Paula Modersohn-Becker – ein revolutionärer Selbstakt

Die deutsche Künstlerin Paula Modersohn-Becker wurde 1876 geboren und ist als eine der bedeutendsten Vertreter:innen des frühen Expressionismus bekannt. Sie war nicht nur langjährige Freundin von Rainer Maria Rilke und lernte in Paris, sondern malte auch das Werk, das heute als der erste weibliche Selbstakt bekannt ist.

Sie schaut die Betrachtenden mit einem geneigten, entspannten und sicheren Blick an. Ihre Hände liegen um ihren gewölbten Bauch und ihr Oberkörper ist nackt. Um den Hals trägt sie eine Bernstein Kette und die Haare sind hochgesteckt. 

Es ist nicht ihr einziges Selbstbildnis, doch dasjenige, welches die meisten Spekulationen hervorruft. Die Künstlerin malt sich hier schwanger, war es 1906 zur Entstehung des Bildes aber gar nicht. Zudem vollzog sich hier scheinbar eine Emanzipation von ihrem Ehemann. Sie nennt das Werk Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, obwohl es erst ihr 5. gewesen wäre und unterzeichnet untypisch mit ihrem Mädchennamen. 

Die Malerin stellt sich hier nicht nur als selbstbestimmte, nackte Frau dar, die ihren Körper nicht versteckt, sondern womöglich auch als Schöpferin. Ob Gentileschi, Anguissola, oder Sirani, Frauen malen sich als Schöpferinnen ihrer Kunst bereits seit dem Mittelalter selbst, um sich unter anderem in einem von Männern dominierten Bereich zu behaupten. Es ist denkbar, dass die Darstellung der Fruchtbarkeit hier als Metapher gilt, um sich als große Künstlerin zu positionieren.

Es ist ein Bild, welches mich immer wieder fasziniert. Sie trägt einen Gesichtsausdruck der für mich Weisheit, Gelassenheit und Selbstbestimmtheit ausstrahlt. Modersohn-Becker befürchtete anscheinend, dass sie kein langes Leben genießen würde und schrieb in ihr Tagebuch:

„Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest.“

1907 starb sie dann tatsächlich bereits kurz nach der Geburt ihrer Tochter mit gerade einmal 31 Jahren und geringem künstlerischem Erfolg.

Ahnte sie auch, dass sie erst nach Ihrem Tod das verdiente Ansehen für ihr Werk erlangen und dafür bis heute eine Inspiration und feministische Ikone sein würde? Die Selbstdarstellung und der sichere Ausdruck lassen annehmen, welches Vertrauen sie in ihre Kunst hatte.

Das Bild, der gewölbte Bauch und ihr Blick werfen viele Fragen auf, aber eines ist sicher: Paula Modersohn-Becker schuf ein Meisterwerk. Ob von Alice Neel, Amrita Sher-Gil oder Jenny Saville, weibliche Selbstakte werden im 20. Jahrhundert immer populärer und werden zu einem der beliebtesten Motive der feministischen Kunst. Darstellungen des eigenen Körpers verhelfen Frauen zu Emanzipation und dem Loslösen vom männlichen Blick. Modersohn-Becker legte mit ihrem Selbstakt den Grundstein dafür bereits 1906.

Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/b%C3%BCrsten-farbe-malen-aquarell-4226688/

Literatur:

Borzello, Frances: Wie ich mich sehe. Frauen im Selbstporträt. London 2016. 

Busch, Günter / Reinken, Liselotte (hrsg.): Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern. Frankfurt am Main 1979. 

Hessel, Katy: The Story of Art without Men. München 2022.

Higgie, Jennifer: The Mirror and the Palette. Rebellion, Revolution, and Resilience: 500 Years of Women’s Self-Portraits. London 2021. 

Murken-Altrogge, Christa: Paula Modersohn-Becker. Köln 1991.

Nochlin, Linda: Why Have There Been No Great Women Artists? 50th anniversary edition. Introduction by Catherine Grant. London 2021.