Der neue Film von Luca Guadagnino behandelt die Liebe zweier junger Erwachsener am Rande der Gesellschaft – sowie ihre Sucht für Menschenfleisch. Ein für seine verstörende Thematik überraschend sanfter und gefühlvoller Film.
In seinem neuesten Film behandelt der italienische Regisseur Luca Guadagnino erneut die Lust und Liebe in all ihren Höhen und Tiefen. Insbesondere durch den gefeierten Film Call Me By Your Name bekannt geworden, wendet er sich erneut einer coming-of-age Geschichte zu, jedoch mit einer ausgefalleneren Prämisse. Das Leben der jungen Protagonist*innen erschwert der Kannibalismus als eine Sucht. Was sich in den Händen eines anderen Regisseurs eher Richtung Horror oder einer allzu klischeehaften YA-Romanze entwickeln könnte, wird in Guadagninos Händen zu einem geradezu sensiblen und feinfühligen Roadtrip, ohne dass er dafür die Schrägheit seines Stils oder der Prämisse aufgeben muss. Es ist die Tragik und der Versuch das Beste aus ihr zu machen, die den Film zu einer gefühlvollen und gar erstaunlich schönen Erfahrung macht.
Maren Yearly (Taylor Russell) die von Geburt an den Drang nach Menschenfleisch hatte, wird von ihrem Vater verlassen und macht sich daraufhin auf die Suche nach ihrer Mutter. Auf diesem Weg trifft sie weitere sogenannte „Eaters“ und unter denen auch auf Lee (Timothée Chalamet). Mit diesem begibt sie sich auf die Reise durch das Land und es entwickelt sich eine Romanze. Doch mit ihrer Kondition sind sie nicht nur zu Mord verleitet, sondern müssen stets am Rande der Gesellschaft leben und die Begegnungen mit anderen ihrer Art überstehen. Die Sucht verbindet sie, könnte ihr Leben aber auch zerstören.
Eine Liebesgeschichte, die Sucht nach Fleisch, Coming of Age, die Lust, es sind all diese Dinge, die zu den thematischen Grundsteinen des Filmes werden. Bones and All ist mehr als nur eine Allegorie, es ist der Film über junge Erwachsene als Ausgestoßene der Gesellschaft. Hochkarätig, mit Namen wie Mark Rylance, Michael Stuhlbarg und Chloe Sevigny, auch in den Nebenrollen besetzt, verfolgt die Protagonist*innen stets die Wahl in welches Leben sie sich von ihrer Sucht treiben lassen. Es ist die Geschichte einer verlassenen Jugend, denn die Erwachsenenwelt verstößt, missbraucht und ignoriert sie. Von ihren Eltern wurden sie verlassen, die Begegnungen mit den anderen „Eaters“ wiederum zeigen eine Welt, in der sie sich auf ihre Sucht nach Menschenfleisch einlassen und frei von Mitgefühl gegenüber ihren Opfern leben. Michael Stuhlbargs Szene ist dabei wie ein personifizierter Teufel auf ihren Schultern, der die Abgründe ihrer Sucht zeigt. Mark Rylance wiederum besticht durch eine exzentrisch und schräg anmutende, aber auch angsteinflößende Darstellung. Die Lust und die Sucht verschwimmt bei ihm und ist ein unheimliches Beispiel dafür, zu was die Einsamkeit diese Figur getrieben hat.
Taylor Russell überzeugt als Teenagerin, die zu sich finden muss und einen Platz in der Welt sucht. Sie hat die Unschuld und Unsicherheit aber auch die Willensstärke, mit der sie uns den Charakter nahebringt. Die Tragik ihrer Situation könnte Maren stets einholen, doch mit ihrer gefühlvollen Darbietung, die auch eine Gutherzigkeit beweist, bleibt man stets in der Hoffnung, sie könne trotzdem ein gutes Leben führen. Timothée Chalamet arbeitet hier nach Call Me By Your Name erneut mit Luca Guadagnino zusammen und beweist einmal mehr vielleicht der größte Filmstar seiner Generation zu sein. Eine grandios anzuschauende Szene, in der er zu dem Song Lick it Up mitsingt und eine ganze Nummer daraus macht, wird wohl noch ein langes Leben im Internet haben und auch sonst zeigt er sich von seiner anziehendsten Seite und beweist einmal mehr seine Fähigkeit die emotionale Verwundbarkeit seiner Charaktere deutlich zu machen. Es ist ein Film getragen von den beiden Darsteller*innen, mit denen man sich auf die Reise begibt und so auch die schönen Seiten ihrer Liebe entdeckt.
Die Thematik mag schwer zumutbar sein, doch der Film selbst beweist eine Schönheit, die man vielleicht so nicht erwarten würde. In ihrer Reise durch das Land fängt Guadagnino die Welt in seinen ihm typischen schönen Bildern ein. Zusammen mit seinem Kameramann
Arseni Khachaturan verlässt er sich auch weiterhin klassisch auf analoge Kameras, die wohl gerade die Naturschau zu einem Erlebnis machen können. Auch die Musik von Trent Reznor und Atticus Ross (die man vielleicht von der Band Nine Inch Nails kennt), trägt ihren Teil dazu bei. Bones and All entwickelt sich zu einem Roadtrip, der die Idylle zum idealen Hintergrund für diese Liebe macht, in der das junge Paar das Beste aus der Situation zu machen versucht. Die Höhepunkte des herzzerreißenden Call Me By Your Name oder dem unterschätzten feurigen Erotik Drama A Bigger Splash erreicht er hier vielleicht nicht ganz. Es ist ein letzter Funke, der hier manchmal noch fehlt, um ähnlich zu fesseln. Vielleicht hält sich Guadagnino an manchen Stellen dann doch ein wenig zu sehr zurück, auch wenn die schockierenden Elemente nicht zu kurz kommen. Zu rühren vermag der Film jedoch, wie es bei diesem Thema wohl niemand anderes hinbekommen hätte. Hat man einmal die Merkwürdigkeit der Prämisse überwunden, offenbart sich ein Film, der die Tragik dieser Figuren erkennt und sie mit viel Sensibilität begleitet. Am Ende wird man feststellen, dass selbst bei einer Kannibalen Liebesgeschichte nicht jedes Auge trocken bleibt. Luca Guadagnino hat es also einmal wieder geschafft einen merkwürdigen und dennoch äußerst zärtlichen Film zu drehen.