeinsam als Regisseurin, Autorin und Schauspielerin an Nights and Weekends (2008). Währenddessen hat sie u.a. einen Nebenjob als Zumba Trainerin, um ihr Leben zu finanzieren. Mit der Zeit bekommt Gerwig von der amerikanischen Presse Aufmerksamkeit für ihre schauspielerische Leistung und spätestens seit ihrem Auftritt in der Horrokomödie Baghead (2008) bekommt sie von den US-Medien den Beinamen „Queen of Mumblecore“. Mumblecore beschreibt dabei Filme aus der Independent Filmszene, die wenig Budget zur Verfügung haben und größtenteils auf Improvisation setzen.
Unter Regisseur Noah Baumbach spielt sie 2010 in Greenberg zum ersten Mal in einem Hollywood Film. Noah Baumbach ist sowohl professionell als auch privat von ihr beeindruckt: Nach den Dreharbeiten werden sie ein Paar. Heute sind die beiden verheiratet, leben mit ihren beiden Söhnen in New York und arbeiten noch immer gemeinsam an Filmprojekten. So zum ersten Mal 2012 für die Indie-Sensation Frances Ha. Beide schreiben an dem Skript und Gerwig spielt zudem die Hauptrolle, die ihr eine Golden Globe Nominierung beschert. In den folgenden Jahren arbeitet Greta Gerwig an mehreren Produktionen mit, darunter auch an Drehbüchern.
Doch ihr Interesse an Film umfasst viel mehr als nur Schauspiel, also muss sie einen Weg finden, sich auch das Handwerk für die Arbeit hinter den Kulissen anzueignen. So macht sie es sich zum Vorteil, am Set vor Ort dabei sein zu können, wenn Filme entstehen, und sammelt an Regie-Erfahrungen: Bei den Dreharbeiten für Frances Ha bleibt sie länger als nötig, beobachtet das Geschehen hinter der Kamera und macht sich Notizen zu Licht, Production Design etc. Die junge Frau hat stets das Gefühl vorbereitet sein zu müssen für den einen Moment, in dem sie ihr Können hinter der Kamera, insbesondere als Frau, unter Beweis stellen muss und der keine Fehler verzeiht. An einem gewissen Punkt weiß sie, dass sie sich nun trauen muss den nächsten Schritt zu gehen: „It does reach a point where you think, If I fall on my face and it’s dreadful and everybody says it’s dreadful, I’d rather have tried than not.”
2017 ist es dann soweit und es kommt zu einer großen Überraschung. Ihr erster eigenständig produzierter Spielfilm Lady Bird wird ein Erfolg. Die Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin gewinnt mit dem an ihrem eigenen Leben orientiertem Coming-of-Age Drama zwei Golden Globes und erntet fünf Oscar-Nominierungen, darunter für die beste Regie. Jetzt geht scheinbar alles Schlag auf Schlag: Auch die Romanverfilmung Little Women aus dem Jahr 2020 wird ein voller Erfolg und beschert ihr eine Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch.
Dann fragt Margot Robbie 2020 bei Gerwig an, ob sie das Drehbuch für einen Live Action Film zu Mattels Barbie schreiben will, den Margot Robbie produziert. Greta ist sich bewusst: „Das könnte das Ende meiner Karriere bedeuten“ und sagt zu. Wider Erwarten stimmt Warner Bros. ihrem Drehbuch zu und will sie sogar als Regisseurin. Jetzt im Spätsommer 2023 wissen wir, dass Barbie nicht das Ende Gerwigs Karriere bedeutet, sondern diese nochmals einen bedeutenden Aufwind für das Mainstream-Hollywood bekommen hat: Barbie knackt an den Kinokassen alle Rekorde und alle Welt spricht über die Regisseurin.
