Pokémon-Legenden: Arceus – Adieu formelhaftes Gameplay, Hallo Open World

Seit nunmehr drei Wochen ist der langersehnte, neueste Teil der Pokémon-Reihe endlich erhältlich. Die Zeit vor dem Release war hauptsächlich von Klagen über die Grafik und einer halbherzig umgesetzten Open World Spielmechanik geprägt. Entgegen allen anfänglichen Unmuts hat sich Pokémon-Legenden: Arceus (2022) in der ersten Woche laut Nintendo jedoch bereits 6,5 Millionen Mal verkauft. Somit schlägt es nicht nur Pokémon Strahlender Diamant und Leuchtende Perle (2021), sondern sogar die 2019 erschienenen Spiele Pokémon Schwert und Schild (2019). Beide hatten sich in der ersten Verkaufswoche 6 Millionen Mal verkauft. Der anfängliche Frust der Fans scheint dementsprechend fast in Begeisterung umgesprungen zu sein. Doch sprechen hohe Verkaufszahlen wirklich für ein fantastisches Spiel?

Um eines schon einmal vorwegzunehmen: Pokémon-Legenden: Arceus bringt eine, für Game Freak beinahe ungewohnt neue Spielmechanik mit sich: Pokémon können nun wortwörtlich in ihrem natürlichen, vom Menschen nahezu unberührten Lebensraum gefangen werden. Dazu müsst ihr sie nicht einmal mit eurem eigenen Pokémon angreifen. Stattdessen könnt euch geschickt anschleichen oder das Pokémon füttern, um es dann im richtigen Moment mit einem selbsthergestellten Pokéball zu bewerfen. Aber Vorsicht! Einige von ihnen werden schnell aggressiv. Wenn man im falschen Moment kein kampffähiges Pokémon zur Verfügung oder beim Werfen des Balls versehentlich daneben gezielt hat, dann wird man selbst schnell zum Opfer eines gewaltigen Donnerblitz.

Kämpfe mit wilden Pokémon sind also weiterhin ein großer Teil des Spielerlebnisses. Allerdings werden Trainer-Kämpfe auf das absolute Minimum reduziert. In diesem mittelalterlichen Setting trifft man nämlich kaum Menschen, die sich überhaupt trauen mit einem Pokémon zu interagieren. Auch Arenen, Orden oder überhaupt größere Städte gibt es nicht mehr. Dafür begegnet man in jedem Gebiet einem besonders starken Pokémon, welches man mit einer Mischung aus Geschicklichkeit und passenden Attacken besänftigen muss. Pokémon-Legenden: Arceus bietet also einige Neuerungen, die das Spielerlebnis der sonst so klassischen Pokémon-Reihe ganz schön auf den Kopf stellen.

Grafik Pfui?

Leider weist das Game direkt zu Beginn einige Schwächen auf. Über einige Grafikfehler, wie in der Luft spawnendes Gras oder schwebende Pokémon, die ganz eindeutig nicht vom Typ Flug sind, kann man leicht hinwegsehen. Leider macht besonders die Performance Ärger. Das Spiel ruckelt an einigen Stellen recht stark, vor allem, wenn mehrere, große Pokémon gleichzeitig angreifen. Dadurch wird das sonst so dynamische Gameplay immer wieder unterbrochen.

Auch andere Features sind nicht optimal umgesetzt. Einige Pokémon kann man dazu nutzen, sich leichter durch die Hisui-Region zu bewegen, indem man auf ihnen reitet. Grundsätzlich ein spannender Aspekt, doch die Steuerung ist in einigen Teilabschnitten alles andere als smooth. Besonders auf bergischem Untergrund hat man oft keinen Halt und rutscht immer wieder ab, was das Erkunden einiger Teilgebiete zu einer kleinen Tortur werden lässt. Hinzu kommt, dass man beim Reiten der Begleiter ebenfalls von wilden Pokémon attackiert werden kann. Allerdings ist Ausweichen nur bedingt möglich. Hier wird jedoch nicht der Angriff selbst zum Endgegner, sondern viel eher die fehlende Lebensanzeige des eignen Charakters. Denn wie viele Schläge man einstecken kann, wird einem nicht mitgeteilt. Man muss also nach eigenem Ermessen, welches durch eine Verfärbung am Rande des Bildschirms zumindest leicht unterstützt wird, bewerten, wie lange man sich in der Nähe wilder Pokémon aufhalten kann, ohne kämpfen zu müssen.

