Wer die Prüfung der Mediengeschichte des BM3 schon hinter sich hat, kann sich vielleicht noch an die Mappen zum frühen Tonfilm erinnern. Eine Mappe, die besonders von männlichen Namen geprägt ist. Dass sich aber gerade in dieser Zeit des Übergangs vom Stummfilm hin zum Tonfilm eine Frau besonders durch ihre Fähigkeiten als Regisseurin ausgezeichnet hat, wird nur am Rande beschrieben. Gemeint ist damit die Filmregisseurin und Cutterin Dorothy Arzner, die heute als eine der wichtigsten Filmemacherinnen des Hollywood-Studiosystems der „goldenen Jahre“ gesehen wird. Im Laufe ihrer Karriere als Filmregisseurin drehte sie drei Stummfilme und 14 Tonfilme.
Dorothy Arzner wurde 1897 in San Francisco, Kalifornien, geboren, beendete 1915 die High-School, um dann an der University of Southern California für zwei Jahre an einem medizinischen Vorbereitungsprogramm teilzunehmen. Als sich die USA 1917 am Ersten Weltkrieg beteiligten, diente sie als Krankenwagenfahrerin.
Nach dem Ende des Krieges bekam Arzner eine Stelle bei einer Zeitung, durch die sie Einblicke ins Filmgeschäft erlangte und sich so der Wunsch verfestigen konnte, eine Karriere als Filmregisseurin anzustreben. Sie arbeitete sich weiter hoch, sodass sie bei Paramount zuerst als Stenografin und später als Autorin eingestellt wurde. In den Folgejahren wurde Arzner der Paramount Tochtergesellschaft Realart Films als Cutterin zugewiesen. In dieser Tätigkeit – sie war nebenbei die erste professionell anerkannte Cutter*in Hollywoods überhaupt – arbeitete sie an rund 52 Filmen mit. Ihren Durchbruch als Cutterin erlangte sie mit dem Film Blut und Sand im Jahr 1922, ein Film über einen Toreador, für den sie insbesondere für ihren Schnitt der Stierkampfszene gelobt wurde. Durch diesen Film wurde der Regisseur James Cruze auf sie aufmerksam, mit dem sie in den kommenden Jahren an mehreren Filmprojekten zusammenarbeiten sollte, darunter Filme wie Die Karawane von 1923.
1927 debütierte Dorothy Arzner als Regisseurin mit dem Stummfilm Fashions for Women. Wenig später entschied sie sich dazu sich, nach angekündigten Gehaltskürzungen innerhalb des Paramount Studios, selbstständig zu machen und wurde prompt von RKO Radio Pictures für den zweiten Film der damaligen Jungschauspielerin Katharine Hepburn Ihr großes Erlebnis (1933) beauftragt. Dieser sollte sowohl ein großer Erfolg innerhalb der Karriere Arzners, als auch Hepburns sein. Als 1936 die „Directors Guild of America“ gegründet wurde, wurde Dorothy Arzner das erste weibliche Mitglied.
Obwohl ihre eigentliche Karriere als Regisseurin zu der Zeit schon beendet war, drehte sie während des Zweiten Weltkriegs Ausbildungsfilme für das Women’s Army Corps (WAC) der US-Armee. Nach dem Krieg stieg sie nicht wieder in das Filmgeschäft ein, sondern begann am Pasadena Playhouse als Filmlehrerin zu arbeiten. Später unterrichtete sie an der UCLA Regie und Drehbuchschreiben – einer ihrer Schüler war Francis Ford Coppola – bis zu ihrem Tod 1979.
Natürlich war Dorothy Arzner nicht die einzige Frau hinter der Kamera zur Stummfilmzeit. Insbesondere als Drehbuchautorinnen war zu ihrer Zeit schon Frauen engagiert und die Französin Alice Guy-Blaché beispielsweise hatte mit ihrem Stummfilm La Fée aux Choux im Jahr 1896 den ersten fiktionalen Film überhaupt gedreht. Dennoch war Dorothy Arzner die einzige Regisseurin, die den Übergang zum Tonfilm erfolgreich meisterte. Sie entwickelte zusammen mit ihrem Tonteam das erste Boom-Mikrofon, das an einer Angelrute befestigt wurde, um die Schauspielerin Clara Bow am Set von The Wild Party (1929) besser verfolgen zu können.
In ihren Filmen präsentierte Arzner gut entwickelte, starke und interessante Frauenfiguren und die Ambivalenzen derer Leben. Dies sorgte dafür, dass Arzners Filme seit dem Aufkommen der feministischen Filmwissenschaft in den 1960er Jahren immer mehr ins Zentrum der Betrachtung geriet. Sie bediente sich nicht den typischen weiblichen Narrativen, sondern gab den Frauen eine eigene Identität. So skizzierte sie in dem Film Ihr großes Erlebnis (1933) die Beziehung zwischen der Affäre und der betrogenen Ehefrau nicht als die typischen, furienhaften Rivalinnen, sondern präsentierte eine weibliche Verbundenheit zwischen den beiden Figuren und stellte deren Beweggründe offen dar. So stellte sie sich gegen den Male-Gaze der derzeitigen Filmindustrie und verfolgte eigene Darstellungsformen von Weiblichkeit.
Auch in ihrem Aussehen hob sie sich vom stereotypischen Weiblichkeitsbild ab. Mit einem androgynen Look ließ sie sich auch hier nicht von Normen beherrschen.
Dass ihre Karriere einigermaßen „schnell“ endete, könnte unter anderem an dem verpflichtenden Code Hays von 1934 liegen. Dieser verbot in Form von Richtlinien das Zeigen unter anderem von Gotteslästerung, Gewalttaten, Obszönität oder auch die positive Darstellung von Homosexualität. Als offen lesbische Regisseurin dürfte es nicht besonders einfach gewesen sein, sich unter diesen Umständen an einem Filmset durchsetzen zu können. Auch, wenn sie immer darauf bestand, nicht als „weibliche und lesbische Regisseurin“ definiert, beziehungsweise heroisiert zu werden, sondern sie einfach als „Regisseurin“ zu betrachten, kann man wohl doch anerkennen, wie schwer die Bedingungen zu der Zeit für eine lesbische Frau in einer männerdominierten Branche gewesen sein muss. Umso spannender wie erfolgreich sie ihre Karriere startete und bis heute noch ein Vorbild für die feministische Filmwissenschaft darstellt.