Die Kunstschule Bauhaus, die parallel mit der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1933 existierte, gilt als eine der einflussreichsten Institutionen des 20. Jahrhunderts. Bekannt für ihre radikalen Ansätze und bahnbrechenden Ideen in den Bereichen Kunst, Design und Architektur, prägte das Bauhaus die moderne Kultur maßgeblich. Nach der Gründung in Weimar im Jahr 1919 musste die Schule im Jahr 1926 nach Dessau und im Jahr nach Berlin umziehen, bis sie dann 1933 durch die Nationalsozialisten geschlossen wurde. Da Schüler*innen sowie Lehrer*innen im Exil auf der ganzen Welt ihre Philosophie weiterverfolgten, wurden die künstlerischen Prinzipen der Schule aufrechterhalten, sodass die Kunstschule noch heute für zahlreiche Designs, Kunstwerke und ausgefallene Theaterexperimente bekannt ist.
Auch im Studium der Medien- und Kulturwissenschaften werden Artefakte und Persönlichkeiten der Kunstschule vielseitig rezitiert und analysiert. Auffällig ist dabei, dass insbesondere die Ideen und Kunstwerke der am Bauhaus tätigen Männer besprochen werden und die Ideen und Persönlichkeiten der meisten Frauen nur am Rande erwähnt oder keine Rolle in der gegenwärtigen Erinnerungskultur spielen.
So hat mit Sicherheit jede*r Student*in mal einen Ausschnitt des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer gesehen, ein Kunstwerk von Wassily Kandinsky betrachtet oder sich gefragt, wie bequem der Wassily Chair von Marcel Bräuer wohl ist. Doch wisst ihr eigentlich wer maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass wir uns heute an all diese Artefakte erinnern können? Oder wer in der Textilwerkstatt ein Schall absorbierender Theatervorhang erfunden hat, der funktional sowie ästhetisch die Akustik in Veranstaltungsräumen verbessert hat?
Genau, zwei sehr talentierte und motivierte Frauen, von insgesamt 462 Frauen, die, laut historischen Dokumenten, am Bauhaus studierten.[1] Seiner Zeit galt das Bauhaus als eine der ersten Kunstschulen, die Frauen Zutritt gewährte und, laut dem von Walter Gropius 1919 verfassten Gründungsmanifest, die Möglichkeit bat, eine mit den Männern gleichwertige künstlerische Ausbildung zu absolvieren.
„Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Begabung und Vorbildung vom Meisterrat als ausreichend erachtet wird.“
Für Gropius stand also die Kunst und das Talent der Bewerber*innen im Mittelpunkt und es sollte unabhängig vom Alter und Geschlecht über die Studienplatzvergabe entschieden und gearbeitet werden.
Im Folgenden stelle ich zwei Frauen vor, die durch ihr handwerkliches Geschick und ihren künstlerischen Blick einen großen Beitrag zu dem künstlerischen Schaffen am Bauhaus und dem Erhalt seiner Geschichte geleistet haben, jedoch in der klassischen Geschichtsschreibung kaum oder nur nebensächlich zu Wort kommen. Zudem wird bei der Betrachtung ihrer Geschichte und künstlerischen Arbeit deutlich, dass sich die Arbeits- und Ausbildungsrealität der meisten Künstlerinnen am Bauhaus deutlich von der versprochenen Gleichbehandlung der Geschlechter unterschied.
Anni Albers, geboren Annelise Fleischmann, war eine Textilkünstlerin am Bauhaus. Sie wurde 1899 in Berlin geboren und erhielt schon als Kind privaten Kunstunterricht. Nachdem sie aufgrund ihres Geschlechts eine Absage an der Dresdener Akademie für Malerei erhielt, besuchte sie ab 1919 die Kunstgewerbeschule in Hamburg. Da sie eigentlich Malerin werden wollte entschied sie sich 1922 an das staatliche Bauhaus in Weimar zu wechseln, da sie sich für die modernen und innovativen Konzepte und Ansichten der Kunstschule begeisterte und hoffte dort als Malerin ausgebildet zu werden. Doch obwohl die Kunstschule eine geschlechterunabhängige Betrachtung von Kunst versprach, traf Albers auf eine Realität, in der Frauen in extra Klassen unterrichtet wurden, die einen Schwerpunkt auf „leichteres Handwerk“ und „einfachere Kunst“ wie Weben, Buchbinden oder Töpfern legten. Die Ausbildung als Malerin wurde ihr also auch am Bauhaus verwehrt, aber Albers entschied sich daraufhin, sich in der Weberei ausbilden zu lassen.