Ein weiterer großer Kritikpunkt ist der zur Verfügung stehende Platz für gefangene Pokémon. Wie in älteren Teilen der Reihe hat man nur begrenzt freie Boxen, um seine Pokémon unterzubringen. Wenn diese voll sind, muss man Pokémon frei lassen. Die Entscheidung die Anzahl an Lagerplätzen nicht zu erhöhen, obwohl das Game die Spieler*innen immer wieder ermutigt, weitere Pokémon zu fangen, um Forschungspunkte zu sammeln und den aller ersten Pokédex der zukünftigen Sinnoh-Region zu füllen, bleibt also fragwürdig.

Zuletzt müssen wir wohl oder übel doch einmal über die Grafik sprechen, weil diese schon seit Release der ersten Trailer immer wieder in der Kritik stand. Besonders der Open World Stil des Spiels lädt zu einem Vergleich mit dem 2017 erschienenen The Legend of Zelda: Breath of the Wild (2017) ein. Obwohl dieses bereits knapp fünf Jahre alt ist, sieht die Grafik trotz allem um Längen besser aus: saftig-grünes Gras, reißende Flüsse und verschneite Berglandschaften luden hier bereits auf eine Erkundungstour vom Feinsten ein. Pokémon-Legenden: Arceus hingegen wirkt fast schon etwas unfertig und beinahe leer. Nicht nur ist die Auflösung niedriger, häufig fehlt sogar ein ganzer Teil der Grafik. Viele Objekte erscheinen erst, wenn man sich ihnen nähert. Fokussiert man sich nur auf das, was die*den Spieler*in direkt umgibt, dann mag es weniger auffallen. Doch sobald man nur ein bisschen in die Ferne schaut, dann blickt man in eine kahle Landschaft ohne Gras, Bäume, Felsen oder Pokémon. Das schadet zwar nicht dem Gameplay, doch das Erlebnis dieser neuen und doch altbekannten Welt wird trotzdem in Mitleidenschaft gezogen.

Gameplay Hui!

Trotz alldem ist Pokémon-Legenden: Arceus ein echter Hit und das nicht nur auf Grund der Verkaufszahlen. Besonders das Gameplay ist dynamisch und abwechslungsreich. Man kann sich entscheiden, ob man ein Pokémon klassisch bekämpfen oder auf anderem Wege anlocken will, um es zu fangen. Ausweichen, verstecken, füttern und ablenken werden zu zentralen Skills und bereichern so deutlich das sonst so starre Kampfprinzip.

Zudem laden die große Welt der Hisui-Region sowie verschiedene Main- und Sidequests dazu ein, alles zu erkunden, jeden Stein umzudrehen und alle Pokémon zu fangen, denen man begegnet. Allein im Startgebiet gibt es zig verschiedene Arten zu Land und im Wasser, im Hohen Gras, zwischen Bäumen oder in Höhlen. Zeit kann man hier also zur Genüge verbringen, vor allem, da selbst im Startgebiet die Level der Pokémon zwischen drei und 45 variieren können. Besonders hilfreich ist auch das neue Crafting-System, welches erlaubt, mit den Materialien, die das jeweilige Gebiet zu bieten hat, Items wie Pokébälle und Tränke, herzustellen. So muss man also nicht ständig zur Basis zurückkehren, um seine Pokémon zu heilen oder Bälle zu kaufen.

Ebenfalls kann dieser Teil mit einer spannenden Hauptstory glänzen, welche sich durch alle Gebiete der Hisui-Region zieht und den Spieler*innen einen Einblick in die Vergangenheit von Sinnoh und sogar Team Galaktik erlaubt. Spannende Neuerungen treffen also auf eine ordentliche Portion Nostalgie. Unterstützt wird dies vor allem durch das Bereisen altbekannte Orte, die wiederum von vergangener Musik in neuem Gewand untermalt werden.

Pokémon-Legenden: Arceus bietet also sowohl Nostalgiker*innen als auch Fans von komplizierteren Open World Spielen ein dynamisches und spannendes Spielerlebnis. Dieses weist zwar immer wieder kleinere Schwächen besonders in der Grafik auf, aber die neuen Spielmechaniken und die Vielfalt an Aufgaben gleichen dies mühelos aus. Somit sollte man sich, selbst als alteingesessener Fan der originalen, linearen Teile, einen Ruck und Pokémon-Legenden: Arceus eine Chance geben – ihr werdet es sicher nicht bereuen!