2021 markiert das Jahr, in dem ich Toni Morrison kennenlernen durfte und realisierte, was ich all die Jahre an großartigen Geschichten und einer einzigartigen Weise, mit Sprache zu spielen, verpasst hatte. Anfang August jährte sich der 3. Todestag dieser besonderen Frau – eine der ganz großen Stimmen der Gegenwartsliteratur.
Der Roman, durch den ich meine Begeisterung für Toni Morrisons Literatur entdeckte, ist Beloved. Die Geschichte über die Afroamerikanerin Sethe, die ihr Kind tötet, um es vor der Versklavung zu schützen, hat mich zutiefst berührt und ab dem ersten Satz nicht mehr losgelassen. Es ist nicht nur die Erzählung selbst, die so viel Schmerz und Trauma aber auch Liebe enthält, sondern die Wörter, die diese Geschichte formen, die auf so eine eindrucksvolle Art und Weise zusammengetragen sind. Dieses Buch ist reine Poesie.
Ihre charakteristische Art des Schreibens beherrschte Toni Morrison bereits in ihrem Romandebut The Bluest Eye, das 1970 erschien und welches sie nachts, wenn ihre beiden Söhne schliefen, geschrieben hatte. Damit folgte sie ihrem Bedürfnis, Geschichten zu schreiben, die sie als Leserin gerne lesen würde, die nur leider noch nicht geschrieben worden waren. So widmet sie sich in vielen ihrer Romanen den Lebensrealitäten der afroamerikanischen Bevölkerung, und besitzt ein besonderes Augenmerk für die Wirklichkeit von afroamerikanischen Frauen und Mädchen. Morrison war die erste afroamerikanische Schriftstellerin, die im Jahre 1993 mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde und hat durch ihre Werke und ihre akademische Arbeit einen immensen Beitrag im Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Gewalt geleistet.
1931 wurde Toni Morrison als Chloe Ardelia Wofford in Lorain, Ohio in eine afroamerikanische Arbeiterfamilie geboren. Morrison war das zweite von vier Kindern. Mit 12 Jahren konvertierte sie zum Katholizismus und wurde Anthony, nach dem heiligen Antonius von Padua, getauft, wodurch ihr Spitzname „Toni“ entstand. Ihre Begeisterung und ihren Sinn für Sprache entwickelte sie schon früh durch die Vermittlung traditioneller afroamerikanischer Märchen, Geistergeschichte und Lieder. Außerdem war sie ein sehr lesefreudiges Kind. Auch ihre akademische Laufbahn begann sich bereits im Schulalter abzuzeichnen, da sie im Debattierclub, im Jahrbuch-Team und in der Florian Public Library arbeitete.
Nach der Schule machte sie ihren Bachelor in Literatur an der Howard University in Washington und 1955 ihren Master of Arts an der Cornell University. Daraufhin begann sie ihre Karriere als Professorin an der Howard University, an die sie dafür zurückkehrte, und arbeitete dort 7Jahre. Dort lernte sie auch ihren Ehemann Harold Morrison kennen, mit dem sie zwei Söhne bekam. Nach sechs Jahren Ehe ließ sich das Paar 1964 scheiden. Anschließend arbeitete Morrison bei Random House Publishing in New York City und spielte dort eine wichtige Rolle bei der Etablierung afroamerikanischer Literatur. Ihren Durchbruch als Autorin hatte sie 1977 mit dem Roman Song of Solomon. 1989 wurde sie an der Princeton University Professorin der Geisteswissenschaften, vier Jahre später erhielt sie den Nobelpreis für Literatur. Im Jahre 2000 wurde sie zur „Living Legend“ vom Library of Congress ernannt und bekam zwei Jahre später die „Presidential Medal of Freedom“ vom damaligen Präsidenten Barack Obama überreicht. Im August 2019 starb Toni Morrison mit 88 Jahren.
In ihren Romanen begutachtet Toni Morrison die vielen verschiedenen Facetten rassistisch motivierter Gewalt. Eine eigene prägende rassistische Erfahrung machte Morrison als sie 2 Jahre alt war. Damals setze der Vermieter ihrer Familie ihr Haus in Brand, weil ihre Eltern mit der 4$ Miete einen Monat im Rückstand waren. Sie sagt dazu in einem Interview mit der Washington Post: „It was this hysterical, out-of-the-ordinary, bizarre form of evil, if you internalized it you’d be truly and thoroughly depressed because that’s how much your life meant. For $4 a month somebody would just burn you to a crisp.“ Morrison aber lernte, sich von dieser „monumentalen Boshaftigkeit“ zu distanzieren und sogar über die Absurdität des Ganzen zu lachen.
Morrison erwähnt im Bezug auf ihre literarische Motivation im New Yorker: „I was eager to read about a story where racism really hurts and can destroy you.“ Diese Auseinandersetzung begann sie bereits in ihrem ersten Roman. Eine der Hauptfiguren in The Bluest Eye ist Pecola, die in einer armen, gewalttätigen Familie aufwächst, und sich über alles in der Welt blaue Augen wünscht, weil Sie glaubt, damit ihrem Leiden ein Ende zu bereiten. Ihre Freundin Frieda wiederum reißt Puppen mit blauen Augen die Köpfe ab und spiegelt dadurch das gewaltvolle Auflehnen gegen dieses rassistische Schönheitsideal des weißen, blonden, blauäugigen Mädchens wieder. Frieda verkörpert in dieser Geschichte auch Morrisons Position, sich nicht von den falschen Idealen, die eine rassistisch geprägte Gesellschaft produziert, definieren zu lassen. Im Gegenteil, ihr taten rassistische Menschen leid, die ihren Wert und ihre Persönlichkeit nur darüber bestimmen, dass sie jemand anderen als weniger wert behandeln müssen. Dazu sagt sie in einem Interview: „If you can only be tall, because somebody is on their knees, then you have a serious problem.“
Facettenreichtum besitzt diese Autorin auch in der Art und Weise ein bestimmtes Problem zu beleuchten. Fokke Joel schreibt in der ZEIT: „Ohne Zweifel an der Abscheulichkeit und Verurteilenswürdigkeit der Taten zu lassen, sind in Morrisons Büchern auch die Täter Menschen mit einer Geschichte, oft sogar einer Opfergeschichte. Wie sollen wir den anderen verstehen, wie sollen wir Gewalt verhindern, wenn wir diese Geschichten nicht hören?“ So sind ihre Figuren immer zutiefst menschlich gewesen, wodurch Morrison die höchste Kunst des Schreibens beherrschte, nämlich ihre Leser*Innen zu berühren. Hinzukommend nutzt sie eine sprachliche Präzision, klare aber abstrakte und hoch poetische Bilder, womit sie ein einzigartiges Leseerlebnis bewirkt. Toni Morrison hat Charaktere erschaffen, die einen nicht so leicht wieder loslassen, und hat damit einen zwischenmenschlichen Dialog geöffnet, der eine immense Tragweite auf gesellschaftlicher, politischer aber auch ganz persönlicher Ebene besitzt. Da kann ich als Leserin nur Danke sagen.