Sie wurde besonders durch ihren innovativen Einsatz von Materialien und ihrem experimentellen Ansatz in der Textilgestaltung bekannt und stellte die traditionellen Vorstellungen des Handwerks Weberei in Frage, indem sie dieses mit modernen Elementen der Kunst kombinierte. Neben der Entwicklung von Stoffen für Stahlrohrmöbel und Wandbehängen für private Wohnungen oder Theatervorhänge erprobte sie neue Materialien wie Zellophan und Kunstseide. Zudem entwickelte sie einen Stoff, der sich dehnen und Schall absorbieren konnte, um die Akustik in dem Veranstaltungssaal der Kunstschule zu verbessern. Albers erhielt ein Diplom in Weberei und wurde später Leiterin der Webereiwerkstatt. 1949 eröffnete sie als erste Textilkünstlerin eine Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art.[2]
Die Fotografin Lucia Moholy hingegen hat das Wesen des Bauhauses durch ihre Fotografie eingefangen. Ihrer Arbeit ist zu verdanken, dass uns heute historische Dokumente über die Arbeit am Bauhaus vorliegen, denn sie machte sich zur Aufgabe den Alltag des künstlerischen Schaffens und Arbeitens am Bauhaus zu dokumentieren. Durch die Schließung und der anschließenden Zerstörung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 und der Flucht der meistens am Bauhaus tätigen Schüler*innen und Lehrer*innen wurden diese Fotografien neben den Erzählungen die einzigen Erinnerungsobjekte an die Kunstschule.
Doch obwohl die Fotografien heute weltweit bekannt sind, weiß kaum jemand, dass diese von Moholy gemacht wurden. Grund dafür ist eine Fotoausstellung, die von Walter Gropius in New York eröffnet wurde, während Moholy im Exil in London lebte und die Fotografien aufgrund der Flucht 1933 in Berlin zurückgelassen hatte. Gropius, der nach New York floh, nahm die Fotografien mit und eröffnete dort eine Ausstellung, um über die Einzigartigkeit des Bauhauses zu berichten. Er nutzte Moholys Fotografien ausschließlich als visuelles Erzählungsobjekt, um über die ästhetischen und sozialen Prinzipien der Bauhaus-Kunstschule zu berichten, ohne die Künstlerin dahinter zu erwähnen.[3]
Neben Moholy und Albers waren noch viele weitere talentierte Frauen am Bauhaus tätig. Auch wenn sich die geschlechterdiskriminierende Ausbildung in den verschiedenen Handwerken und Kunstformen nicht mehr ändern lässt, können wir als Medienkulturwissenschaftler*innen dabei helfen die Erinnerungskultur an die am Bauhaus tätigen Frauen wiederzubeleben, indem wir uns für ihre künstlerische Arbeiten interessieren und uns mit ihren Geschichten auseinandersetzen und sie erzählen.
[1] Blümm, Anke (2021), Vergessene Bauhaus-Frauen – Lebensschicksale in den 1930er- und 1940er-Jahren.
[2] Deutschlandfunkkultur hat einen spannenden Artikel über Albers Lebensgeschichte veröffentlicht: https://www.deutschlandfunkkultur.de/serie-frauen-im-bauhaus-anni-albers-kuenstlerische-100.html
[3] ARTE hat einen tollen Kurzfilm produziert, der Moholys Geschichte erzählt: https://www.arte.tv/de/videos/090626-023-A/geniale-frauen/
Foto: T Lux Feininger Bauhaus-Archiv Berlin/ © Nachlass von T Lux Feininger: https://www.architonic.com/de/story/dominic-lutyens-anni-albers-und-die-vergessenen-frauen-des-bauhaus/20027706 (abgerufen am 19.07.2023).