Dass der Name Greta Gerwig immer öfter fällt, liegt nicht zuletzt daran, dass weibliche Regisseurinnen in Hollywood immer noch die Ausnahme bilden. Weibliche Regisseurinnen bekommen weniger finanzielle Unterstützung von den Produktionsstudios, ihnen wird das nötige Knowhow des Filmemachens nicht zugetraut und man zweifelt an dem kommerziellen Erfolg der Filme von (und über) Frauen. Gegenbeispiele in den letzten Jahren wie Kathryn Bigelows The Hurt Locker (2008), mit welchem sie als erste Frau jemals einen Oscar für die beste Regie bekommen hat oder Patti Jenkins Wonder Woman (2017), der über 800 Millionen US-Dollar an den Kinokassen eingespielt hat, reichen nicht, um diese Vorurteile zu stürzen. Frauen auf der großen Leinwand für ihre Schönheit zu bewundern und zu begutachten, das wird seit Anbeginn Hollywoods toleriert, gar gerne gesehen, aber wenn es um den Schaffensprozess geht, dann sollen sich Frauen besser zurück halten – so bis heute das vermittelte Bild. Zu Leiden all jener Schaffenden, die sich an der Glasdecke des Systems Hollywood die Köpfe anstoßen und keine Chance bekommen.
Greta Gerwig ist es gelungen als Regisseurin durch ebendiese Glasdecke zu stoßen. Doch auch mit den Geschichten, die sie sich für ihre Filme ausgesucht hat, eckt sie an. Denn Greta interessiert sich nicht für die klassische „Boy meets girl“ Liebesgeschichten, die Frauen vermitteln, dass ihr Ziel im Leben sein sollte einen Mann zu finden, um glücklich zu werden. Viel zu oft ginge es in Geschichten über Frauen entweder um heiraten oder den Tod, so Gerwig in einem Interview mit dem Time Magazine. Die Geschichten, die sie mit ihren Filmen erzählen will, beschreibt sie in der HuffPost wie folgt: „I’m always interested in relationships between women. I’m always interested in how women relate to each other, whether it’s a family relationship or it’s a friend relationship. That’s such uncharted territory in cinema. Usually, women don’t have any relationship with each other; they just have relationships with the male protagonists“. In Gerwigs Filmen geht es nicht um die romantische Beziehung, sondern um die Rolle und Beziehung der Frauen zu ihren Schwestern, ihrer Mutter und Familie, ihrer Heimat, der Gesellschaft und zuletzt zu sich selbst. Die Frauenfiguren, die Greta zeichnet sind unperfekt, komplex und nie immer einfach gut oder böse. Die Zuschauer*innen bekommen intime Einblicke in die Emotionswelt der Figuren und ihre Makel, was sie nicht zuletzt nahbarer und realistischer macht. Immer wieder betont Gerwig, wie wichtig es sei, nicht nur mehr Frauen in die Regie-Rolle zu bekommen, sondern auch die Geschichten über Frauen zu propagieren: „Women’s stories are commercial […]. They are not niche“ (CNBC). Der Erfolg ihrer Filme, zuletzt von Barbie, geben ihr Recht. Dass Barbies Erfolg Mattel nun glauben lässt, die Leute wollen nicht etwa mehr Filme über Frauen, sondern über Spielzeug, sagt so einiges und ist ein Artikel für sich wert.
Greta Gerwig fordert als weibliche Regisseurin nicht nur die Strukturen der Filmbranche an sich heraus, die es einer Frau schwer machen hinter der Kamera zu stehen, sondern auch die Produkte dieser Branche, die komplexe weibliche Geschichten und Figuren vereinfachen oder ganz ausradieren. Sie zeigt eine von vielen Möglichkeiten wie es anders (und dennoch erfolgreich) geht. Es ist zweifelhaft, dass ihr Erfolg den Weg für alle ebnen wird, aber Greta Gerwig und ihre Filme tragen dazu bei, dass die gläserne Decke Hollywoods feine Risse bekommt. Greta Gerwig sollte nicht das Ende, sondern der Anfang sein für eine diversere Aufstellung Hollywoods hinter und weiterhin auch vor den Kulissen. Es braucht mehr Leute, die wie Greta mit solch einer sichtbaren Freude und Leidenschaft Filme machen und dafür brennen ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Mit jeder Person wie Greta, die durch die gläserne Decke bricht, wird es schwerer das altbekannte System aufrechtzuerhalten, es wird Platz für weitere Leute gemacht. Außerdem wird eine neue Generation herangezogen: Mädchen sehen einen Film von Gerwig und sind davon inspiriert dasselbe zu tun: „Ich möchte auch Filme machen“. Das zu erreichen, das würde Greta sicherlich stolz machen.
Bildquelle: Behind the Scenes von Gerwig, Greta. 2017. Lady Bird. United States: A24.